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25.04.2017 11:30

„Das Selbstverständnis aller Religionen wird sich ändern“

Viola van Melis Zentrum für Wissenschaftskommunikation
Exzellenzcluster „Religion und Politik“ an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster

    Öffentliche Buchvorstellung: Religionswissenschaftler Perry Schmidt-Leukel diskutiert seine Theorien zur Religionsvielfalt mit Mouhanad Khorchide, Bernhard Nitsche und Linda Woodhead – „Religionen ähneln einander in ihrer Vielfalt“ – Gifford Lectures in Buchform erschienen

    Eine neue Theorie zur religiösen Vielfalt und zur theologischen Annäherung der Religionen präsentiert der Religionswissenschaftler Prof. Dr. Perry Schmidt-Leukel am Dienstag, 2. Mai, in einer öffentlichen Buchvorstellung am Exzellenzcluster „Religion und Politik“ in Münster. Danach geben herkömmliche Theologien nicht ausreichend Antwort auf die wachsende Herausforderung religiöser Vielfalt und Konflikte. „Statt ihre Theologie weiter ausschließlich religionsspezifisch zu betreiben, werden Religionen in Zukunft verstärkt auf interreligiöse Theologie setzen“, sagt Schmidt-Leukel. Das führt er in seinem neuen Buch „Religious Pluralism and Interreligious Theology“ (Religiöser Pluralismus und interreligiöse Theologie) aus. In der Buchvorstellung diskutiert er mit dem islamischen Theologen Prof. Dr. Mouhanad Khorchide vom Exzellenzcluster, der britischen Religionssoziologin und Blumenberg-Gastprofessorin Prof. Dr. Linda Woodhead und dem katholischen Theologen Prof. Dr. Bernhard Nitsche von der WWU. Es moderiert der evangelische Theologe und Judaist Prof. Dr. Lutz Doering.

    Interessierte sind zur englischsprachigen Buchvorstellung am 2. Mai ins Hörsaalgebäude des Exzellenzclusters, Raum JO 101, Johannisstraße 4 eingeladen. Bei dem Band aus dem US-Verlag Orbis Books handelt es sich um eine erweiterte Fassung der Vorträge Schmidt-Leukels im Rahmen der renommierten Gifford Lectures. Er hielt sie 2015 in Glasgow als erster Deutscher seit 25 Jahren. Dies ist eine der höchsten internationalen akademischen Ehrungen in der Religionsphilosophie und Theologie. Schmidt-Leukels Theorie wird auf weiteren internationalen Tagungen diskutiert werden: auf dem Kongress der jüngst gegründeten European Academy of Religion im Juni in Bologna, an der Minzu University in Peking im Oktober und auf der Jahrestagung der renommierten American Academy of Religion (AAR) im November.

    „Religionen wie das Christentum, der Islam, der Hinduismus und der Buddhismus sind nach meiner Theorie einander viel ähnlicher, als bislang angenommen. Sie ähneln einander mit Blick auf ihre jeweilige interne Vielfalt“, sagt der Wissenschaftler. „Die fremde Religion und der Andersgläubige sind weniger fremd als man zunächst glaubt. Das bietet eine Alternative zur verbreiteten Ansicht, Religionen seien nicht vergleichbar und unvereinbar.“ Was Religionen voneinander unterscheide, finde sich oft in anderer Form als Unterschied innerhalb der eigenen Religion wieder. „Das erlaubt die Ausweitung ökumenischer Theologie zur interreligiösen Theologie.“ Im interreligiösen theologischen Diskurs kämen Themen und Fragen auf, die aus der Theologie der eigenen Religion bekannt seien, aber zugleich ein neues Licht darauf würfen. Schmidt-Leukel: „Der Schlüssel zum Verständnis fremder Religionen liegt somit in der eigenen.“

    Der Religionswissenschaftler hat seine „Fraktale Theorie der Religionsvielfalt“ in Anlehnung an die Fraktal-Theorie des Mathematikers Benoît Mandelbrot (1924-2010) entwickelt, nach der viele Objekte in der Natur wie Farnpflanzen, Bäume oder Blumenkohl, aber auch Eiskristalle, Felsformationen oder Küstenlinien aus verkleinerten Kopien ihrer selbst zusammengesetzt sind. „Das fraktale Verständnis religiöser Vielfalt“, so Schmidt-Leukel, „verlangt geradezu nach einer interreligiösen Theologie.“

