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26.11.2003 14:46

Gemüt schlägt Alarm: die Professoren Alfons Hamm und Christof Kessler lassen einen Blinden sehen

Dr. Edmund von Pechmann Hochschulkommunikation
Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald

    PM 169/2003

    Vor 66 Jahren, 1937, haben zwei englische Forscher Affenhirne so reseziert (Entfernung beider Hinterhauptlappen), daß die Tiere nicht mehr sehen konnten. Allerdings hatten sie, lernten sie eine Furchtreaktion, wenn sie, während ihnen ein an und für sich sie ängstigendes Bild gezeigt wurde, etwas Luft ins Auge geblasen bekamen.

    Da der Satz galt, Tier- nicht als Menschenexperimente fortzuführen, ruhte die Geschichte, bis der Greifswalder Experimentalpsychologe Alfons Hamm und der Neurologe Christof Kessler mit ihren Arbeitsgruppen die Gelegenheit bekamen, einen Menschen mit einem seltenen Krankheitsbild untersuchen zu können. Dieser Mensch war und ist aufgrund zweier Schlaganfälle kortikal völlig blind und hat alle Anzeichen und das Verhalten eines Blinden. Seine Sehrinde (striate cortex) war zerstört. Seine Sehfähigkeit erwies sich jedoch als intakt: wenn ihm eine furchteinflößende Flugzeugschablone vorgeführt wurde und er gleichzeitig durch kleine Elektroschocks am Unterarm "konditioniert" wurde, lernte er eine Furchtreaktion. Er behielt sie bei, wenn das Flugzeug kam und der Stromschlag ausblieb.

    Die Experimente, die Forscher ausführen, folgen der Reizverarbeitung im Hirn im Grundsätzlichen. Im Fall des "sehenden" Blinden, der offenbar nicht auf einen Hell-Dunkel-Reiz reagierte, sondern tatsächlich auf die erlernte Flugzeugform, zeigt sich - und daran arbeitet Alfons Hamm seit langem, daß bei intakten Sehnerven einem Teil des Hirns eine "Urreaktion" möglich ist, bevor oder ohne daß der optische Impuls im modernen kognitiven Hirnteil angekommen ist oder ankommen muß. Diese Möglichkeit der Reaktion wird als (ursprünglich) überlebensnotwendig gedeutet: man springt zur Seite, bevor man das längliche Ding am Boden sicher als Schlange in der Steppe erkannt hat; man schrickt zurück, bevor man sich getäuscht sieht und gar nicht einer Spinne nahe war, sondern etwas harmlos Ähnlichem. Besser ist besser.

    Inzwischen haben die Forscher zusammen mit dem Neurologischen Rehabilitationszentrum Greifswald ähnliche Experimente bei einem Patienten im Wachkoma gemacht, der dem Anschein nach keine Reaktionen mehr auf visuelle oder taktile Reize zeigte. Da ist das Experiment schwieriger, weil Elektrostimulation von Reaktionen entfällt. Aber auch bei diesem Menschen zeigte sich, daß er Beängstigendes oder Anregendes sehr wohl wahrnimmt. Der Wunsch, die Erkenntnisse zur Heilung von Komapatienten anzuwenden, liegt nahe.

    Infos: Prof. Dr. Alfons Hamm, Institut für Psychologie, Lehrstuhl für Physiologische und Klinische Psychologie/Psychotherapie, Franz Mehring-Straße 47, 17487 Uni Greifswald, T: 03834-86-3715, F: 86-3763, hamm@uni-greifswald.de

    Zitat: Alfons Hamm, Almut Weike, Harald Schupp, Thomas Treig, Alexander Dressel & Christof Kessler (2003): "Affective blindsight: intact fear conditioning to a visual cue in a cortically blind patient." Brain 126: pp. 267-275.


    Weitere Informationen:

    http://www.psychologie.uni-greifswald.de/klinisch/klin.html


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Gesellschaft, Medien- und Kommunikationswissenschaften, Medizin, Psychologie, Sprache / Literatur
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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