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20.02.2017 11:46

Trauer um Ernst-Otto Czempiel

Barbara Dörrscheidt Presse- und Öffentlichkeitsarbeit & Fundraising
Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung

    Der Gründungsvater der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung verstarb im Alter von 89 Jahren in Berlin. Ein Nachruf auf einen herausragenden Gelehrten.

    Wir trauern um Ernst-Otto Czempiel. Mit ihm verliert die Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung ihren Gründungsvater und langjährigen spiritus rector. Er war der Doyen der deutschen Friedens­forschung und wird der Politikwissen­schaft fehlen.

    Obwohl sich Prof. Dr. Ernst-Otto Czempiel – im Institut und darüber hinaus kurz als E.O. bekannt – bereits 2008 aus gesundheitlichen Gründen zurückgezogen hatte, hinterlässt sein Tod eine große Leere. Er war für uns alle ein inspirierender, pointiert denkender und politisch engagierter Diskussions­partner, für viele ein verantwortungs­bewusster Doktorvater und für manche ein wundervoller Freund. Er bestimmte wissenschaftliche Debatten weit über die Grenzen der Friedens­forschung hinaus und wurde für viele auch in der Politik und in der Gesellschaft ein intellektueller Referenz­punkt.

    Geboren am 22. Mai 1927 in Berlin in ein katholisch geprägtes Elternhaus, konnte sich Ernst-Otto Czempiel den Organisationen des NS-Regimes entziehen. Er erlebte die Grauen des Krieges als Berliner Kind und wurde gegen Ende des Zweiten Weltkrieges als Flakhelfer eingesetzt. Diese traumatische Erfahrung bestimmte seine berufliche und wissenschaftliche Orientierung und eine pazifistische Grundhaltung, die gegen Ende seines akademischen Schaffens immer deutlicher hervortrat. Weil ihm die Immatrikulation an der Humboldt-Universität zu Berlin aus „weltanschaulichen Gründen“ versagt wurde, besuchte Czempiel zunächst eine Dolmetscher­schule in Berlin. Die beginnende Blockade der Stadt erlebte er in Speyer, wo er sich an Initiativen zur deutsch-französischen Aussöhnung beteiligte. Er nahm dann ein Studium der Neueren Geschichte, Anglistik und Philosophie an der Universität Mainz auf, das er 1956 mit einer Promotion über „Das deutsche Dreyfus-Geheimnis“ abschloss. Der Untertitel „Eine Studie über den Einfluss des monarchistischen Regierungs­systems auf die Frankreich-Politik des Wilhelminischen Reiches“ weist auf eine Fragestellung hin, die sein politikwissen­schaftliches Lebenswerk wie ein roter Faden durchziehen sollte: den Zusammenhang zwischen der inneren Verfasstheit von Staaten und ihrer Außenpolitik. Warum dieser Zusammenhang kein einfacher ist und sich auch Demokratien im Umgang mit autoritären Regimen dazu verleiten lassen, auf Militär und gewaltsame Konflikt­strategien zu setzen, beantwortete Czempiel in seiner Habilitations­schrift über die amerikanische Außenpolitik der Nachkriegs­zeit, die er als Assistent von Eugen Kogon an der Technischen Hochschule in Darmstadt verfasste.

    Nach einem Forschungs­aufenthalt an der Columbia University in New York übernahm Czempiel eine Professur an der Philipps-Universität in Marburg. Hier entwickelte er die Idee, ein hessisches Friedens­forschungs­institut zu gründen, und er fand dafür im damaligen Minister­präsidenten Albert Osswald einen politisch überzeugten Unterstützer. Dass die Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung 1970 dann in Frankfurt gegründet wurde, verdankt sie dem Ruf Czempiels an die Goethe-Universität, den er im gleichen Jahr annahm. In den folgenden Jahren steuerte er das zunächst kleine und anfänglich heftig umstrittene Boot der Hessischen Stiftung erfolgreich durch manchen politischen Sturm. Hier begannen namhafte Exponenten der ersten Generation der deutschen Friedens­forschung wie Dieter Senghaas, Jürgen Gantzel, Egbert Jahn und Volker Rittberger ihre akademischen Karrieren. Czempiel legte mit seinem Drängen auf wissen­schaftliche Professionalität und Internationali­sierung die Grundlage dafür, dass sich die HSFK zu einem Flaggschiff der deutschen Friedens­forschung entwickeln konnte. 2009 wurde die HSFK unter der Leitung des Czempiel-Schülers Harald Müller in die Leibniz-Gemeinschaft aufgenommen.

    Wie kaum ein anderer hat Czempiel die deutsche Friedens­forschung und Politik­wissenschaft geprägt. Er war Mitbegründer der Sektion für Internationale Beziehungen der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaften, der er von 1966–1969 vorsaß, und maßgeblich beteiligt an der Gründung der Deutschen Gesell­schaft für Friedens- und Konflikt­forschung. Darüber hinaus mischte er sich immer wieder in aktuelle politische Debatten ein und wurde zu einem gesuchten Gesprächs­partner in Bonn und Berlin. Für seine Verdienste wurde er mit dem Bundes­verdienst­kreuz erster Klasse (1994) und dem Hessischen Verdienstorden (1996) geehrt.

    Nach seiner Emeritierung 1992 übernahm Czempiel wieder die Geschäfts­führung der HSFK und blieb auch nach seinem Rücktritt 1995 einer der produktivsten und profiliertesten Mitarbeiter des Instituts. 2008 verlieh die HSFK erstmals den zu seiner Ehre gestifteten Ernst-Otto Czempiel-Preis für die beste postdoktorale Monografie aus der Friedens­forschung.

    Ernst-Otto Czempiel verstarb am 11. Februar kurz vor seinem 90. Geburtstag in Berlin. Wir werden seine leise, aber von uns allen stets wahrgenommene Stimme schmerzlich vermissen.

    Die Kolleginnen und Kollegen der
    Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Gesellschaft, Philosophie / Ethik, Politik
    überregional
    Personalia
    Deutsch


     

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