    Das neue Buch enthält neben den Gifford Lectures eine Vorlesungsreihe über religionspluralistische Ansätze in Christentum, Judentum, Islam, Hinduismus und Buddhismus, die Prof. Schmidt-Leukel 2014 an der Zhejiang University von Hangzhou in China gehalten hat. Als „religiösen Pluralismus“ bezeichnet der Wissenschaftler eine Haltung, die andere Religionen als „zwar verschiedene, aber dennoch gleichermaßen gültige und vielfach komplementäre Heilswege“ betrachte. Letztlich gehe es dabei um eine Veränderung im Selbstverständnis aller Religionen. „Das ist auch politisch wichtig, insofern religiöse Ansprüche auf Alleingültigkeit oder Überlegenheit häufig dem interreligiösen Konfliktpotential zugrunde liegen.“ Das Buch fasst die Ergebnisse der Forschungen Schmidt-Leukels am Exzellenzcluster „Religion und Politik“ seit 2009 zur Pluralismusfähigkeit der Religionen und zur interreligiösen Theologie zusammen.

    „Theologie der Zukunft“

    „Im Unterschied zur interkulturellen Philosophie nimmt interreligiöse Theologie den Bekenntnischarakter von Religionen ernst“, führt der Wissenschaftler aus. Hinter den Bekenntnissen zu Muhammad als „Propheten“, zu Jesus als „Sohn Gottes“ und zu Gautama als „Buddha“ zeigten sich grundlegende Gemeinsamkeiten in den Motiven: „Bei den Muslimen wird das Wort Gottes zum Text, wie im Fall des Koran, während es bei den Christen zur Person wird, wie im Fall Jesu. Aber beide Religionen kennen auch das andere Konzept und in beiden Fällen geht es darum, wie die Gegenwart Gottes im Akt der göttlichen Offenbarung zu verstehen ist“, so der anglikanische Theologe. Oft liege sogar hinter der Ablehnung anderer Glaubensvorstellungen mehr Gemeinsamkeit als man denke, etwa, wenn etwas abgelehnt wird, was der andere in dieser Form gar nicht vertritt. „Statt andere Religionen als Gefahr zu sehen, können sie den eigenen Glauben bereichern.“ Daher ziehe eine interreligiöse Theologie nicht nur Heilige Schriften der eigenen Religion heran, sondern auch die der anderen. „Das bietet große Chancen im Umgang mit der wachsenden religiösen Pluralität in unserer Gesellschaft.“ (vvm/ill)

    Die Gifford Lectures

    Die vier schottischen Universitäten Edinburgh, Glasgow, St. Andrews und Aberdeen laden bereits seit 1888 alle ein bis zwei Jahre zu der Vorlesungsreihe ein. Der Richter und Rechtsanwalt Adam Lord Gifford (1820-1887) stiftete sie zur Förderung der „natürlichen Theologie im weitesten Sinn“. Heute verstehen die Universitäten dies im Sinne einer wissenschaftlichen Beschäftigung mit Religion, die der Frage nach der Vernünftigkeit und möglichen Wahrheit von Religion nachgeht. Die ersten Gifford Lectures hielt zwischen 1888 und 1892 der deutsche Religionswissenschaftler Friedrich Max Müller in Glasgow. Es folgten zahlreiche angesehene Forscherinnen und Forscher vorwiegend aus den Disziplinen Theologie, Philosophie, Geschichte und Naturwissenschaften. Aus Deutschland hielten zuletzt von 1984 bis 1985 der evangelische Theologe Prof. Dr. Jürgen Moltmann und im Wintersemester 1990/91 die Islamwissenschaftlerin Prof. Dr. Annemarie Schimmel die Gifford Lectures. (vvm)


    Weitere Informationen:

    https://www.uni-muenster.de/Religion-und-Politik/aktuelles/2017/apr/PM_Buchvorst...


    Bilder

    Religionswissenschaftler Prof. Dr. Perry Schmidt-Leukel (Foto: Exzellenzcluster „Religion und Politik“, Sarah Batelka)
    Religionswissenschaftler Prof. Dr. Perry Schmidt-Leukel (Foto: Exzellenzcluster „Religion und Politi ...

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    Anhang
    attachment icon „Das Selbstverständnis aller Religionen wird sich ändern“

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wissenschaftler, jedermann
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Kulturwissenschaften, Pädagogik / Bildung, Religion
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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