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Wissenschaft
Die neuesten Forschungsergebnisse aus dem Bereich der Frühschizophrenie stehen im Mittelpunkt des Internationalen Symposiums der Rheinischen Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie des Kinder- und Jugendalters am Essener Universitätsklinikum, das von Freitag, 19. September, bis Samstag, 20. September, in der ehemaligen Pädagogischen Hochschule an der Henri-Dunant-Straße stattfindet. Das Symposium trägt den Titel "Entstehung, Verlauf und Behandlung der Schizophrenie bei Kindern und Jugendlichen".
Die Schizophrenie des Kindesalters stellt eine seltene aber klinisch schwere Form der Schizophrenie dar. Sie ist mit kognitiven, sprachlichen und psychosozialen Entwicklungsstörungen verbunden, deren Erforschung wichtige Beiträge über die entwicklungsneurologischen Ursachen der Schizophrenie generell ergeben könnte. Schizophrene Erkrankungen des Kindes- und Jugendalters stellen einen Schwerpunkt der klinischen und wissenschaftlichen Tätigkeit der Essener Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters dar. Aus Anlass des 10jährigen Bestehens der Klinik wurde 1990 bereits ein internationales Schizophrenie-Symposium veranstaltet. Acht Jahre später, im Sommer 1998, wurden mit internationalen Experten der Frühschizophrenie die neuesten Forschungsergebnisse auf einem Symposium über kindliche Schizophrenien diskutiert. Die jetzige Veranstaltung bleibt dieser Tradition treu.
Nachdem 24 Jahre seit Eröffnung der Klinik vergangen sind, hält es Professor Eggers für an der Zeit, das Thema erneut aufzugreifen. National und international hoch anerkannte Spitzenforscher unterstützen diese Tradition und haben sich bereit gefunden, ihre aktuellen Forschungsergebnisse zum Thema schizophrene Erkrankungen vorzustellen: Als Referenten konnten Wissenschaftler aus den USA, Großbritannien, Deutschland und der Schweiz gewonnen werden. Themenschwerpunkte der Veranstaltung sind: Ätiologie, Verlauf, Therapie und Versorgung einschließlich Früherkennung und -intervention. Außerdem werden neue
elektrophysiologische und bildgebende Befunde vorgestellt, die wesentlich genauer als noch vor 10 Jahren die biologischen Prozesse von Aufmerksamkeits- und Wahrnehmungsstörungen der Schizophrenie verständlich machen. Ein weiterer Aspekt betrifft die mangelnde Akzeptanz bis hin zur offenen Ablehnung von Betroffenen durch die Bevölkerung und die Erörterung der Frage, wie Patienten am besten davor geschützt werden können.
Redaktion: Daniela Endrulat, Tel.: (0201) 183-4518
Weitere Informationen: Professor Dr. Christian Eggers, Tel.: (0201) 7227-465/466,
E-Mail: christian.eggers@uni-essen.de
Informationen zu den Referenten und ihren Beiträgen:
Festvortrag: Judith L. Rapoport MD (Bethesda USA)
Judith Rapoport leitet die kinderpsychiatrische Abteilung des nationalen Instituts für seelische Gesundheit (NIMH) in Bethesda, USA. Sie und ihr Team sind führend in der Erforschung der neuropsychologischen und neurophysiologischen Grundlagen der kindlichen Schizophrenie.
Rapoport berichtet über hirnorganische Auffälligkeiten bei Kindern, die an einer Schizophrenie erkrankt sind. Zusammen mit ihrer Kollegin Leslie K. Jacobsen hat sie schizophrene Kinder im Abstand von zwei Jahren mit der Magnetresonanztomographie untersucht und mit 24 nach Alter und Geschlecht parallelisierten Kindern einer Kontrollgruppe verglichen. Dabei konnten die Forscherinnen feststellen, dass sich die Ventrikel (Hirnkammern) der schizophrenen Kinder gegenüber der Kontrollgruppe in dem Beobachtungszeitraum signifikant vergrößert hatten und dass diese Vergrößerungen mit der Symptombelastung korrelierten. Im Vergleich mit den im Erwachsenenalter Erkrankten wiesen diese sehr früh erkrankten Kinder mehr Entwicklungsauffälligkeiten auf. Rapoport und Jacobsen vermuten daher, dass die Schizophrenie eine kontinuierliche entwicklungsneurologische Ätiologie hat.
