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31.07.2017 14:41

Kautabak „Naswar“: Krebsrisiko mehr als 20-fach erhöht

Nils Ehrenberg Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie - BIPS

    In Pakistan, Afghanistan und anderen zentralasiatischen Ländern ist Naswar der Renner. Vor allem der Preis ist unschlagbar: Ein Päckchen mit der grünen Paste kostet nur einen Bruchteil des Preises für eine Packung Zigaretten. Entsprechend populär ist das Gemisch aus Tabakblättern, Asche, Löschkalk und verschiedenen Aromastoffen bei der Bevölkerung. Doch die billige Nikotinquelle birgt Gefahren, wie BIPS-Wissenschaftler im Rahmen einer Studie in Pakistan nachweisen konnten. So ist das Risiko für Mundhöhlenkarzinome bei Naswar-Konsumenten im Vergleich zu Nicht-Konsumenten mehr als 20-fach erhöht.

    Raucher haben es schwer in Schweden. Denn in kaum einem anderen Land sind die Verbote restriktiver, ist Rauchen gesellschaftlich verpönter als im nordischen Königreich. Deshalb und wohl auch aus skandinavischer Tradition heraus greifen besonders Männer zu Snus – einem Gemisch aus Tabak, Wasser, Salz und Aromen, das innerhalb der EU nur in Schweden gewerblich in Umlauf gebracht werden darf. Die kleinen Beutelchen werden hinter der Ober- oder Unterlippe platziert, der Speichel löst die Inhaltsstoffe, das Salz fördert deren Aufnahme über die Schleimhäute in die Blutbahn und die Wirkung des Nikotins entfaltet sich im Gehirn. Für viele Schweden gilt Snus als weniger gesundheitsschädliche Alternative zum Rauchen oder gar als Mittel zur Rauchentwöhnung.

    Und tatsächlich. Eine Reihe von Studien findet entweder kein oder ein „nur“ leicht erhöhtes Risiko für Mundhöhlenkarzinome oder andere Krebsformen. Eine Erklärung: Da Snus nicht geraucht wird, werden keine schädlichen Verbrennungsprodukte des Tabaks aufgenommen. Allerdings: Das Suchtpotential des Nikotins bleibt.

    Andere Länder, andere Sitten

    Während der Konsum von Kau- oder auch Schnupftabak vor dem 2. Weltkrieg in westlichen Ländern noch weit verbreitet war – gerade in den USA gehörte ein Spucknapf zur Grundausstattung einer jeden Bar – mutet die „dicke Lippe“ der skandinavischen Snus-Konsumenten für heutige Europäer wohl eher exotisch an. Schaut man aber über den europäischen Tellerrand, ist „Kautabak“ in all seinen Darreichungsformen keineswegs verschwunden. In Zentralasien etwa sind rauchfreie Tabakprodukte wie das in Indien verbreitete „Gutka“ oder das in Pakistan und Afghanistan beliebte „Naswar“ omnipräsent. „Viele Studien zu den gesundheitlichen Auswirkungen dieser Tabakprodukte wurden in Indien durchgeführt und konzentrierten sich daher auch auf die dort konsumierten Formen“, sagt Hajo Zeeb, Leiter der Abteilung Prävention und Evaluation am BIPS. „Zwar hat die Internationale Krebsforschungsagentur IARC rauchfreien Tabak insgesamt als krebserregend eingestuft, zu dem in Pakistan weit verbreiteten Naswar gibt es aber kaum Daten. Genau an diesem noch unklaren Punkt wollten wir ansetzen. Naswar ist in Pakistan erheblich billiger als eine Packung Zigaretten und wird deshalb immer beliebter – auch in anderen Ländern Asiens. Zugleich hat Pakistan eine der höchsten Häufigkeiten von Mundhöhlenkarzinomen weltweit. Der Zusammenhang mit Naswar ist naheliegend, wir wollten ihn aber nachweisen und quantifizieren.“

    Bei rauchlosen Tabakprodukten werden die Wirkstoffe nicht eigeatmet, sondern direkt mit der Mundhöhlen- oder Nasenschleimhaut durch Auflegen, Kauen oder Schnupfen in Kontakt gebracht, wo das Nikotin über die Schleimhaut absorbiert wird. So auch bei Naswar. Das Gemisch aus Tabakblättern, Asche, Löschkalk und verschiedenen Aromastoffen wird als grünes Pulver oder Paste verkauft, zumeist in die Wangentasche des Mundes gelegt und für längere Zeit dort aufbewahrt.

