idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Grafik: idw-Logo

idw - Informationsdienst
Wissenschaft

Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
05.12.2016 10:30

Bei Mikroorganismen macht das Nagoya-Protokoll viele zu Verlierern

Christian Engel Stabstelle Presse und Kommunikation
Leibniz-Institut DSMZ-Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen GmbH

    Die restriktive Umsetzung des Nagoya-Protokolls droht die mikrobiologische Grundlagenforschung deutlich zu erschweren und zudem das Gegenteil dessen zu bewirken, was mit seiner Einführung erreicht werden sollte. Statt eine gerechte Verteilung der Gewinne, die sich aus der Nutzung von genetischen Ressourcen ergeben, zu ermöglichen, könnten Entwicklungsländer und ihre Wissenschaftler von der internationalen Forschung und Zusammenarbeit abgehängt werden. Ursachen für diese Entwicklung sind einige dem Nagoya-Protokoll zugrundeliegende Annahmen zur biologischen Vielfalt, die sich nicht auf Mikroorganismen übertragen lassen.

    Braunschweig - Die aktuell oft restriktive Umsetzung des Nagoya-Protokolls droht die mikrobiologische Grundlagenforschung deutlich zu erschweren und zudem das Gegenteil dessen zu bewirken, was mit seiner Einführung erreicht werden sollte. Statt eine gerechte Verteilung der Gewinne, die sich aus der Nutzung von genetischen Ressourcen ergeben, zu ermöglichen, könnten Entwicklungsländer und ihre Wissenschaftler von der internationalen Forschung und Zusammenarbeit abgehängt werden. Zu dieser Einschätzung kommen Professor Jörg Overmann und Dr. Amber Hartman Scholz vom Leibniz-Institut DSMZ-Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen in einer Analyse, die sie jetzt im renommierten Fachmagazin Trends in Microbiology veröffentlicht haben.

    Ursachen für diese Entwicklung sind demnach einige dem Nagoya-Protokoll zugrundeliegende Annahmen zur biologischen Vielfalt, die sich nicht auf Mikroorganismen übertragen lassen. So gibt es im Unterschied zu höheren Pflanzen und Tieren bei Mikroorganismen keine Hotspots der Artenvielfalt. „Die meisten Bakterien sind wahre Kosmopoliten und kommen so gut wie weltweit vor“, erläutert DSMZ-Geschäftsführer Overmann. Mit dem Ergebnis, dass Wissenschaftler Länder mit nicht praktikablen Vorschriften für Sammlungs-Expeditionen nun eher meiden. Overmann und Scholz befürchten daher, dass statt der angestrebten Beteiligung weniger internationale Zusammenarbeit und Wissenstransfer in die Entwicklungsländer stattfinden wird.

    Hinzu kommt eine falsche Vorstellung davon, wie leicht kommerzieller Nutzen aus einer Ressource gezogen werden kann. „Teilweise existiert wohl die Ansicht, dass quasi in jedem Bakterium ein Multimillionen-Dollar-Präparat schlummert“, vermutet Overmann. Viele Länder würden daher versuchen, ihre Ressourcen wie eine Goldgrube zu schützen und den Zugang streng zu reglementieren, so der Experte. Tatsächlich liefert jedoch statistisch gesehen nur einer von 100.000 Bakterienstämmen die Grundlage für ein pharmazeutisches Produkt. Gleichzeitig schlagen Isolierung und Identifizierung jedes einzelnen Stamms mit bis zu 10.000 Euro zu Buche. Kosten von bis zu einer Milliarde Euro für die Isolierung letztendlich eines einzigen geeigneten Mikroorganismus sind ein finanzielles Risiko, das selbst Pharmafirmen in der Regel nicht eingehen.

