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Stiftung Kindergesundheit und internationale Experten beanstanden die geplanten Vorgaben der EU für die Zusammensetzung von Säuglingsnahrungen
Frisch soll die Nahrung sein, vollwertig und gesund, möglichst naturbelassen und ohne Chemie - wer wollte da widersprechen? Babys haben kein Problem damit: Ihre Nahrung, die Muttermilch, entspricht diesen Forderungen optimal, betont die Stiftung Kindergesundheit. Die Muttermilch hat immer die richtige Temperatur und Konsistenz, enthält alles, was das Baby braucht, schmeckt gut und fließt aus einer Quelle, die kein Hersteller jemals nachahmen kann - aus der Mutterbrust.
Auf dem Weg von der Brust zum Brei und Familientisch machen allerdings viele Babys eine Zwischenstation bei der Flasche. Manchmal klappt es mit dem Stillen nicht oder nicht mehr. Manchmal möchte die Mutter nicht länger stillen, z.B. weil sie wieder arbeiten will. Zum Glück ist das heute nicht weiter problematisch: Die fertigen Säuglings-Milchnahrungen haben mittlerweile eine sehr hohe Qualität und ermöglichen bei richtiger Zusammensetzung eine ungestörte Entwicklung des Babys.
Kontroverse um die „guten“ Fette
Just um diese optimale Zusammensetzung ist jedoch eine aktuelle Kontroverse entbrannt, berichtet die Stiftung Kindergesundheit. Den Anlass dazu lieferten die neuen EU-Standards, die ab Februar 2020 für alle Säuglings- und Folgenahrungen gelten. Die darin enthaltenen Vorgaben zur Zusammensetzung der zur Nahrung zugesetzten Fettsäuren weichen nämlich deutlich ab von der Zusammensetzung der Fette in der Muttermilch und auch von den Zusätzen in den bisher angebotenen Säuglingsnahrungen.
„Es geht um die Anreicherung der Milchnahrung mit den besonders wertvollen langkettigen, mehrfach ungesättigten Fettsäuren, die das Baby für die ungestörte Entwicklung von Gehirn, Nervensystem und Sehvermögen benötigt“, erläutert Professor Dr. Berthold Koletzko, Stoffwechselexperte der Universitäts-Kinderklinik München und Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit. Die Fettsäuren werden nach ihrer englischen Bezeichnung („long chain polyunsaturated fatty acids“) als LCPs oder LC-PUFAs abgekürzt. In einigen klinischen Studien zeigt ihre Zufuhr Nutzen für die Entwicklung von Intelligenz und Sehschärfe sowie des Immunsystems.
LC-PUFAs, insbesondere die Arachidonsäure (Omega-6-Fettsäure, AA) und die Docosahexaensäure (Omega-3-Fettsäure, DHA) sind für die menschliche Entwicklung und Gesundheit unentbehrlich, können jedoch vom Körper nur begrenzt aus anderen ungesättigten Fetten neu gebildet werden. Sie werden über die Nahrung aufgenommen. DHA und AA werden während des letzten Schwangerschaftsdrittels und während der ersten Wochen nach der Geburt in relativ großem Umfang im Gehirn des Kindes gespeichert, wenn sich dort die Neuronen und Gliazellen vermehren. Während der Schwangerschaft gelangen sie aus dem mütterlichen Blut durch die Plazenta in den Organismus des Ungeborenen, nach der Geburt bekommt das Baby sie über die Muttermilch.
Zuständig für die Feineinstellung des Gehirns
„Die Fettsäuren DHA und AA beeinflussen die Aktivität vieler funktionell wichtiger Enzyme in den biologischen Membranen des Nervensystems und im Neurotransmitter-Stoffwechsel“, sagt Professor Koletzko. „Einfacher ausgedrückt: Sie sind für die Feineinstellung des Gehirns und des Nervensystems sowie des Immunsystems zuständig. Eine unausgewogene Ernährung oder eine fehlerhafte Zusammensetzung der Babynahrung können für die aktuelle Gesundheit der Kinder und sogar für ihr späteres Leben von entscheidender Bedeutung sein“.
Gemäß der neuen Standards der EU (VO2016/127) müssen künftig alle Säuglings- und Folgenahrungen ab Februar 2020 den Zusatz der Docosahexaensäure DHA in einer zwei- bis dreifach höheren Konzentration enthalten als die mittleren Gehalte in Muttermilch und bisher verwendeten Säuglingsnahrungen. Für einen Zusatz der Arachidonsäure AA besteht dagegen keine Verpflichtung mehr. Erste Fertignahrungen ohne AA werden bereits auf dem europäischen Markt angeboten.
„Die Eignung und Sicherheit dieser neuartigen Konzeption ist jedoch bisher in klinischen Studien nicht belegt“, gibt Professor Koletzko zu bedenken. „Die vorgeschlagene neue Zusammensetzung der Säuglingsnahrung weicht ganz erheblich von der Zusammensetzung der Muttermilch ab, in der DHA und AA immer zusammen enthalten sind. Die von der Europäische Kommission vorgeschriebene Zusammensetzung der fertigen Babynahrung weicht auch von derjenigen der seit zwei Jahrzehnten in Europa und vielen anderen Ländern der Welt verwendeten Säuglingsnahrung, deren Eignung und Sicherheit in vielen klinischen Studien belegt ist“.
Die gemeinnützige Stiftung Kindergesundheit ist mit dieser Problematik seit Jahren befasst. Sie lud jüngst zum wiederholten Male internationale Experten für Kindermedizin und Ernährung sowie Vertreterinnen internationaler Elternorganisationen zu einer wissenschaftlichen Tagung hierzu ein. Ziel des Workshops war die Überprüfung des aktuellen Stands der Forschung zu DHA und AA und die Erstellung einer gemeinsamen Stellungnahme der Europäischen Akademie für Kinderheilkunde EAP (www.eapaediatrics.eu) und der Stiftung Kindergesundheit zu den geplanten Änderungen der EU-Standards.
Muttermilch – das Vorbild für das Fläschchen
Nach Meinung der Experten sollte grundsätzlich die Zusammensetzung der Muttermilch auch für die Wahl der Inhaltsstoffe von Flaschennahrung richtungsweisend sein. Muttermilch enthält immer sowohl Docosahexaensäure DHA als auch Arachidonsäure AA, in der Regel mit höheren Gehalten an AA als an DHA. Deshalb sollten frühgeborene und voll ausgetragene Babys mit der Säuglings-Formelnahrung DHA gemeinsam mit AA erhalten, und zwar in ähnlichen Mengen wie in der Muttermilch. Der Zusatz von DHA mit AA in solchen Mengen wird als sicher und frei von Nebenwirkungen bewertet.
Die Europäische Akademie für Kinderheilkunde und die Stiftung Kindergesundheit raten in ihrer gemeinsamen Stellungnahme dringend dazu, für nicht oder nicht vollgestillte Säuglinge auch künftig nur solche Säuglingsnahrungen zu verwenden, die neben DHA auch mindestens die gleiche Menge Arachidonsäure AA enthalten.
Die auf dem Workshop der Stiftung Kindergesundheit erarbeiteten Ergebnisse und die darauf fußenden Empfehlungen wurden in einem Positionspapier zusammengefasst, das am 26. Oktober 2019 im international hochangesehenen „American Journal of Clinical Nutrition“ in englischer Sprache veröffentlicht wurde (Koletzko B et al., Am J Clin Nutr. 2019 Oct 26. pii: nqz252. doi: 10.1093/ajcn/nqz252. [Epub ahead of print]).
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin, Pädagogik / Bildung
überregional
Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
Deutsch
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