    Die BIPS-Studie wurde zwischen September 2014 und Mai 2015 in der ländlich geprägten Khyber Pakhtunkhwa Provinz an der Grenze zu Afghanistan durchgeführt. Dabei handelte es sich um eine Fall-Kontroll-Studie, in der eine Stichprobe an Mundhöhlenkrebs erkrankter Personen (Fall) mit einer Stichprobe gesunder Personen (Kontrolle) verglichen wurde. Die umfangreichen Befragungen vor Ort in zwei großen Städten führte ein Team unter Anleitung des vom DAAD (Deutscher Akademischer Austauschdienst) geförderten Wissenschaftlers Zohaib Khan durch, der selbst aus Pakistan stammt und entsprechend mit Sprache und Kultur dort vertraut ist.

    „Die Forschungen vor Ort wurden durch den schrecklichen Terroranschlag in Peschawar im Dezember 2014 überschattet, bei dem fast 150 Menschen – vor allem Kinder – in einer Schule getötet wurden“, sagt Hajo Zeeb. „Peschawar City wurde komplett abgeriegelt. Die angespannte Lage führte dazu, dass viele Krebspatientinnen und –patienten nicht mehr in die Krankenhäuser kommen konnten. Auf schreckliche Weise zeigte sich hier, welch massive Auswirkungen der Terror auch auf die Gesundheitsversorgung einer ganzen Region haben kann.“

    Hohes Krebsrisiko durch Naswar-Konsum

    „Die Ergebnisse unserer Studie sind deutlich. Im Vergleich zu Personen, die noch nie Naswar konsumierten, haben Personen, die zum Zeitpunkt der Studie oder in der Vergangenheit Naswar konsumierten, ein mehr als 20-fach erhöhtes Risiko, Mundhöhlenkarzinome zu entwickeln“, sagt Hajo Zeeb. „Natürlich haben wir auch andere Risikofaktoren untersucht. Alkoholkonsum etwa hatte kein höheres Risiko zur Folge, während das Rauchen von Tabak das Risiko für Mundhöhlenkrebs ‚nur‘ verdoppelte. Naswar-Konsum stellte jedoch alle Risikofaktoren in den Schatten. Etwa 70 Prozent aller Fälle von Mundhöhlenkrebs in der Studienregion ließen sich auf Naswar zurückführen.“

    Doch warum ist das Risiko bei Naswar im Vergleich etwa zum schwedischen Snus so massiv erhöht? „Hier spielen sicher mehrere Faktoren eine Rolle“, vermutet Hajo Zeeb. „Zum einen hat Naswar einen relativ hohen Anteil schädlicher, tabakspezifischer Nitrosamine verbunden mit einem hohen Nikotingehalt. Viel suchtförderndes Nikotin lässt Konsumenten also häufiger zu einem schädlichen Produkt greifen. Zum anderen bewirkt der hinzugesetzte Löschkalk einen Anstieg des pH-Wertes ins alkalische Milieu, was Freisetzung und Aufnahme des Nikotins fördert. Der alkalische pH-Wert schädigt aber auch die Schleimhaut, bewirkt also Läsionen im Gewebe, die immer auch ein Risikofaktor für Krebs sind. In Snus ist Kalk nicht enthalten.“ Zudem enthält auch die hinzugesetzte Asche Schwermetalle, welche die Toxizität von Naswar erhöhen.

    Weitere Studien und politische Konsequenzen

    Die vorhandenen Studiendaten erlauben weitere Auswertungen, etwa zu Mundhygiene, Naswar und Mundhöhlenkrebs. Aus den Ergebnissen der Studie haben sich aber auch schon erste Konsequenzen ergeben, denn die Provinzregierung in der Studienregion in Pakistan hat ihre Tabakkontrollpolitik erstmalig auch auf rauchfreien Tabak ausgedehnt. Das Studienteam um Zohaib Khan und Hajo Zeeb plant derzeit weitere kooperative Forschungen dazu, wie die Tabakkontrolle in Pakistan besser unterstützt und umgesetzt werden kann.

    Die Originalpublikation „Oral cancer via the bargain bin: The risk of oral cancer associated with a smokeless tobacco product (Naswar)”, Zohaib Khan et al., ist erschienen in PLOS ONE.

    (http://journals.plos.org/plosone/article/related?id=10.1371/journal.pone.0180445).

    Das BIPS – Gesundheitsforschung im Dienste des Menschen

    Die Bevölkerung steht im Zentrum unserer Forschung. Als epidemiologisches Forschungsinstitut sehen wir unsere Aufgabe darin, Ursachen für Gesundheitsstörungen zu erkennen und neue Konzepte zur Vorbeugung von Krankheiten zu entwickeln. Unsere Forschung liefert Grundlagen für gesellschaftliche Entscheidungen. Sie klärt die Bevölkerung über Gesundheitsrisiken auf und trägt zu einer gesunden Lebensumwelt bei.

    Das BIPS ist Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft, zu der 91 selbstständige Forschungseinrichtungen gehören. Die Ausrichtung der Leibniz-Institute reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute widmen sich gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten Fragen. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 18.700 Personen, darunter 9.500 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Der Gesamtetat der Institute liegt bei mehr als 1,8 Milliarden Euro.


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Gesellschaft, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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