    Einen wichtigen Beitrag leistet hier stattdessen die mikrobiologische Grundlagenforschung, durch die neuartige Mikroorganismen überhaupt erst entdeckt und ihre Eigenschaften verstanden werden. Sie wird allerdings immer häufiger durch strenge Regulierungen nach dem Nagoya Protokoll behindert. „Dort wird der Begriff der Nutzung viel zu weit gefasst“, erläutert Jörg Overmann. In dem Abkommen bezieht sich Nutzung nicht nur auf eine kommerzielle Verwertung, sondern schließt auch sämtliche Grundlagenforschung und die Hinterlegung von Stämmen in öffentlichen Sammlungen ein. Dabei ist mit der mikrobiologischen Forschung in aller Regel kein kommerzielles Interesse verbunden. Und in den sehr seltenen Fällen wo eine Kommerzialisierung erfolgt, könnte gerade über die Hinterlegung in öffentlichen Sammlungen eine Rückverfolgbarkeit der Ressource und eine Nachverhandlung mit dem Ursprungsland gewährleistet werden.

    Bislang haben erst 80 Staaten das Nagoya-Protokoll ratifiziert. Overmann und Scholz hoffen, dass die noch folgenden Staaten eine ausgewogene Ausgestaltung festlegen, die zum beiderseitigen Vorteil ist. „Länder, die die wissenschaftliche Neugier als kommerzielles Interesse oder gar Biopiraterie missverstehen und deshalb eine starre Haltung einnehmen, vergeben die Chancen für ihre eigene Forschung und Entwicklung“, ist Overmann überzeugt. Sie werden im Nachteil sein gegenüber jenen Ländern die eine vertrauensvolle, wissenschaftlich informierte, kooperative und effiziente Umsetzung des Nagoya Protokolls ansteuern. Diese würden von Forschung und Entwicklung profitieren, einen deutlichen Wettbewerbsvorteil in Wissenschaft und Bioökonomie erfahren und damit ihre eigene Entwicklung unterstützen.

    Hintergrund
    Das Leibniz-Institut DSMZ ist eines der führenden Bioressourcenzentren weltweit. Es archiviert die bakterielle Vielfalt in lebensfähiger Form und stellt der Forschung authentische, qualitätskontrollierte Proben zur Verfügung. Wissenschaftler aus aller Welt bestellen bei der DSMZ jährlich mehr als 40.000 Produkte. Darüber hinaus dient die DSMZ als Hinterlegungsstelle für Mikroorganismen. Neu beschriebene Bakterienarten müssen an zwei öffentlichen Sammlungen, sozusagen als zwei Belegexemplare hinterlegt werden. Über öffentliche Sammlungen sind diese dann für die wissenschaftliche Gemeinschaft zugänglich, um veröffentlichte Forschungsergebnisse überprüfbar zu machen. Parallel betreibt die DSMZ ein eigenes umfangreiches mikrobiologisches Forschungsprogramm.

    Das Nagoya-Protokoll ist ein völkerrechtlicher Rahmen, der die Umsetzung der Ziele der UN-Konvention über biologische Vielfalt (CBD) regelt. Ziel ist es, den Zugang zu genetischen Ressourcen und die gerechte Aufteilung der sich aus ihrer Nutzung ergebenen Vorteile (das sogenannte Access and Benefit Sharing, ABS) zu regeln. Konkret bedeutet dies, dass jegliche biologische Ressource, also Pflanzen, Tiere oder deren Teile, Mikroorganismen oder auch nur DNA jeweils dem Land gehört, aus dem sie stammt. Lediglich menschliche Proben sind von dieser Regelung ausgenommen. Für Sammlung, Ausfuhr und Nutzung der Ressourcen sind entsprechende Genehmigungen des Ursprungslandes nötig. Das Nagoya Protokoll ist am 12. Oktober 2014 in Kraft getreten, die Umsetzung in deutsches Recht erfolgte am 1. Juli 2016.

    Pressekontakt:
    Christian Engel
    Leiter Presse und Kommunikation
    Tel. 0531 2616-300
    Fax 0531 2616-418
    E-Mail christian.engel@dsmz.de


    Weitere Informationen:

    http://www.cell.com/trends/microbiology/fulltext/S0966-842X%2816%2930164-0 Originalartikel Microbiological Research Under the Nagoya Protocol: Facts and Fiction
    http://dx.doi.org/10.1016/j.tim.2016.11.001 DOI
    https://www.dsmz.de/de/hinterlegung/nagoya-protokoll.html Hinterlegung von biologischem Material an der DSMZ in Übereinstimmung mit dem Nagoya-Protokoll


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler
    Biologie
    überregional
    Wissenschaftliche Publikationen, Wissenschaftspolitik
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).