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„Verwahrlosung beginnt nicht, wenn sie in Erscheinung tritt.“ Zu dieser Erkenntnis kam der Pädagoge und Psychoanalytiker August Aichhorn schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Eine Studie von Ulrike Loch, zu der nun eine Buchpublikation in zweiter Auflage erschienen ist, kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Sie hat sich mit der Situation von Kindern psychisch erkrankter Eltern in Deutschland und Österreich beschäftigt.
Kinder psychisch erkrankter Eltern sind häufig mit Belastungen wie den Folgen von transgenerationell vermittelter Gewalt, gesellschaftlichen Tabus und Traumata sowie Problemlagen wie Armut und sozialer Isolierung konfrontiert. In vielen Familien zeigen sich zudem Schwierigkeiten in der Bewältigung ihres Alltags. Viele der betroffenen Kinder und ihre Familien haben in der Folge einen erhöhten Unterstützungsbedarf. Die Sozialpädagogin Ulrike Loch (Institut für Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung) hat für ihre Studie die aktuelle Situation von Kindern psychisch erkrankter Eltern als AdressatInnen der Kinder- und Jugendhilfe und die professionelle Hilfepraxis mit psychisch kranken Eltern untersucht. Im Kern ging es um die Fragen: Wie ergeht es den betroffenen Kindern und deren Eltern? Und: Wie gehen Jugendämter in Deutschland und Österreich mit den betroffenen Familien um?
Im Zentrum der Analyse standen Kinderschutzfälle mit Kindern bis zum Alter von sechs Jahren mit psychisch erkrankten bzw. psychisch instabilen Eltern. Methodisch setzte Loch die qualitative Forschungsstrategie der Ethnographie und die Analyse von Jugendamtsakten ein.
„Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die Problemkonstellationen in Kinderschutzfällen mit psychisch erkrankten Eltern bereits in der Kindheit der Eltern bzw. in der Großelterngeneration und sogar früher beginnen“, erklärt Loch. Belastungen werden also über Generationen hinweg in die nächste Generation übertragen: „Über die transgenerationelle Vermittlung in der Eltern-Kind-Bindung werden die mehrgenerationellen Problemkonstellationen bereits in der frühen Kindheit zur Belastung der nachfolgenden Generationen.“ Die Folgen sind für die Kleinen oft frappant: „Es kommt unter anderem zu Entwicklungsverzögerungen bei den Kindern, welche mit den oftmals eher unauffälligen Strukturierungssschwierigkeiten im Alltag der Eltern korrespondieren.“ Die Wurzeln für die Probleme dieser Kinder liegen also häufig weiter zurück, als auf den ersten Blick zu erwarten wäre.
Für Ulrike Loch zeigt sich eine Notwendigkeit für die Kinder- und Jugendhilfe, neue fachliche Antworten auf diese Problemkonstellationen zu finden. Sie führt dazu aus: „Wir brauchen mehr Wissen über fachliche, organisationale und gesellschaftliche Orientierungen und Bedingungen, die professionelle Kinderschutzpraxis mit psychisch erkrankten Eltern ermöglichen und deren Weiterentwicklung unterstützen.“ Derzeit gebe es eine scheinbar selbstverständliche Spirale, dass Kinderschutz mit psychisch erkrankten Eltern schließlich zur Fremdunterbringung der betroffenen Kinder führe. Dies gelte es weiter zu hinterfragen und neue Perspektiven für die Kinderschutzarbeit aufzuzeigen.
Loch, U. (2016). Kinderschutz mit psychisch kranken Eltern: Ethnografie im Jugendamt. 2. Auflage. Weinheim: Beltz Juventa.
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Pädagogik / Bildung, Psychologie
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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