idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Grafik: idw-Logo

idw - Informationsdienst
Wissenschaft

Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
08.08.2019 14:50

Rückgang großer Süßwassertierarten um 88 Prozent

Nadja Neumann Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB)

    Seen und Flüsse bedecken nur etwa ein Prozent der Erdoberfläche, beherbergen aber ein Drittel aller Wirbeltierarten weltweit. Doch das Leben in den Binnengewässern ist stark bedroht. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) und internationale Kolleginnen und Kollegen haben nun erstmals die globale Bestandsentwicklung der größten Wirbeltierarten in Binnengewässern quantifiziert: Von 1970 bis 2012 sind die weltweiten Bestände der Süßwasser-Megafauna um 88 Prozent zurückgegangen – der Verlust ist damit doppelt so hoch wie bei Wirbeltieren an Land oder im Meer. Besonders betroffen sind große Fischarten.

    Zur Süßwasser-Megafauna zählen alle Süßwassertierarten, die 30 Kilogramm oder mehr wiegen, wie zum Beispiel Flussdelfinarten, Bieber, Krokodile, Riesenschildkröten und Störe. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler trugen vorhandene Bestandsdaten von 126 Süßwasser-Megafauna-Arten weltweit sowie historische und aktuelle geographische Verbreitungsdaten von 44 Arten in Europa und den USA zusammen.

    „Die Ergebnisse sind erschreckend und bestätigen die Befürchtungen von Expertinnen und Experten, die sich mit der Erforschung und dem Schutz der Süßwasserfauna beschäftigen“, stellt Sonja Jähnig fest, Leiterin der Studie und Expertin für den Einfluss des globalen Wandels auf Fließgewässerökosysteme am IGB. Im untersuchten Zeitraum sind die Bestände großer Süßwassertierarten um 88 Prozent zurückgegangen, vor allem in den Regionen Orientalis (um 99 Prozent) und Paläarktis (um 97 Prozent) – erstere umfasst Süd- und Südostasien sowie das südliche China, letztere Europa, Nordafrika und den größten Teil Asiens. Große Fischarten wie Störe, Lachsfische und Riesenwelse sind besonders betroffen: sie führen mit 94 Prozent die traurige Spitze an, vor Reptilien mit 72 Prozent Rückgang.

    Zwei Hauptrisiken: Übernutzung und Verlust freifließender Flüsse

    Die Übernutzung der Bestände für den Fleisch- und Kaviarkonsum und die Verwendung von Stör- oder Reptilienhaut für Luxusartikel und Medizinprodukte ist der Hauptgrund für die Gefährdung. Gefolgt von der Zerstörung des Lebensraumes: „Der Rückgang von großen Fischarten wie dem Stör liegt auch an der zunehmenden Verbauung von Fließgewässern, durch die der Zugang zu Laich- und Futtergründen versperrt wird. Trotzdem sind weltweit weitere 3700 große Staudammprojekte in Planung beziehungsweise im Bau, die diese Situation noch verschärfen werden. Mehr als 800 dieser geplanten Staudämme befinden sich in genau den Gebieten mit der größten Artenvielfalt an Süßwasser-Megafauna, darunter die Amazonas-, Kongo-, Mekong und Ganges-Flusseinzugsgebiete“, so Fengzhi He, Erstautor der Studie und Experte für Biodiversitätsmuster und den Schutz von Süßwasser-Megafauna am IGB.

    Erfolgreicher Schutz: Stör, Biber und der Irawadidelfin

    Doch es gibt auch erfolgreiche Schutzbemühungen: Dank gezielter Schutzmaßnahmen sind die Bestände von 13 Süßwasser-Megafauna-Arten in den USA stabil oder wachsen sogar. Das gilt beispielsweise für den Grünen Stör (Acipenser medirostris) und den Amerikanischen Biber (Castor canadensis). In Asien ist die Population des Irawadidelfins (Orcaella brevirostris) zum ersten Mal in zwanzig Jahren gewachsen. In Europa scheinen effiziente und großangelegte Schutzstrategien schwieriger umsetzbar, vielleicht aufgrund politischer Grenzen und länderspezifischer Unterschiede im Umweltbewusstsein. Trotzdem hat sich beispielsweise der Europäische Biber (Castor fiber) mittlerweile wieder in vielen Regionen angesiedelt, in denen er lange als ausgerottet galt. In Deutschland engagiert sich das IGB mit internationalen Partnern dafür, die beiden einst heimischen Störarten Europäischer Stör (Acipenser sturio) und Atlantischer Stör (Acipenser oxyrinchus) wieder in europäischen Gewässern anzusiedeln.

