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30.01.2018 09:38

Gemeinsam gegen Übeltäter: Demokratische Bestrafung erhöht die Kooperationsbereitschaft

Dr. Anne Klostermann Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGPs)

    Wie lässt sich kooperatives Verhalten in einer Gruppe fördern? Eine einfache Antwort lautet: indem unkooperative Gruppenmitglieder bestraft werden. Eine Studie von Psychologen der Universitäten Ulm und Aachen zeigt nun, dass die Effektivität einer solchen Strafe erhöht werden kann, wenn die Gruppe über die Bestrafung demokratisch entscheidet. Die Ergebnisse werden in der Fachzeitschrift „Journal of Behavioral Decision Making“ veröffentlicht.

    Jeder kennt das Kooperationsdilemma in Gruppen: eigentlich sollten alle Gruppenmitglieder ihren Beitrag leisten, aber es gibt immer wieder die Trittbrettfahrer, die sich zurücklehnen und anderen das Arbeiten überlassen. Trittbrettfahren ist nicht nur für die Zusammenarbeit in Teams, sondern auch für ganze Gesellschaften ein Problem. Manche hinterziehen Steuern, genießen aber die Leistungen des Staates. Manche Eltern lassen ihre Kinder nicht impfen, profitieren aber von der reduzierten Ansteckungsgefahr geimpfter Kinder. „Egoismus ist eine starke Triebfeder“ sagt Stefan Pfattheicher, Sozialpsychologe an der Universität Ulm und Hauptautor der Studie. „Zum Glück gibt es Wege, ihn zu begrenzen. Die Ergebnisse unserer Studie zeigen, dass demokratische Bestrafungssysteme zu mehr Kooperation von Mitgliedern einer Gemeinschaft führen.“

    Gemeinschaftsgüterspiel: Egoismus vs. Kooperation

    Gemeinsam mit Robert Böhm und Rebekka Kesberg hat Pfattheicher ein klassisches Paradigma aus der Spieltheorie eingesetzt, das die oben beschriebenen Beispiele simuliert: das sogenannte Gemeinschaftsgüter-Dilemma. In dieser Versuchsanordnung bilden vier Personen eine virtuelle Gruppe. Jeder Mitspieler sitzt in einem eigenen Raum, er sieht und hört die anderen Gruppenmitglieder nicht und kann sich nicht mit ihnen absprechen. Jedes Gruppenmitglied verfügt über einen Geldbetrag, von dem es beliebig viel in das Gemeinschaftsgut investieren kann. Den nicht investierten Betrag kann jeder Mitspielende behalten. Die Summe aller Investitionen wird am Ende vom Versuchsleiter vervielfacht. Der resultierende Gesamtbetrag wird dann auf alle Mitspieler gleichmäßig verteilt, unabhängig vom Beitrag des Einzelnen. Es lohnt sich also prinzipiell, zu kooperieren. Aber: diejenigen, die nichts oder nur wenig in das Gemeinschaftsgut investieren, können viel behalten und profitieren zudem noch von der Kooperationsbereitschaft der anderen. Sie sind die Trittbrettfahrer in diesem Spiel, genau wie die Steuerhinterzieher im echten Leben.

    Frühere Forschung hat bereits gezeigt, dass sich die Kooperationsquote erheblich erhöhen lässt, wenn man Trittbrettfahrer bestraft, ihnen also ein Teil des Geldes wieder abzieht ‒ auch wenn die Bestrafenden hierfür selbst zur Kasse gebeten werden. Und in der Tat sind viele Spieler tatsächlich bereit, etwas von ihrem Geld abzugeben, um Trittbrettfahrer zu bestrafen. Das Forschungsteam hat nun diese Form der Bestrafung mit einer zweiten Form verglichen, der sogenannten „demokratischen Bestrafung“. Dabei entscheiden alle Gruppenmitglieder gemeinsam darüber, ob ein anderes Mitglied bestraft wird oder nicht. Wenn die Mehrheit der Mitglieder für die Bestrafung ist, wird sie ausgeführt – kommt die Mehrheit nicht zustande, erfolgt keine Bestrafung.

