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Wissenschaft
Nacktmulle können um ein Vielfaches älter als andere Nagetiere wie Maus, Ratte und Meerschweinchen werden. Sie werden als langlebig bezeichnet; genau wie der Mensch mit einer maximalen Lebenserwartung von ca. 120 Jahren. Die Untersuchung der genetischen und molekularen Ausstattung langlebiger Tiere im Vergleich mit kurzlebigen Spezies sollte somit zu wichtigen Erkenntnissen auf dem Weg zu einem langen und gesunden Leben führen. Forscher des Leibniz-Instituts für Alternsforschung (FLI) haben nun zusammen mit Kollegen anderer Forschungseinrichtungen zwei aktuelle „Back-to-back“-Studien zu Fragen der Langlebigkeit von Nacktmullen in der Fachzeitschrift BMC Biology veröffentlicht.
Jena. Eine evolutionäre Theorie des Alterns, die sogenannte „Wegwerfkörpertheorie“ (Disposable Soma Theory of Aging), geht davon aus, dass jedem Organismus während seines Lebens nur begrenzte Energieressourcen zur Verfügung stehen. Diese Ressourcen müssen sowohl für die Erhaltung des Körpers als auch für die Fortpflanzung genutzt werden. Arten, die aufgrund äußerer Gefahren mit einer hohen Mortalität (Sterblichkeit) konfrontiert sind, investieren mehr Energie in die Fortpflanzung, um das Überleben ihrer Art zu sichern. Umgekehrt scheinen Arten, die niedrigeren Gefahren ausgesetzt sind, ihre Ressourcen vorwiegend zur Erhaltung des Organismus einzusetzen. Das heißt, solche Arten halten ihren Körper „gesund“, was zu einer längeren Fortpflanzungsphase während ihres langen Lebens führt.
Nacktmulle (Heterocephalus glaber) gelten als besonders langlebig unter den Nagetieren; im Vergleich zu Mäusen, Ratten und Meerschweinchen können sie mit bis zu 30 Jahren um ein Vielfaches älter werden. Dabei bleiben diese mausgroßen Tiere bis ins hohe Alter gesund und fortpflanzungsfähig. Bei der Untersuchung von solchen außergewöhnlich langlebigen Tieren stellt sich daher die Frage, welche molekularen oder genetischen Eigenschaften das lange und gesunde Leben erklären können.
Forscherteams des Leibniz-Instituts für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI) in Jena haben mit Kollegen anderer Forschungseinrichtungen die genetische und molekulare Ausstattung von Nacktmullen im Vergleich zu anderen Spezies untersucht. Diese zwei „Back-to-back“-Studien zu Fragen der Langlebigkeit von Nacktmullen wurden jetzt in der Fachzeitschrift BMC Biology veröffentlicht.
Geschlechtsreife und langes Leben
In der ersten Studie haben Forscher um Dr. Martin Bens vom Leibniz-Institut für Alternsforschung zusammen mit Wissenschaftlern vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) den Zusammenhang zwischen Fortpflanzung und Langlebigkeit von Nacktmullen untersucht. Nacktmulle leben in unterirdischen Bauten in den Halbwüsten Ostafrikas in großen eusozialen Kolonien (Staatenbildung). In einer Kolonie sorgen nur die Königin und ein bis drei Männchen für den Nachwuchs. Im Gegensatz zu eusozialen Bienenvölkern sind in den Nacktmullkolonien prinzipiell alle Tiere zur Fortpflanzung fähig. Ihre sexuelle Reifung wird jedoch durch die Anwesenheit des „Königspaares“ unterdrückt.
Zur Untersuchung der Auswirkung des Wechsels vom Arbeiter zum König bzw. zur Königin, wurden fortpflanzungsinaktive männliche und weibliche Arbeiter aus einer Kolonie entnommen und mit einem nicht verwandten Partner aus einer anderen Kolonie verpaart. Dies veranlasst die Tiere, einen neuen Staat zu gründen und sie beginnen sich fortzupflanzen. Basierend auf Transkriptomanalysen verglichen die Wissenschaftlicher anschließend die Gewebe fortpflanzungsaktiver und -inaktiver Tiere miteinander. Die gewonnenen Ergebnisse wurden dann mit denen von fortpflanzungsaktiven und -inaktiven Meerschweinchen (Caviidae) verglichen; enge Verwandte des Nacktmulls mit vergleichsweise kurzer Lebensspanne.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass zwischen Nacktmullen und Meerschweinchen mehr als die Hälfte der untersuchten Gene unterschiedlich exprimiert sind und diese Gene besondere alternsbezogene Merkmale aufweisen“, berichtet Dr. Bens. „Während bei den fortpflanzungsinaktiven Nacktmullen und Meerschweinchen in den molekularen Signaturen zwischen Weibchen und Männchen keine signifikanten Unterschiede auftraten, wiesen Nacktmulle im Verlauf der sexuellen Reifung nicht nur Veränderungen bei den Geschlechtsmerkmalen, sondern auch in den Genexpressionsprofilen ihrer Gewebe auf“, so Dr. Bens weiter.
Die Forschungsergebnisse liefern außerdem Hinweise auf eine verlängerte Lebensdauer: Wenn Nacktmulle den Prozess der sexuellen Reifung durchlaufen und somit fruchtbar werden, dann treten molekulare Signaturen auf, die mit einer verlängerten Lebens- und Gesundheitsspanne verbunden sind. Im Gegensatz dazu verringern sich bei Meerschweinchen solche molekularen Netzwerke. Dieses Ergebnis passt zur langen Lebensdauer von Nacktmull-Königinnen von bis zu 30 Jahren; trotz fortwährender Zeugung von ca. 40 Nachkommen pro Jahr.
