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Die Konzepte zur Reform der Einkommensteuer und des Solidaritätszuschlags in Deutschland driften je nach politischem Lager weit auseinander. Die privaten Haushalte hierzulande sind davon äußerst unterschiedlich betroffen: Die Wirkung der steuerlichen Gesamtentlastung schwankt zwischen 1,5 Milliarden Euro und 34,6 Milliarden Euro, die durchschnittlichen verfügbaren Einkommen privater Haushalte steigen in einer Spanne zwischen 107 Euro und 905 Euro pro Jahr. Bei sämtlichen Reformvorschlägen wächst die absolute Entlastung (in Euro-Beträgen) über weite Teile mit dem Einkommen.
Dies sind wesentliche Ergebnisse einer gemeinsamen Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), Mannheim, und des Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit (IZA), Bonn, im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi). Die an der Studie beteiligten Wissenschaftler haben die Reformvorschläge auf dem Gebiet von Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag untersucht, wie sie in den Regierungsprogrammen von CDU/CSU und SPD enthalten sind. Ebenfalls simuliert wurden die Vorschläge des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und des bayrischen Finanzministeriums, der sogenannte „Bayern-Tarif“. Das Mikrosimulationsmodell von ZEW und IZA fußt auf der Erhebungswelle der Faktisch Anonymisierten Lohn- und Einkommensteuerstatistik (FAST) aus dem Jahr 2010 sowie auf Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) von 2015.
Von den Vorschlägen der Union würden Haushalte mit einem zu versteuernden Einkommen zwischen 150.000 Euro und 250.000 Euro in absoluter Betrachtung am stärksten profitieren. Bezogen auf das Einkommen, ist die relative Entlastung bei zu versteuernden Einkommen zwischen 100.000 Euro und 150.000 Euro am größten. Auch die Vorschläge der SPD und des DGB kommen der oberen Mittelschicht tendenziell stärker zugute als Geringverdienern. Hier liegt der Schwerpunkt der Entlastungswirkung jedoch bereits bei einem zu versteuernden Einkommen zwischen 55.000 Euro und 80.000 Euro beziehungsweise – bezogen auf das verfügbare Einkommen – bei 40.000 Euro bis 55.000 Euro. Für Haushalte mit zu versteuernden Einkommen jenseits von 150.000 Euro führen die Vorschläge von SPD und DGB dagegen zu beträchtlichen Einkommensverlusten. Haushalte, die mehr als 250.000 Euro jährlich versteuern, würden im SPD-Vorschlag mit etwa 7.500 Euro und beim DGB-Vorschlag sogar mit gut 20.000 Euro pro Jahr zusätzlich belastet.
Die Studie zeigt weiter, dass die Entlastungswirkungen bei der beabsichtigten Reform von Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag insgesamt für den DGB-Vorschlag bei zwei Milliarden Euro, für den SPD-Reformvorschlag bei 6,1 Milliarden Euro und für den CDU/CSU-Vorschlag bei 21,2 Milliarden Euro liegen. Die reinen Einkommensteuerkomponenten des Bayern-Tarifs belaufen sich auf 8,2 Milliarden Euro. Würde die von CDU und CSU in Aussicht gestellte Abschaffung des Solidaritätszuschlags bereits heute umgesetzt, fiele die Entlastungswirkung mit 22,6 Milliarden Euro (CSU) beziehungsweise 34,6 Milliarden Euro (CDU) deutlich höher aus.
Sämtliche Reformkonzepte führen dazu, dass sich das Arbeitsangebot ausdehnt, da durch die Entlastungen ein größerer Anteil des Mehrverdienstes beim Arbeitnehmer ankommt. Die stärksten positiven Arbeitsangebotseffekte gehen von den Vorschlägen der Union aus (bis zu 400.000 Vollzeitäquivalente). Werden die Effekte ins Verhältnis zur fiskalischen Entlastungswirkung gesetzt, liegt der DGB-Vorschlag mit 7,3 Vollzeitäquivalenten pro 100.000 Euro Entlastung vorne, gefolgt vom Bayern-Tarif mit 2,4 Vollzeitäquivalenten und dem SPD-Vorschlag mit 1,9 Vollzeitäquivalenten.
Treffen diese positiven Arbeitsangebotseffekte auf eine entsprechende Nachfrage, entstehen Gegenfinanzierungseffekte. Diese belaufen sich nach den Vorschlägen von SPD und DGB auf jeweils rund zwei Milliarden Euro, bei Zugrundelegung des Bayern-Tarifs auf 4,5 Milliarden Euro sowie bei Umsetzung des Konzepts von CDU/CSU beziehungsweise der CDU/CSU-Mittelstandsvereinigung auf etwa sieben Milliarden Euro.
„Derzeit wird oft beklagt, dass sich die Konzepte der etablierten Parteien kaum noch unterscheiden. Bei den steuerpolitischen Vorstellungen trifft das das aber nicht zu. Hier bedienen die Parteien nach wie vor unterschiedliche Einkommensgruppen“, kommentiert Dr. Holger Stichnoth, kommissarischer Leiter der ZEW-Forschungsgruppe „Internationale Verteilungsanalysen“ und Mitautor der Studie, die Ergebnisse. Die Verteilungswirkungen der Konzepte, so Stichnoth, seien für viele Bürgerinnen und Bürger aber nicht leicht zu durchschauen. So profitierten von einer Beseitigung des Mittelstandsbauchs nicht nur die Haushalte der Mittelschicht, sondern auch Haushalte mit hohem Einkommen. Die von der SPD geforderte Abschaffung des Solidaritätszuschlags für Einkommen unter 52.000 Euro würde auch Wohlhabende besser stellen.
Holger Bonin, Forschungsdirektor am IZA, sagt zu der Studie: „Wenn die Politik die Mittelschicht und Geringverdiener entlasten will, bringen Änderungen am Tarif der Einkommensteuer oder beim Solidaritätszuschlag relativ wenig. Mehrwertsteuersenkungen würden diesen Zielgruppen deutlich mehr bringen.“ Bonin warnt zudem davor, durch Steuersenkungen staatliche Gestaltungsspielräume zu stark einzuschränken. „Auch wenn eine Steuerreform in dieser Legislaturperiode sicher notwendig ist: Die öffentliche Hand sollte auch danach noch genügend Geld für die dringenden Investitionen in Bildung und Infrastruktur behalten.“
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Die Studie „Ökonomische Bewertung verschiedener Reformoptionen im deutschen Steuer- und Transfersystem“ von ZEW und IZA ist Teil eines Rahmenvertrags für das BMWi. Neben dem IZA kooperiert das ZEW dabei auch mit dem Wirtschaftsforschungs- und Beratungsunternehmen Prognos AG.
Download (PDF, 145 Seiten, 5 MB):
http://ftp.iza.org/IZA-ZEW-Studie_BMWi2017.pdf
Pressekontakt:
Mark Fallak
Head of Communications, IZA
Tel.: (0228) 3894-223
E-Mail: fallak@iza.org
Merkmale dieser Pressemitteilung:
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