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Mit Unterzeichnung der Weimarer Verfassung am 11. August 1919 wurde auch das Zölibat für Lehrerinnen aufgehoben. Seit 1879 hatten Beamtinnen mit der Verheiratung aus dem Staatsdienst ausscheiden müssen und – je nach Land – auch ihre Pensionsansprüche verloren. Bereits 1923 wurde das Lehrerinnenzölibat wieder eingeführt, bundesweit abgeschafft erst 1951, in Baden-Württemberg sogar erst 1956. Anlässlich des hundertsten Jahrestages der Aufhebung des Zölibats erinnern zwei Historikerinnen der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe an diese diskriminierende Ausnahmebestimmung.
„Zunächst hatten sich die Lehrerinnen zu Beginn des 19. Jahrhunderts den Zugang zu ihrem Beruf hart erkämpfen müssen – meist wurden sie nur eingestellt, wenn ein Lehrermangel herrschte“, berichten Prof. Dr. Sabine Liebig und Dr. Brigitte Übel. Die ersten Gesetze, die vorschrieben, dass Lehrerinnen bei Verheiratung aus dem Schuldienst ausscheiden mussten, seien 1879 verabschiedet worden. Den Anfang habe Baden gemacht. Im Gesetzes- und Verordnungsblatt für das Großherzogtum von 1879 habe es geheißen: „Nur unverheirathete Frauen können als Lehrerinnen, welche die in dem gegenwärtigen Gesetz bestimmten Rechte zukommen, angestellt werden.“ Im Jahr 1880 sei dann eine ähnliche Ankündigung im Zentralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung in Preußen erfolgt.
Zölibat 1923 erneut gesetzlich eingeführt
„Zunächst traten die radikalen Vertreterinnen der bürgerlichen Frauenbewegung für die Abschaffung des ‚Beamtinnen-Zölibats‘ ein“, berichten die beiden Historikerinnen: „Doch erst im Juni 1904 bei der ersten Internationalen Lehrerinnen-Versammlung in Berlin wurde die Abschaffung öffentlich thematisiert.“ Maria Lischnewska, zweite Vorsitzende des Landesvereins Preußischer Volksschullehrerinnen, habe die sofortige Aufhebung des Zölibats mit der Begründung gefordert, „dass unter anderem für die Frauen neben der Unterdrückung des Geschlechtstriebes auch noch der Verzicht auf Mutterschaft mit dem Beruf der Lehrerin einherging.“
Sowohl die Lehrerinnen in ihren Vereinen als auch die Gesellschaft, so Prof. Dr. Liebig und Dr. Übel, seien jedoch in Bezug auf die Abschaffung gespalten gewesen. Argumente gegen die Abschaffung seien etwa gewesen, dass eine verheiratetet Lehrerin weder Zeit habe, sich ganz Mann und Kindern zu widmen, noch der Arbeit in der Schule, dass sie also beide Bereiche vernachlässigen müsse. Selbst nach 1919 hätten Lehrerinnenvereine Petitionen eingereicht, die Aufhebung des Zölibats wieder rückgängig zu machen.
Mit der „Personalabbauverordnung“ von 1923 sei das Beamtinnenzölibat wieder gesetzlich eingeführt worden. Und wenn verheiratete Lehrerinnen im Schuldienst bleiben durften, dann hätten sie oft niedrigere Ortszuschläge erhalten. „1932 wurde dann sogar mit Hilfe der SPD unter dem Motto ‚Kampf den Doppelverdienern‘ ein Gesetz über die Rechtsstellung der weiblichen Beamten verabschiedet, welches das ‚Beamtinnen-Zölibat‘ erneut legalisierte“, informieren die Wissenschaftlerinnen. Die Nationalsozialisten hätten dieses Gesetz gerne aufgegriffen und viele Beamtinnen entlassen. Während des Zweiten Weltkriegs seien dann – wie schon im Ersten Weltkrieg – Frauen wegen Lehrermangels wieder eingesetzt worden, als ‚Verfügungsmasse‘, die nicht gleichberechtigt mit den Männern gesehen wurde.
Selbst Grundgesetz brachte kein Ende der Diskriminierung
„Und auch nach 1945 blieb die Benachteiligung von Lehrerinnen in Kraft. Denn noch 1950 beschloss der Bundestag ein Beamtengesetz mit benachteiligenden Sonderbestimmungen für weibliche Beamte, unter anderem die Verbeamtung von Frauen erst mit 35 und die Möglichkeit, wirtschaftlich abgesicherte verheiratete Beamtinnen zu entlassen“, so Prof. Dr. Liebig und Dr. Übel. Selbst das Grundgesetz habe 1949 kein Ende der Diskriminierung von Lehrerinnen gebracht. Elisabeth Selbert, die schon den Gleichberechtigungsgrundsatz hart erkämpft hatte, habe sich weiter vehement für die Gleichberechtigung einsetzen müssen. Bundesweit abgeschafft worden sei das Lehrerinnenzölibat schließlich 1951, im erzkonservativen Baden-Württemberg erst 1956.
Über Jahrzehnte und Jahrhunderte hinweg sei die Begründung für die „Zölibatsklausel“ dieselbe gewesen: dass Beamte zur „vollen Berufshingabe“ verpflichtet seien und für die Ehefrau Haushalt und Kindererziehung an erster Stellen zu stehen habe. „Arbeitsmarktpolitisch diente das Zölibat der Sicherung von qualifizierten Arbeitsplätzen für Männer in Zeiten wirtschaftlicher Krisen“, so die Historikerinnen.
Über Prof. Dr. Sabine Liebig und Dr. Brigitte Übel
Prof. Dr. Sabine Liebig ist Professorin für Geschichte und ihre Didaktik an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Neuere und Neueste Geschichte, Migration, Gender, Weltgeschichte und Didaktik. Dr. Brigitte Übel ist Historikerin und akademische Mitarbeiterin an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe. Im November veröffentlichen Prof. Dr. Liebig und Dr. Übel in der bei Kohlhammer erscheinenden Reihe „Zeitpunkte der Geschichte“ den Buchtitel „Erhebt Euch und fordert das Stimmrecht –19.01.1919 - 100 Jahre Frauenwahlrecht“.
Über die Pädagogische Hochschule Karlsruhe
Als bildungswissenschaftliche Hochschule mit Promotions- und Habilitationsrecht forscht und lehrt die Pädagogische Hochschule Karlsruhe zu schulischen und außerschulischen Bildungsprozessen. Ihr unverwechselbares Profil prägen der Fokus auf MINT, mehrsprachliche Bildung und Heterogenität sowie eine aktive Lehr-Lern-Kultur. Das Studienangebot umfasst Lehramtsstudiengänge für Grundschule und Sekundarstufe I, Bachelor- und Masterstudiengänge für andere Bildungsfelder sowie professionelle Weiterbildungsangebote. Rund 180 in der Wissenschaft Tätige betreuen rund 3.600 Studierende. Weitere Infos auf http://www.ph-karlsruhe.de
Prof. Dr. Sabine Liebig, sabine.liebig@ph-karlsruhe.de
Dr. Brigitte Übel, uebel@ph-karlsruhe.de
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, jedermann
Geschichte / Archäologie, Gesellschaft
überregional
Buntes aus der Wissenschaft
Deutsch
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