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27.09.2019 12:00

Neues aus der Alzheimer-Forschung

Dr. Bettina Albers Pressestelle der DGN
Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V.

    Insgesamt gibt es weit über eine Million Demenzpatienten in Deutschland. Für die Behandlung werden 5.633 Milliarden Euro ausgegeben [1], ohne dass bislang befriedigende krankheitsmodifizierende Therapieerfolge zu verzeichnen wären. Am häufigsten ist die Alzheimer-Demenz. Eine Studie [2] führte zu der Erkenntnis, dass sich nicht alle Alzheimer-Erkrankungen „über einen Kamm scheren lassen“, demnach auch nur personalisierte Therapieansätze vielversprechend sein können. Eine weitere wegweisende Untersuchung [3] zeigte, dass Glutamat die Alzheimer-Demenz katalysieren kann, und bringt damit einen altbekannten „Player“ ins Spiel.

    Demenzen nehmen exponentiell mit dem Lebensalter zu: Bis zu 10% der über 65-Jährigen und bis zu 40% der über 80-Jährigen leiden an einer Demenz [3]. In Deutschland gibt es jährlich ungefähr 244.000 Neuerkrankungen [1]. Demenzen sind chronische Erkrankungen, die zu kognitiven Störungen, Verhaltensauffälligkeiten und anderen, beispielsweise neuropsychiatrischen Symptomen führen. Die Mehrzahl der Betroffenen hat eine Alzheimer-Erkrankung (AD), die typischerweise durch spezielle Gehirnveränderungen gekennzeichnet ist, d.h. neuropathologische Merkmale, die aber routinemäßig erst in der Autopsie nachweisbar sind. Dies sind eiweißhaltige Ablagerungen (Proteinaggregate) im Gehirn, sogenannte Alzheimer-Plaques aus Beta-Amyloid (Aβ) sowie Neurofibrillen (Fasern) aus Tau-Protein. Ein Teil der Patienten mit typischen klinischen Alzheimer-Kriterien hat bei autoptischen Untersuchungen jedoch keine Alzheimer-typische Gehirnpathologie mit Amyloid- oder Tau-Deposition. Für die klinische Diagnostik zu Lebzeiten gibt es neuropsychologische Tests der kognitiven Leistungsfähigkeit, die Gedächtnisstörungen und Abbau anderer Hirnleistungen nachweisen können. Die Diagnostik muss primäre Demenzformen (wie Alzheimer) vor allem von seltenen, sekundären Formen abgrenzen, die potenziell gut behandelbar und reversibel sind (z. B. Hormon- oder Stoffwechselstörungen, Entzündungen, Alkoholmissbrauch, Mangelerkrankungen oder Vergiftungen).

    Die Alzheimer-Diagnostik wird dadurch erschwert, dass die Erkrankung verschiedene Subtypen umfasst, die mit unterschiedlichen klinischen Merkmalen und Verläufen einhergehen. Diese Heterogenität beinhaltet den frühen oder späten Beginn (vor oder nach dem 65. Lebensjahr) sowie atypische Formen, die nicht mit den klassischen Symptomen der Gedächtnisstörungen beginnen, sondern beispielsweise mit Sprach- oder Bewegungsstörungen, Veränderungen der Sinneswahrnehmungen, des Verhaltens (z. B. Impulsivität) oder Stimmungsschwankungen.

