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Wissenschaft
Psychologen der Universität Jena erforschen die Zeitwahrnehmung von Depressions-Patienten
Jena (10.09.03) Ist die Stimmung gut, vergeht die Zeit wie im Flug. Die berüchtigten "schwarzen Stunden" dagegen kriechen nur so dahin: Was psychisch gesunde Menschen lediglich aus vorübergehenden Stimmungstiefs kennen, quält Depressive mitunter jahrelang. Ihre Krankheit lässt sie die Zeit extrem gedehnt erleben. Betroffene sprechen vom "Zeitlupengefühl". Psychologen der Friedrich-Schiller-Universität Jena haben jetzt nachgewiesen, dass Depressionen die Zeitwahrnehmung in noch größerem Umfang verändern als bisher erforscht: Verloren geht nicht nur die Fähigkeit, die Länge einer Zeitspanne richtig einzuschätzen - auch Pünktlichkeit, Zeiteinteilung und Stressresistenz sind beeinträchtigt.
Beispiel Pünktlichkeit: "Menschen, die an einer Depression leiden, sehen oft keinen Ausweg mehr aus ihrer Lage. Sie können sich zu nichts entschließen und planen weniger häufig und konkret als psychisch Gesunde. Deshalb fällt es ihnen auch schwerer, ihre Zeit einzuteilen und sich an Termine zu halten", erklärt Prof. Dr. Brigitte Edeler. Die Psychologin von der Universität Jena leitet das 2001 gestartete Forschungsprojekt, aus dem die neuen Erkenntnisse zur Zeitwahrnehmung stammen. "Das Gefühl, ihre aktuellen Probleme nicht lösen zu können, führt außerdem dazu, dass Depressive die Vergangenheit verklären und sich nach ihr zurücksehnen", so Edeler weiter. "Veränderter Zeithorizont" lautet der Fachausdruck für dieses Phänomen.
Paradox: Depressive fühlen sich häufig unter Zeitdruck
Auf den ersten Blick paradox wirkt ein anderes Ergebnis der Jenaer Psychologen: Obwohl Depressive häufig so viel Lebensenergie verloren haben, dass sie schon morgens nicht wissen, ob sie aufstehen oder liegen bleiben sollen, fühlen sie sich öfter als psychisch Gesunde unter innerem Zeitdruck und Stress: "Dieses besonders belastende Gefühl entsteht, wenn die Antriebslosigkeit der Patienten mit den Anforderungen der Umwelt - tatsächlichen oder bloß vorgestellten - in Konflikt gerät", macht Edeler den scheinbaren Widerspruch verständlich.
Frühere Untersuchungen zur Zeitwahrnehmung von Depressions-Patienten hatten sich vor allem auf den Zeitaspekt der Dauer konzentriert. In die Jenaer Studie sind auch andere Aspekte einbezogen, die das Zeiterleben ausmachen - außer der Zeiteinteilung und der Neigung zu Stress etwa das individuelle Tempo und die Fähigkeit, mehrere Aufgaben gleichzeitig zu erledigen. "Dass sich Depressive auch im Erleben dieser Zeitaspekte von psychisch Gesunden unterscheiden, war bisher zwar schon vermutet worden", sagt Edeler, "aber was noch fehlte, war der Nachweis, den unsere Untersuchung jetzt erbracht hat."
Ihr selbst gestecktes Ziel haben die Jenaer Forscher damit allerdings noch nicht erreicht. Erst im kommenden Jahr wollen sie die letzten Daten für ihre Studie erheben und auswerten. Sie untersuchen dazu eine repräsentative Gruppe von Depressions-Patienten, die in Kliniken in Thüringen, Sachsen, Schleswig-Holstein und Bayern stationär behandelt werden. "Was wir noch besser verstehen möchten, sind die Zusammenhänge zwischen dem Zeiterleben der Patienten und ihrer Persönlichkeit, ihrem sozialen Umfeld, der Art ihrer Depression und dem Stadium ihrer Krankheit", nennt Edeler die Punkte, zu denen sie und ihr Team nächstes Jahr Ergebnisse vorlegen wollen.
Kontakt:
Prof. Dr. Brigitte Edeler
Institut für Psychologie der Universität Jena
Am Steiger 3 / Haus 1
07743 Jena
Tel.: 03641 / 945125
Fax: 03641 / 945122
E-Mail: sbe@rz.uni-jena.de
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin, Psychologie
überregional
Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
Deutsch
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