Tim Crow: (Oxford, GB)
Evolution und Schizophrenie
Der Psychologe Tim Crow aus Großbritannien hatte bereits Anfang der 80er Jahre die Schizophrenie vom Typ I (ca. 30%) und vom Typ II (ca. 70%) beschrieben. Die Typ-I-Schizophrenie ist für ihn gekennzeichnet durch eine positive Symptomatik wie Wahnideen und Halluzinationen. Die Störung beginnt meist akut, die Intelligenz ist in der Regel nicht beeinträchtigt, die Symptome sind durch Neuroleptika gut zu beeinflussen und reversibel. Beim Typ I vermutet Crow eine Neurotransmitterstoffwechselstörung als Ursache. Der Typ II wird von ihm auch als chronische Schizophrenie bezeichnet. Vorherrschend sind Negativsymptome wie Antriebsstörungen und Affektreduktion, das Ansprechen auf Neuroleptika ist gering, die Intelligenz ist meist irreversibel beeinträchtigt und zwar, wie Crow annimmt, aufgrund hirnstruktureller Veränderungen mit Zellverlust vor allem im Schläfenlappenbereich. Die noch heute gültige Einteilung der Schizophrenie in Positiv- und Negativsymptomatik geht auf diese frühen Konzepte von Crow zurück.
In den letzten Jahren hat sich Tim Crow vor allem mit der Entstehung der Schizophrenie beschäftigt und hierzu eine Theorie aufgestellt. Ausgehend von der Beobachtung, dass die Schizophrenie in allen Kulturen weltweit gleich verteilt ist, mithin also eine allgemein menschliche Erkrankung darstellt, beschäftigt er sich mit der Frage, warum diese Erkrankung, die verbunden ist mit einer herabgesetzten Reproduktionsrate, nicht ausstirbt, ob es eventuell einen Evolutionsvorteil gibt, der mit dem Risiko der Schizophrenieerkrankung verbunden ist. Als Antwort verweist er auf die Entwicklung der menschlichen Sprache. Sie bietet einen Evolutionsvorteil, erfordert aber eine starke Spezialisierung der Hirnhälften. Diese Spezialisierung aber wiederum ist nach Crow mit einem erhöhten Schizophrenierisiko verbunden. Tatsächlich gibt es eine Fülle von Hinweisen, dass die Schizophrenie mit einer gestörten Lateralisierung einhergeht. Unter Lateralisierung versteht man Seitenunterschiede zwischen rechter und linker Hirnhälfte. So ist z.B. das Sprachzentrum beim Rechtshänder in der linken, beim Linkshänder in der rechten Hirnhälfte angesiedelt. Tim Crow wird die neuesten Forschungsergebnisse zu diesem Thema vorstellen.
Christian Eggers (Essen)
Langzeitverlauf kindlicher Schizophrenien
Kindliche Schizophrenien sind selten, die Beschreibung von Langzeitverläufen kindlicher Schizophrenien noch seltener. Die Längsschnittstudie kindlicher Schizophrenien über einen Zeitraum von durchschnittlich 42 Jahren, die Professor Eggers vorstellt, ist weltweit einmalig. Sie beschreibt fast den gesamten Lebenslauf von 44 Patienten mit einer schizophrenen Psychose, die im Kindesalter erkrankt sind. Durch diese Langzeitanalyse wurde erst deutlich, wie unterschiedlich die Krankheit im Einzelfall verlaufen kann. Es gibt Patienten, die sich nach der Ersterkrankung in der Kindheit fast vollständig erholen, andere, die immer wieder erkranken und wieder andere, die fast ununterbrochen bis ins mittlere und höhere Lebensalter unter psychotischen Symptomen leiden. Die Gründe für diese unterschiedlichen Krankheitsverläufe sind bisher letztlich nicht bekannt. Durch die Eggers'sche Verlaufsuntersuchung ist die vor noch nicht allzu langer Zeit umstrittene Frage, ob es wirklich kindliche Schizophrenien mit einem so frühen Erkrankungsbeginn gibt, was jetzt endgültig als gesichert angesehen werden kann, beantwortet. Zum anderen ist die Kontinuität von sehr früh beginnenden Schizophrenien des Kindesalters und den Erwachsenenformen bewiesen worden. Auch ist die Stabilität der Diagnose "kindliche Schizophrenie" im Langzeitverlauf hoch, d.h. Kinder, die im Alter zwischen sieben und vierzehn Jahren schizophren waren, sind dies auch noch im mittleren und höheren Erwachsenenalter. Wegen der Seltenheit der kindlichen Psychose sind Verlaufsforschungen auf diesem Gebiet sehr selten. (Die Häufigkeit ist im Kindesalter 50 mal niedriger als bei Erwachsenen.) Die Heilungsaussichten früh erkrankter Schizophrenien sind relativ ungünstig, obwohl im Langzeitverlauf bis zu 20 % gute Heilungen oder sogar volle Ausheilungen vorkommen.