    Jeder fünfte Patient hat eine atypische Alzheimer-Krankheit, die oft nicht erkannt wird
    Eine aktuelle Studie [2] untersuchte die Heterogenität der kognitiven Störungen bzw. das kognitive Profil bei fast 5.000 Patienten mit möglicher Alzheimer-Demenz (gemäß den Einschlusskriterien für Studien zur typischen AD) mit milder bis moderater Ausprägung. Es sollte evaluiert werden, ob das kognitive Profil immer systematisch zum Verlauf und den neuropathologischen Merkmalen der Erkrankung passt. Es wurden Ergebnisse neuropsychologischer Tests (n=4.711) des U.S.-amerikanischen „National Alzheimer's Coordinating Center“ erfasst und nach Ein- und Ausschlusskriterien für klinische Alzheimer-Studien sortiert. Identifiziert wurden kognitive Störungsmuster bei Patienten mit gesicherter AD (n=800) sowie in der Gesamtpopulation (ohne Autopsie) – und in einer Test-Gruppe mit ähnlichen Testergebnissen validiert. Die Zusammenhänge von kognitiven Profilen, klinischen Merkmalen und der Geschwindigkeit des kognitiven Abbaus wurden statistisch ausgewertet.

    In der Autopsie-gesicherten Kohorte hatten fast 80% der Patienten (79,6%) AD-typische kognitive Profile (größere Beeinträchtigung des Gedächtnisses bzw. der Erinnerungsleistungen als andere kognitive Störungen) – 20% hatten ein atypisches Profil (d. h. vergleichbar schwere Störungen in allen kognitiven Bereichen). Die Ergebnisse in der Gesamtpopulation (ohne Autopsie) waren ähnlich: AD-typische kognitive Profile in 79,8%, atypische in 20,2%. In der Validierungsgruppe hatten 71,8% AD-typische kognitive Profile und 28,2% atypische. Patienten mit atypischen Profilen waren jünger, häufiger männlich, die globale Demenz war weniger schwer, die Depressivität dagegen war höher, der genetische Alzheimer-Risikofaktor „Apolipoprotein-E4“ war seltener und die neuropathologischen Merkmale im Autopsie-Befund schwächer ausgeprägt (niedrigeres sogenannte Braak-Stadium) und der kognitive Verfall verlief langsamer. „Die Ergebnisse unterstützen zunächst einmal die Bedeutung der Diagnostik bzw. Diagnosesicherung gerade auch bei jüngeren Demenzpatienten und bei Auftreten untypischer Symptome, denn auch dann liegt oft eine Alzheimer-Erkrankung vor“, kommentiert Prof. Dr. Richard Dodel, Neurologe an der Universität Duisburg-Essen.

    Bisherige Studien haben nicht nach Alzheimertyp stratifiziert – eine mögliche Erklärung dafür, dass die Endpunkte nicht erreicht wurden?
    „Die meisten Alzheimer-Studien berücksichtigen bisher die ausgeprägte Heterogenität der Erkrankung nicht, was aber vor dem Hintergrund verschiedener Prognosen und möglicher unterschiedlicher Therapieantworten von großer Bedeutung sein kann“, erklärt Prof. Dodel weiter. „Gerade bei Therapiestudien kann das schnell zu einer Verwässerung der Ergebnisse führen. Konkret kann das im Extremfall bedeuten, dass Tau-Therapiestudien nur dann positiv ausfallen könnten, wenn man Patienten mit typischer Erkrankung einschließen würde. Für künftige Studien scheint es daher sinnvoll, hinsichtlich der Besonderheiten bei Alzheimer-Patienten mit klassischem und atypischem Verlauf zu stratifizieren. Dies kann beispielsweise die Wahl der Kontrollparameter oder die Nachbeobachtungsdauer betreffen. Die Überlegungen könnten sogar so weit reichen, dass verschiedene Alzheimer-Formen eines Tages unterschiedlich behandelt werden.“
    Dies ist aber auch für den klinischen Alltag nicht unwichtig, z.B. welche Patienten sollen mit Cholinesterasehemmern oder Memantin in Zukunft behandelt werden.


    Glutamat, ein neues (altes) Target für die Alzheimertherapie?
    Seit vielen Jahrzehnten wurde Glutamat immer wieder mit neurologischen Krankheiten in Verbindung gebracht. Nun hat eine aktuelle tierexperimentelle Studie den Pathomechanismus erforscht, wie Glutamat eine Alzheimer-Erkrankung katalysieren kann.