Ja - sie altern doch!
Aktuelle Studien, die auf demographischen Profilen von Nacktmullen basierten, zeigten, dass das Sterberisiko der Tiere mit dem Alter nicht zunimmt. Dies wurde als Hinweis darauf gedeutet, dass Nacktmulle nicht altern. In der zweiten Studie in der Fachzeitschrift BMC Biology haben Forscher vom FLI zusammen mit Partnern des IZW und dem Institut für Anästhesiologische Pathophysiologie und Verfahrensentwicklung des Universitätsklinikums Ulm den Alternsprozess von Nacktmullen auf molekularer Ebene untersucht. Zur Identifizierung von Faktoren, die langlebige von kurzlebigen Spezies unterscheiden, verglichen sie die Leber von Nacktmullen mit der von Meerschweinchen.
Durch Kombination proteomischer und transkriptomischer Methoden konnten die Forscher Unterschiede in der Zusammensetzung der Mitochondrien, den „Kraftwerken der Zelle“, nachweisen. „Im Vergleich Nacktmull zu Meerschweinchen fanden wir zwischen den beiden Arten unterschiedliche Wege zur Energiegewinnung“, erklärt Dr. Alessandro Ori, Juniorgruppenleiter am FLI und Hauptautor der Studie. Nacktmulle können beispielsweise Fettsäuren besser nutzen. „Außerdem konnten wir durch Untersuchung der Leber von jungen und alten Nacktmullen alternsabhängige Veränderungen des Proteinspiegels feststellen. Für uns ein Hinweis, dass auch beim Nacktmull Alternsprozesse ablaufen“.
Interessanterweise wird beim Altern der Nacktmulle in der Leber die gleiche Gruppe von Proteinen beeinflusst, die beim Menschen für die Eliminierung toxischer Substanzen verantwortlich ist. Das weist auf einen direkten Zusammenhang zwischen den Alternsprozessen dieser beiden Spezies hin. Im Hinblick auf die These, dass Nacktmulle nicht altern, belegen die jüngsten Ergebnisse, das Nacktmulle auf molekularer Ebene doch altern, jedoch nur gering. „Nun müssen wir untersuchen, ob die beobachteten molekularen Veränderungen während des Lebens von Nacktmullen deren Gesundheit beeinflusst und ihre Lebenserwartung einschränkt, wie das etwa bei anderen Modellorganismen in der Alternsforschung, wie z.B. bei den Fadenwürmern C. elegans, der Fall ist“.
Publikationen
*** Sperrfrist bis Mittwoch 1. August, 20:00 EDT / Donnerstag 2. August, 01:00 BST ***
Naked mole-rat transcriptome signatures of socially-suppressed sexual maturation and links of reproduction to aging. Bens M, Szafranski K, Holtze S, Sahm A, Groth M, Kestler HA, Hildebrandt TB, Platzer M. BMC Biology 2018, https://doi.org/10.1186/s12915-018-0546-z.
Species comparison of liver proteomes reveals links to naked mole-rat longevity and human aging. Heinze I, Bens M, Calzia E, Holtze S, Dakhovnik O, Sahm A, Kirkpatrick J, Szafranski K, Romanov N, Holzer K, Singer S, Ermolaeva M, Platzer M, Hildebrandt TB, Ori A. BMC Biology 2018, https://doi.org/10.1186/s12915-018-0547-y
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Kontakt
Dr. Kerstin Wagner
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Tel.: 03641-656378, E-Mail: presse@leibniz-fli.de
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Hintergrundinformation
Das Leibniz-Institut für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI) in Jena widmet sich seit 2004 der biomedizinischen Alternsforschung. Über 330 Mitarbeiter aus 30 Nationen forschen zu molekularen Mechanismen von Alternsprozessen und alternsbedingten Krankheiten (http://www.leibniz-fli.de).
Die Leibniz-Gemeinschaft verbindet 93 selbständige Forschungseinrichtungen. Ihre Ausrichtung reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute widmen sich gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten Fragen. Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Forschung, auch in den übergreifenden Leibniz-Forschungsverbünden, sind oder unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an. Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer, vor allem mit den Leibniz-Forschungsmuseen. Sie berät und informiert Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit. Leibniz-Einrichtungen pflegen enge Kooperationen mit den Hochschulen – u.a. in Form der Leibniz-WissenschaftsCampi, mit der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland. Sie unterliegen einem transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 19.100 Personen, darunter 9.900 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Der Gesamtetat der Institute liegt bei mehr als 1,9 Milliarden Euro (http://www.leibniz-gemeinschaft.de).
Naked mole-rat transcriptome signatures of socially-suppressed sexual maturation and links of reproduction to aging. Bens M, Szafranski K, Holtze S, Sahm A, Groth M, Kestler HA, Hildebrandt TB, Platzer M. BMC Biology 2018, https://doi.org/10.1186/s12915-018-0546-z.
Species comparison of liver proteomes reveals links to naked mole-rat longevity and human aging. Heinze I, Bens M, Calzia E, Holtze S, Dakhovnik O, Sahm A, Kirkpatrick J, Szafranski K, Romanov N, Holzer K, Singer S, Ermolaeva M, Platzer M, Hildebrandt TB, Ori A. BMC Biology 2018, https://doi.org/10.1186/s12915-018-0547-y
http://www.leibniz-fli.de - Webseite Leibniz-Institut für Alternsforschung - Fritz-Lipmann-Institut (FLI) Jena
Nacktmulle gelten als langlebig. Im Vergleich kurzlebiger zu langlebiger Spezies können Unterschiede ...
(Foto: Karol Szafranski / FLI)
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
Biologie, Chemie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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