Professor Eggers wird die wichtigsten Ergebnisse seiner Längsschnittuntersuchung kindlicher Schizophrenien vorstellen.
M.C. Angermeyer (Leipzig)
Strategien zur Reduzierung der Stigmatisierung schizophrener Kranker
Psychische Erkrankungen gelten immer noch als "minderwertige" Krankheiten. Sie führen häufig zu Ausgrenzung und Stigmatisierung - einer zweiten Krankheit. Nach einer Erhebung des Jahres 2000 werden schizophren Erkrankte von vielen Menschen für unberechenbar und gefährlich gehalten, wobei sich in den letzten Jahrzehnten diese ablehnende Haltung in der Bevölkerung nicht abgeschwächt sondern eher verstärkt hat. Besonders betroffen von dieser Stigmatisierung sind Jugendliche mit einer Schizophrenie. Professor Angermeyer stellt ein Projekt vor, mit dem es gelungen ist, die Vorurteile und die Ablehnung gerade junger Menschen gegenüber psychisch Kranken deutlich abzubauen. Gelungen ist ihm das in Zusammenarbeit mit den Erkrankten selbst. Im Rahmen eines Forschungsprojektes hat er Informationsveranstaltungen über psychische Krankheiten an Schulen durchgeführt. An einigen Schulen wurden diese Veranstaltungen nur durch Experten durchgeführt, an anderen Schulen waren psychisch Kranke selbst an den Veranstaltungen beteiligt. Dabei hat sich gezeigt, dass die von Experten durchgeführten Veranstaltungen nur dann einen positiven Effekt hatten, wenn Betroffene einbezogen waren. Die Ablehnung psychisch Kranker wird offenbar vor allem dann reduziert, wenn es die Möglichkeit gibt, jemanden mit einer psychischen Erkrankung persönlich kennen zu lernen.
Robert D. Oades (Essen)
Bewusstsein, Aufmerksamkeit und Schizophrenie
Schizophrene Menschen haben häufig Probleme, wichtige von unwichtigen Dingen in ihrer Umgebung zu unterscheiden. Um diese Unterscheidung treffen zu können, müssen die Umgebungsreize zunächst von der Aufmerksamkeit erfasst und dann als relevant oder irrelevant eingestuft werden. Dieser Prozess scheint bei der Schizophrenie gestört zu sein, es
ist aber bisher weder bekannt, worin diese Störung besteht, noch, welche Hirnbereiche davon betroffen sind. Die Untersuchung dieser Vorgänge ist schwierig, weil die Aufmerksamkeits-prozesse außerordentlich schnell ablaufen. Automatische Reaktionen des Gehirns sind schon nach 50 ms feststellbar, die bewusste, willkürliche Registrierung eines Reizes erfolgt frühestens nach 150 ms. Mit Hilfe eines speziellen Messverfahrens ist es Professor Oades erstens gelungen, diese frühen, noch unbewussten Aufmerksamkeitsreaktionen in Form sogenannter "ereigniskorrelierter Potentiale" abzuleiten und Unterschiede zwischen Gesunden und Schizophreniepatienten nachzuweisen und zweitens die Erregungsquellen dieser Potentiale zu bestimmen. Da die ereigniskorrelierten Potentiale bei den Schizophreniepatienten gestört sind, sind die dazugehörigen Erregungsquellen dieser Potentiale vermutlich der Ausgangspunkt der Störung im Gehirn. Wie Professor Oades zeigen wird, liegen diese Störungszentren bei der Schizophrenie vor allem im frontalen und im temporalen Hirnbereich.