    Es ist bekannt, dass die Alzheimer-Krankheitssymptome durch eine β-Amyloid (Aβ) -abhängige Nervenzellüberaktivität ausgelöst werden. Eine neue tierexperimentelle Studie [4] mit transgenen Mäusen, die Aβ-Ablagerungen aufweisen, zeigt nun, dass die neuronale Hyperaktivität mit einem gestörten „Glutamat-Reuptake“ beginnt: Glutamat ist ein körpereigener Botenstoff im Gehirn (Neurotransmitter), der erregende Wirkung auf Nervenzellen (Neuronen) hat. Wenn ein Neurotransmitter die Aufgabe der Signalübertragung von Nervenzelle zu Nervenzelle erfüllt hat, wird er normalerweise aus dem synaptischen Spalt zwischen den Nervenfasern wieder ins Zellinnere aufgenommen. Bei fehlender Glutamat-Wiederaufnahme (sogenanntem Reuptake) kommt es aber zu einer Dauererregung der Zelle. Diese Dauererregung wird später dann auch, wie die Studie zeigte, durch β-Amyloid aufrechterhalten, Glutamat katalysierte in diesem Experiment aber den Krankheitsprozess.

    „Die Studie konnte nachweisen, dass ein Überschuss an Glutamat im Gehirn ausreicht, um die β-Amyloid abhängige Neuronenüberaktivität anzukurbeln. Die vorliegende tierexperimentelle Studie, die in der renommierten Fachzeitschrift „Science“ publiziert wurde, ist deshalb so bedeutsam, da sie auf Glutamat als „altes“ und „neues“ Therapietarget zur Behandlung und möglicherweise Prophylaxe der Alzheimer-Erkrankung hinweist“, so der DGN-Experte.

    Literatur
    [1] https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/038-013l_S3-Demenzen-2016-07.pdf
    [2] Qiu Y, Jacobs DM, Messer K et al. Cognitive heterogeneity in probable Alzheimer disease: Clinical and neuropathologic features. Neurology 2019 Aug; 93 (8): e778-e790
    [3] Hacke, Werner (Hrsg.) Neurologie. Springer-Verlag 2016. S. 648 ff.
    [4] Zott B, Simon MM, Hong W et al. A vicious cycle of β amyloid-dependent neuronal hyperactivation. Science. 2019 Aug; 365 (6453): 559-65

    Pressestelle der Deutschen Gesellschaft für Neurologie
    c/o albersconcept, Jakobstraße 38, 99423 Weimar
    Tel.: +49 (0)36 43 77 64 23
    Pressesprecher: Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener, Essen
    E-Mail: presse@dgn.org

    Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN)
    sieht sich als neurologische Fachgesellschaft in der gesellschaftlichen Verantwortung, mit ihren über 9900 Mitgliedern die neurologische Krankenversorgung in Deutschland zu sichern. Dafür fördert die DGN Wissenschaft und Forschung sowie Lehre, Fort- und Weiterbildung in der Neurologie. Sie beteiligt sich an der gesundheitspolitischen Diskussion. Die DGN wurde im Jahr 1907 in Dresden gegründet. Sitz der Geschäftsstelle ist Berlin. www.dgn.org

    Präsidentin: Prof. Dr. med. Christine Klein
    Stellvertretender Präsident: Prof. Dr. med. Christian Gerloff
    Past-Präsident: Prof. Dr. Gereon R. Fink
    Generalsekretär: Prof. Dr. Peter Berlit
    Geschäftsführer: Dr. rer. nat. Thomas Thiekötter
    Geschäftsstelle: Reinhardtstr. 27 C, 10117 Berlin, Tel.: +49 (0)30 531437930, E-Mail: info@dgn.org


    Weitere Informationen:

    http://www.dgn.org
    http://www.dgnkongress.org


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Tagungen
    Deutsch


     

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