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Beim DGPPN-Kongress werden Wege zur Entstigmatisierung aufgezeigt
Ausgegrenzt, diskriminiert und isoliert: Psychisch kranke Menschen werden nur selten als gleichwertige Mitglieder der Gesellschaft akzeptiert. Mit besonders vielen Vorurteilen haben etwa Schizophrenie-Patienten zu kämpfen, die fälschlicherweise oft mit Aggressionen und Gewaltverbrechen in Verbindung gebracht werden. Beim Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (DGPPN) in Berlin werden jetzt Erfolg versprechende Wege und Möglichkeiten zur Entstigmatisierung psychisch Kranker vor-gestellt.
"Vom Stigma betroffen sind grundsätzlich alle psychisch Kranken", sagt Prof. Wolfgang Gaebel, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Schizophrene Patienten werden häufig als "unberechenbar" oder als "gefährliche Geisteskranke" stereotypisiert; depressive Menschen nicht als krank, sondern als "willensschwach" und "disziplinlos" bezeichnet. Die Medien unterstützen dieses Klischee häufig: In Zeitungsberichten, aber auch in vielen Spielfilmen wird meist erst dann über Menschen mit Schizophrenie oder anderen psychischen Erkrankungen berichtet, wenn diese im negativen Sinne auffällig geworden sind.
Oft werden auch Therapeuten diskriminiert
Darüber hinaus betrifft das Stigma oft Personen, die beruflich mit psychisch Kranken zu tun haben (Ärzte, Psychotherapeuten, Pflegekräfte) sowie Behandlungsmethoden ("Psychopharmaka machen doch alle süchtig!") und -institutionen ("Das ist doch ein Irrenhaus!"). Dass Patienten mit schizophrenen Symptomen heute gut behandelt werden können, ein Drittel von ihnen sogar wieder vollständig gesund und ein großer Teil beinahe beschwerdefrei wird, wissen die wenigsten.
So leiden psychisch Kranke nicht nur unter den Symptomen der Erkrankung, sondern auch unter dem Bewußtsein, dass sie diffamiert und sozial benachteiligt werden. Personen, die ihre psychische Erkrankung nicht verschweigen, haben größere Probleme als andere, eine Wohnung oder einen Job zu finden. "Dies erschwert die Reintegration psychisch Kranker in besonderem Maße", erläutert Prof. Gaebel. "Dabei ist nach einer Akutbehandlung gerade die soziale Wiedereingliederung in ein passendes Wohn-, Ar-beits- und Lebensumfeld von erheblicher Bedeutung für die langfristige Prognose des Patienten."
Erfolg versprechende Strategien
Beim DGPPN-Kongress befaßte sich am Donnerstag ein Hauptsymposium unter dem Titel "Versorgung psychisch Erkrankter - zwischen Stigma und Integration" mit der Situation. Während dessen wurden verschiedene Strategien zur Bekämpfung des Stigmas erläutert:
- Die Aufklärung über psychische Erkrankungen soll zu breiterem Wissen und damit verbunden zu differenzierteren und positiveren Einstellungen gegenüber Personen mit psychischen Erkrankungen führen.
- Der Protest gegen stigmatisierende Darstellungen in Werbung oder Medien soll deren Erscheinungshäufigkeit verringern.
- Die Förderung von Kontakten zwischen psychisch erkrankten und nicht erkrankten Personen soll helfen, negative Einstellungen und Vorteile abzubauen.
- Die Interessenvertretung von Menschen mit psychischen Erkrankungen auf Ebene der Gesetzgebung soll gestärkt werden. Im Grundgesetz (Artikel 3) ist zwar ein Diskriminierungsverbot festgeschrieben, dessen Umsetzung in die Praxis erfordert jedoch das Engagement von Betroffenen, Angehörigen und den in den psychiatrischen Institutionen Beschäftigten.