Luc Ciompi (Lausanne, CH)
Erfahrungen mit dem Soteria Projekt in Bern
Professor Luc Ciompi ist ein ausgewiesener reformorientierter Sozialpsychiater an der renommierten psychiatrischen Universitätsklinik in Bern, seit einigen Jahren emeritiert, aber noch sehr aktiv. Er ist bekannt geworden durch eine Langzeitanalyse bei schizophrenen Patienten im höheren Lebensalter, die er bereits 1976 unter dem Titel "Lebensweg und Alter der Schizophrenen" veröffentlicht hat. Er hat sich aber nicht nur mit der Verlaufsbeschreibung der Erkrankung beschäftigt, sondern auch sehr intensiv nach neuen Behandlungsmöglichkeiten gesucht und hier insbesondere nach Alternativen zur medikamentösen Standardtherapie. Mit der therapeutischen Einrichtung "Soteria" in Bern hat Ciompi konsequent eine Therapie mit einem Minimum an Medikamenten angeboten. Statt der Behandlung mit hohen Medikamenten-dosierungen wurden die Patienten auch in den akuten Krankheitsphasen intensiv persönlich betreut. Die Erfahrungen mit diesem Behandlungskonzept werden von Professor Ciompi zusammenfassend dargestellt.
Kurt Hahlweg (Braunschweig)
Familienbetreuung schizophrener Patienten
In den letzten beiden Jahrzehnten hat sich weltweit die Überzeugung durchgesetzt, dass bei der Behandlung von Psychosen eine enge Zusammenarbeit zwischen Patienten, Familie und behandelnder Einrichtung eine entscheidende Rolle bei der Verbesserung der Behandlungsergebnisse spielt. Das gilt vor allem für junge Patienten, die noch sehr in ihren Familien gebunden sind und deren psychosoziale Entwicklung durch das frühe Erkrankungsalter besonders gefährdet ist. Die psychotischen Symptome der Denk- und Kommunikationsstörung, die starken affektiven Schwankungen und der Antriebsverlust der Patienten führen selbst in stabilen Familien zu einem unerträglichen emotionalen Leidensdruck bei allen Beteiligten. Hinzu kommt die Stigmatisierung der psychischen Erkrankung durch die Umgebung mit der Gefahr des sozialen Rückzugs und der Isolation der gesamten Familie. Aus diesen Gründen haben psychoedukative Familienbetreuungsprogramme mit Informationsvermittlung, Kommunikationstraining und Problemlösetraining für die Angehörigen schizophrener Patienten in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Das Hauptziel dieser Psychodedukationsarbeit besteht darin, die Patienten und ihre Familien zu befähigen, die krankheitsbedingten besonderen Lebensumstände und die damit verbundenen Krisen zu meistern und möglichst unabhängig von psychiatrischen Institutionen und öffentlichen Einrichtungen selbständig und eigenverantwortlich zu leben. Ein solches Familienbetreuungsprogramm ist von Professor Hahlweg entwickelt worden. Forschungsergebnisse zu diesem Programm wird er auf dem Symposium vorstellen.
A.K. Braun (Magdeburg)
Zur Entwicklungsbiologie: Die Synaptogenese
Katharina Braun hat sich wissenschaftlich mit dem Einfluss frühkindlicher Erfahrungs- und Lernprozesse auf die strukturelle und funktionelle Reifung des Gehirns beschäftigt und in einer großen Zahl von tierexperimentellen Untersuchungen diesen Einfluss nachgewiesen. So konnte die Wissenschaftlerin zeigen, dass psychosoziale Einflüsse während bestimmter sensibler frühkindlicher Entwicklungsphasen zu dauerhaften und tiefgreifenden Veränderungen der Hirnfunktion führen können, die sich später nur ganz bedingt und mit hohem Aufwand korrigieren lassen. Vor allem die erfahrensgesteuerte funktionelle Reifung von entwicklungsgeschichtlich alten Hirnregionen, wie dem limbischen System sind besonders empfindlich gegenüber frühen traumatisierenden Einflüssen und emotionalen Mangelerlebnissen! Und genau diese Hirnregion ist von besonderer Bedeutung für kognitive und emotionale Prozesse, die bei schizophrenen Psychosen beeinträchtigt sind! Die in ihrer Bedeutung kaum zu überschätzenden Befunde von Frau Braun belegen also die Bedeutung psychosozialer Einflüsse, speziell emotionaler, traumatischer Mangelerlebnisse auf die Entstehung schizophrener Psychosen. Daraus folgt, dass eine alleinige Psychopharmakatherapie für die Behandlung schizophrener Patienten nicht ausreicht.
Die Vorträge von Privatdozent Dr. Braus, Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim, und Professor Hirsch, Neuropsychiater aus London, befassen sich mit Hirnregionen, die bei schizophrenen Psychosen zumindest funktionell gestört sind.
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Gesellschaft, Medizin
überregional
Buntes aus der Wissenschaft, Wissenschaftliche Tagungen
Deutsch
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