    Demokratische Bestrafungssysteme fördern Kooperation

    Die Forscher analysierten, wie sich die unterschiedlichen Bestrafungsformen auf das Kooperationsverhalten auswirken und wie sie von den Mitspielern erlebt werden. Dabei zeigte sich zum einen, dass alleine die Möglichkeit, Trittbrettfahrer bestrafen zu können, die Kooperationsraten signifikant erhöhte. Dies bestätigt Befunde aus früheren Arbeiten. Neu ist die Beobachtung, dass ein demokratisches Bestrafungssystem zu den höchsten Kooperationsraten führte ‒ und das, obwohl in einem demokratischen Bestrafungssystem die Strafen selbst durchschnittlich niedriger ausfallen als in einem Bestrafungssystem ohne demokratische Entscheidungsfindung. „Das demokratische Bestrafungssystem führt zu einer Maximierung des Gesamtertrags für alle Beteiligten“, schlussfolgert Stefan Pfattheicher.
    Nach jeder Spielvariante bewerteten die Versuchspersonen außerdem ihre Zufriedenheit und ihr Vertrauen in die anderen Gruppenmitglieder und wie fair sie das Spiel empfunden haben. „Hier fanden wir sehr bemerkenswert, dass sich die Probanden mit der demokratischen Bestrafung auch zufriedener fühlten und einander mehr vertrauten“, sagt Stefan Pfattheicher.
    Die Befunde dieser Studie zeigen: Bestrafungssysteme reduzieren die Gefahr von Trittbrettfahren, und zwar insbesondere dann, wenn sich die Gruppe demokratisch entschieden hat, ob und wie hart sie bestrafen will. Stefan Pfattheicher fasst zusammen: „Für soziale Gemeinschaften bedeutet das: Sanktionen ‒ etwa für Schwarzfahren im öffentlichen Verkehr, für Steuerhinterziehung oder für Versicherungsbetrug ‒ sind wirksam, aber noch wirksamer sind sie, wenn diejenigen, die sich kooperativ verhalten, ein Mitspracherecht bei der Entscheidung über die Strafe bekommen.“

    Originalstudie:
    Pfattheicher, S., Böhm, R., & Kesberg, R. (2018). The advantage of democratic peer punishment in sustaining cooperation within groups. Journal of Behavioral Decision Making. DOI: 10.1002/bdm.2050

    Open Science:
    Die Instruktionen für die Versuchspersonen und auch die Daten der Studie sind beim Open Science Framework abrufbar (https://osf.io/4khpj).

    Kontakt bei Rückfragen:
    Dr. Stefan Pfattheicher
    Abteilung Sozialpsychologie
    Universität Ulm
    E-Mail: stefan.pfattheicher@uni-ulm.de

    DGPs-Pressestelle:
    Dr. Anne Klostermann
    Pressereferentin
    Tel.: 030 280 47718
    E-Mail: pressestelle@dgps.de

    Über die DGPs:
    Die Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGPs e.V.) ist eine Vereinigung der in Forschung und Lehre tätigen Psychologinnen und Psychologen. Die über 4400 Mitglieder erforschen das Erleben und Verhalten des Menschen. Sie publizieren, lehren und beziehen Stellung in der Welt der Universitäten, in der Forschung, der Politik und im Alltag.
    Die Pressestelle der DGPs informiert die Öffentlichkeit über Beiträge der Psychologie zu gesellschaftlich relevanten Themen. Darüber hinaus stellt die DGPs Journalisten eine Datenbank von Experten für unterschiedliche Fachgebiete zur Verfügung, die Auskunft zu spezifischen Fragestellungen geben können.
    Wollen Sie mehr über uns erfahren? Besuchen Sie die DGPs im Internet: www.dgps.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Gesellschaft, Psychologie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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