    Verbesserungspotenzial: Monitoring und Schutz aquatischer Biodiversität

    Ungeachtet der starken Bedrohung sind die derzeitigen Schutzmaßnahmen für viele Süßwassertierarten unzureichend. „Laut der Roten Liste der Weltnaturschutzunion IUCN gilt über die Hälfte aller bewerteten Megafauna-Arten im Süßwasser als vom Aussterben bedroht. Dennoch erhalten diese Arten weniger Aufmerksamkeit von Forschung und Naturschutz als die Megafauna in terrestrischen oder marinen Ökosystemen“, mahnt Jähnig. Die nun aufgezeigte globale Bestandsentwicklung der Süßwasser-Megafauna unterstreicht die Dringlichkeit von Schutzmaßnahmen für die biologische Vielfalt in Binnengewässern. Es ist wichtig das Monitoring der Bestände und die Verbreitung von Süßwasserarten in Regionen wie Südostasien, Afrika und Südamerika zu verbessern. Denn natürlich geben Veränderungen der Bestandsgrößen und der geografischen Verteilung viel früher Auskunft über den Zustand von Ökosystemen und ihren Lebewesen als das Aussterben von Arten.

    Lesen Sie die Studie in der Fachzeitschrift Global Change Biology > https://doi.org/10.1111/gcb.14753

    ~ ~ ~

    Weiterführende Informationen zum Thema bedrohte aquatische Vielfalt:

    • Forschungsagenda zur biologischen Vielfalt der Binnen- und Küstengewässer: https://www.igb-berlin.de/news/lebendiges-wasser
    • Alliance for Freshwater Life (auf Englisch): https://allianceforfreshwaterlife.org/
    • Globaler Atlas zur Süßwasser-Biodiversität (auf Englisch): http://atlas.freshwaterbiodiversity.eu/
    • Diskussionsbeitrag (auf Englisch) “Put freshwater megafauna on the table before they are eaten to extinction”: https://doi.org/10.1111/conl.12662

    Über das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB):

    Das IGB ist das bundesweit größte Forschungszentrum für Binnengewässer. Es verbindet Grundlagen- und Vorsorgeforschung, bildet den wissenschaftlichen Nachwuchs aus und berät Politik und Gesellschaft in Fragen des nachhaltigen Gewässermanagements. Forschungsschwerpunkte sind u.a. die Langzeitentwicklung von Seen, Flüssen und Feuchtgebieten angesichts sich rasch ändernder Umweltbedingungen, die Renaturierung von Ökosystemen, die Biodiversität aquatischer Lebensräume sowie Technologien für eine ressourcenschonende Aquakultur. Die Arbeiten erfolgen in enger Kooperation mit den Universitäten und Forschungsinstitutionen der Region Berlin-Brandenburg und weltweit. Das IGB gehört zum Forschungsverbund Berlin e. V., einem Zusammenschluss von acht natur-, lebens- und umweltwissenschaftlichen Instituten in Berlin. Die vielfach ausgezeichneten Einrichtungen sind Mitglieder der Leibniz-Gemeinschaft. https://www.igb-berlin.de

    Medieninformationen im Überblick: https://www.igb-berlin.de/newsroom
    Anmeldung für den IGB-Newsletter: https://www.igb-berlin.de/newsletter
    IGB bei Twitter: https://twitter.com/LeibnizIGB


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Fengzhi He
    Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB)
    +49 (0)30 639240 88
    fengzhi.he(at)igb-berlin.de
    https://www.igb-berlin.de/profile/fengzhi-he

    Dr. Sonja Jähnig
    Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB)
    +49 (0)30 639240 85
    sonja.jaehnig(at)igb-berlin.de
    https://www.igb-berlin.de/profile/sonja-jaehnig


    Originalpublikation:

    He F, Zarfl C, Bremerich V, David JNW, Hogan Z, Kalinkat G, Tockner K & Jähnig SC (2019) The global decline in freshwater megafauna populations. Global Change Biology. DOI: 10.1111/gcb.14753


    Weitere Informationen:

    https://www.igb-berlin.de/news/rueckgang-grosser-suesswassertierarten-um-88-proz... > Lesen Sie die Meldung auf der IGB-Webseite, inkl. weiterführender Links.


    Bilder

    Der Europäische Stör (Acipenser sturio) hat den größten Verlust zu verzeichnen – sein Verbreitungsgebiet ist um 99 Prozent zurückgegangen.
    Der Europäische Stör (Acipenser sturio) hat den größten Verlust zu verzeichnen – sein Verbreitungsge ...
    Foto: Andi Küchenmeister
    None

    Das Verbreitungsgebiet des Donaulachses (Hucho hucho) ist um 82 Prozent zurückgegangen.
    Das Verbreitungsgebiet des Donaulachses (Hucho hucho) ist um 82 Prozent zurückgegangen.
    Foto: CC BY-SA 4.0 / Liquid Art
    None


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
    Biologie, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).