Bereits seit 1998 bekämpft der Weltverband für Psychiatrie (World Psychiatric Association, WPA) die Stigmatisierung psychisch Kranker. Das Antistigma-Programm "Schizo-phrenie - open the doors" hat sich vorgenommen, durch Aufklärung und gezielte Interventionen der Ausgrenzung entgegenzuwirken und psychisch kranke Menschen in Gesellschaft und Arbeitswelt zu integrieren. International findet das Antistigma-Programm der WPA bereits in 25 Ländern Anwendung, in Deutschland nehmen sechs Städte und Regionen unter dem Dach des Vereins "open the doors e.V." an dem Pro-jekt teil.
Benefizkonzert mit Katja Riemann
Spezielle Aktivitäten entfaltet zum Beispiel die Bayerische Anti-Stigma-Aktion (BASTA), die im Internet ein "Stigma-Alarm-Netzwerk" (SANE, www.openthedoors.de) eingerichtet hat. Die Anti-Stigma-Aktion München (ASAM) bietet schwerpunktmäßig Kunst- und Kulturveranstaltungen, wie Kunstausstellungen, Theateraufführungen oder - in Kooperation mit BASTA - die Filmreihe "Psychiatrie im Film".
In Leipzig findet das Schulprojekt "Verrückt - Na und?" große Beachtung. Unter dem Motto "Es ist normal, verschieden zu sein" werden im Projektzentrum in Hamburg u.a. Psychose-Seminare durchgeführt, in denen ein regelmäßiger Austausch zwischen Be-troffenen, Angehörigen und Professionellen stattfindet.
Der Verein open the doors initiiert außerdem zahlreiche kulturelle Veranstaltungen wie Lesungen, Ausstellungen oder moderierte Kino- und Theaterabende. Als besonderes Highlight findet am 2. Dezember in Düsseldorf ein Benefizkonzert zugunsten des Vereins mit dem Stargast Katja Riemann statt, das vom Projektzentrum in Düsseldorf initi-iert wurde.
Darüber hinaus verleiht der Verein "open the doors" e.V. im Jahr 2004 bereits zum zweiten Mal den von Sanofi-Synthelabo sponsorierten Antistigma-Förderpreis, der mit 3.000 Euro dotiert ist und an Personen, Selbsthilfegruppen oder Institutionen vergeben wird, die sich aktiv für die Entstigmatisierung psychisch kranker Menschen und der Psychiatrie allgemein einsetzen.
Info Schizophrenie
Etwa 800 000 Menschen in Deutschland erkranken mindestens einmal in ihrem Leben an Schizophrenie, erstmals meist zwischen dem 18. und 35. Lebensjahr. Schizophren Erkrankte sind nicht - wie es bis heute noch weit verbreitete Auffassung ist - gespaltene Persönlichkeiten. Vielmehr leiden sie unter einer veränderten Wahrnehmung der Realität, die häufig zu Wahnvorstellungen, Halluzinationen und daraus resultierend bizarrem Verhalten führt. Hinzu können Eigenheiten wie Passivität, Schweigsamkeit und sozialer Rückzug kommen. Auch sind sie nicht geistig behindert; an Schizophrenie können Menschen jeden Intelligenzniveaus erkranken.
Die Krankheit beginnt meist schleichend; erste Anzeichen wie veränderte Erlebniswahrnehmungen und Verhaltensauffälligkeiten werden meist fehlgedeutet. Dabei sind die Heilungschancen umso größer, je eher die Erkrankung erkannt und behandelt wird. Bei der Behandlung können neuartige Psychopharmaka, psychotherapeutische Inter-ventionen und individuelle Selbstmanagementstrategien miteinander kombiniert werden. Darauf hin wird rund ein Drittel der Betroffenen vollständig geheilt, bei einem wei-teren Drittel treten Symptome nur noch in unregelmäßigen Abständen auf. Bei dem verbleibenden Drittel entwickelt sich dagegen ein chronischer Verlauf, der zu einer schweren Belastung für Patient und Angehörige werden kann. Etwa zehn bis 15 Prozent der Betroffenen begehen innerhalb der ersten zehn Jahre nach Krankheitsausbruch Suizid.
http://www.dgppn-kongress2003.de
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin, Psychologie
überregional
Buntes aus der Wissenschaft, Wissenschaftliche Tagungen
Deutsch
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