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27.10.1998 00:00

Schwerhörigkeit bei Kindern wird häufig zu spät erkannt

Robert Emmerich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Julius-Maximilians-Universität Würzburg

    Friedlich schläft das Neugeborene in seinem Bettchen. Ein Arzt tupft ihm drei Tropfen Elektrodengel auf die Schläfe, legt dann ein Gerät, das einem Telefonhörer ähnelt, auf das Ohr des Kleinen und wartet. Nur drei Minuten später ist die Vorsorgeuntersuchung auf Hörfehler beendet - und sie war so unaufdringlich, daß das Baby dabei nicht einmal aufgewacht ist.

    Seit gut einem Jahr werden alle Kinder, die im Klinikum der Universität Würzburg zur Welt kommen, auf Hörfehler oder Taubheit untersucht. Die Messungen mit dem BERAphon - so heißt der "Telefonhörer" - werden von der Universitätsklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkranke (HNO) durchgeführt. Nachdem sie mittlerweile mehr als 1.000 Säuglinge untersucht haben, sind die Mediziner der Meinung: Diese Methode ist so gut, daß sie grundsätzlich bei allen Neugeborenen angewendet werden sollte.

    Prof. Dr. Jan Helms, Direktor der HNO-Klinik, seine Mitarbeiterin Dr. Wafaa Shehata-Dieler und Diplom-Ingenieur Ralph Keim vom Akustiklabor der Klinik erläuterten in diesen Tagen bei einer Pressekonferenz, warum sie von den Qualitäten des BERAphons, das sie systematisch getestet haben, so überzeugt sind.

    Bei einer sogenannten BERA-Untersuchung (Brainstem Evoked Response Audiometry) werden am Ohr geringe akustische Reize gesetzt und die daraufhin einsetzenden Hirnströme über Elektroden erfaßt. Den Würzburger Medizinern zufolge sind Messungen dieser Art unübertroffen sensitiv und spezifisch. Bei anderen Methoden würden dagegen teilweise bis zu 50 Prozent der untersuchten Babys fälschlicherweise als "auffällig" eingestuft. Dies geschehe insbesondere bei einer Aufzeichnung in den ersten Lebenstagen, wenn der Gehörgang beispielsweise durch Material aus dem Geburtskanal verstopft oder das Mittelohr noch nicht belüftet ist.

    Bislang hätten aber der hohe technische und zeitliche Aufwand sowie die Notwendigkeit von ausgebildetem Personal dagegen gesprochen, eine BERA-Vorsorgeuntersuchung routinemäßig bei allen Neugeborenen anzuwenden. Diese Situation habe sich mit dem von der WESTRA Electronic GmbH (Wertingen) neu entwickelten BERAphon geändert.

    So dauert der Test mit diesem Gerät nur drei Minuten, während andere Untersuchungen bis zu 20 Minuten in Anspruch nehmen. Zudem ist der "Telefonhörer" schonender für das Kind, das während der Messung sogar weiterschlafen kann. Andere Methoden erscheinen dagegen eher ruppig: Elektroden müssen auf die Haut geklebt und wieder abgelöst werden - darauf reagieren Babys meist nicht mit Wohlwollen.

    Statistisch gesehen, kommen bis zu sechs von 1.000 Neugeborenen mit verschiedenen Schwerhörigkeitsgraden zur Welt. Noch gibt es in Deutschland nur wenige Zentren, die ausnahmslos bei allen Neugeborenen das Gehör testen. Wie die Wissenschaftler bei der Pressekonferenz sagten, komme das BERAphon selbst außer in Würzburg an vier weiteren Kliniken zum Einsatz - doch dort würden nur Kinder untersucht, die einer Risikogruppe angehören.

    Dabei sei es äußerst wichtig, das Hörvermögen möglichst schon im ersten Lebensmonat zu testen: Denn wenn eine Hörminderung oder Taubheit bei Neugeborenen nicht erkannt und behandelt wird, kann dies sowohl die Allgemein- als auch die Sprachentwicklung des Kindes stark beeinträchtigen: Probleme in der Schule wie auch im Berufsleben sind dann vorprogrammiert. Mit einer Therapie sollte den Würzburger Medizinern zufolge ab dem sechsten Lebensmonat begonnen werden.

    Diesen Vorstellungen steht die reale Situation in Deutschland gegenüber: "Viel zu häufig wird eine Schwerhörigkeit erst dann erkannt, wenn die Kinder schon zu alt sind", so Prof. Helms. Problematisch hierbei: Etwa ab dem vierten Lebensjahr nehme die Fähigkeit des Gehirns, die Verarbeitung der Hörsignale zu erlernen, stark ab. Gelangen die Signale, etwa mit Hilfe eines Hörgerätes, erst nach dieser kritischen Zeit ins Gehirn, dann könne dieses nichts mehr damit anfangen - das Kind bleibt schwerhörig.

    Im Durchschnitt wird ein Hörfehler erst im Alter von 22 Monaten vermutet. Weitere neun Monate vergehen, bis die Störung ärztlich bestätigt wird. Und die Versorgung mit einem Hörgerät schließlich erfolgt durchschnittlich erst im Alter von drei Jahren. Für Amerika gab 1993 die "National Institutes of Health Consensus Development Conference", für Europa 1998 der "Konsensus zum Neugeborenen-Hörscreening" die Empfehlung, die Hörleistung bei allen Neugeborenen zu testen.

    Mit Hilfe des BERAphons können die Mitarbeiter der HNO-Klinik in der Neugeborenen-Station der Frauenklinik in zwei Stunden bis zu zwölf Babys untersuchen. Ein Audiologe stellt am Monitor fest, ob ein Kind auffällig ist. Falls ja, wird erneut kontrolliert. Bleiben die Resultate unverändert, wird das Neugeborene vor der Entlassung nochmals in der HNO-Klinik untersucht, weil dort eine akustisch und elektrisch kontrollierte Umgebung vorhanden ist. Kinder, die bei diesem dritten Test weiterhin auffällig sind, werden dann zur umfassenden Diagnostik innerhalb der ersten drei Lebensmonate einbestellt.

    Methoden zur Früherkennung von Hörstörungen standen auch im Mittelpunkt eines Workshops, der am Freitag und Samstag, 23. und 24. Oktober, an der HNO-Klinik der Universität Würzburg stattfand. Die rund 50 Teilnehmer informierten sich dabei unter anderem über die Würzburger Erfahrungen mit dem BERAphon.

    Weitere Informationen: Prof. Dr. Jan Helms, T (0931) 201-5700, Fax (0931) 201-2248, E-Mail:
    j.helms@mail.uni-wuerzburg.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsprojekte, Wissenschaftliche Tagungen
    Deutsch


     

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