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20.12.2019 13:22

Von Postmietbehältern und PIKO-Spielzeugkassen - Potsdamer Wissenschaftler analysieren die materielle Kultur der DDR

Marion Schlöttke Öffentlichkeitsarbeit
Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF)

    Die Auseinandersetzung mit der DDR steht an einem Wendepunkt. Individuelle Erinnerung und lebensweltliche Erfahrung verblassen zunehmend. Umso mehr wird es darauf ankommen, mit welchen Quellen Historikerinnen und Historiker künftig arbeiten können. Neben schriftlichen Dokumenten des Staates und seiner Institutionen sind es vor allem erhalten gebliebene Gegenstände, die einst zum alltäglichen Leben gehörten und im Heute ein komplexes Bild der DDR-Gesellschaft zeichnen helfen. Der Band »Zeitgeschichte der Dinge«, herausgegeben von Andreas Ludwig vom Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF), stellt sie in den Mittelpunkt und kommt zu überraschenden Erkenntnissen.

    Im obersten Fach eines Lagerraums des Dokumentationszentrums Alltagskultur der DDR in Eisenhüttenstadt steht eine rote Kiste. Ein Stempelaufdruck verrät, es handelt sich um einen »Postmietbehälter«. Man dreht und wendet die Kiste, misst sie aus, öffnet sie. Flecken und Beulen verraten eine intensive Nutzung. Angaben auf dem Deckel belegen: Die Kiste reiste nach Potsdam, nach Hohenstein und Altenberg. Es handelt sich um eine Mietverpackung der Post. Diente sie dem Umweltschutz und ist damit ein Beleg für nachhaltiges Denken? Im »Feldzug für strengste Sparsamkeit« von 1953 wird der Postmietbehälter eingeführt. Offenbar wurde der Service aufgrund von Versorgungslücken bei Verpackungsmaterial gern genutzt.

    »Die Erforschung von Dingen der Alltagskultur eröffnet neue Perspektiven auf die Gesellschaftsgeschichte«, erklärt Herausgeber Andreas Ludwig. »So konnte die rote Kiste als Produkt des ökonomischen Sparsamkeitsregimes in der DDR. Sie ist eine Materialisierung politischer Vorgaben im Rahmen des ‚Aufbaus des Sozialismus’ und bezeugt Produktions- und Logistikprobleme der Planwirtschaft.«

    Anna Katharina Laschke, Doktorandin am ZZF, entdeckt im Depot eine Spielzeugkasse des Herstellers PIKO. Sie gehörte einst zu einem Kaufmannsladen für Kinder. Die Eingangsbücher des Museums verraten: eine Familie aus Guben hat sie abgegeben. Anhand eines Fotoalbums lässt sich rekonstruieren, dass die Kasse ein Weihnachtsgeschenk war. Sie zeigt, wie Konsum durch Spielzeug Eingang in die Kinderwelt fand und auf diese Weise spielerisch eine Einübung in die Gesellschaft funktioniert.

    Das Sammeln, Aufbewahren und Zeigen von Objekten bleibt meist Museen überlassen. Doch 30 Jahre nach dem Ende der DDR werden die Dinge erklärungsbedürftiger. Nicht nur das Objektwissen geht verloren. Manche Dinge verlieren ihre Funktion und verschwinden, andere erfahren im Rückblick eine neue Bewertung.

    Anhand ausgewählter Gegenstände erkundet der Sammelband die Dingwelt der DDR Das erste Kapitel des Bandes erkundet das »warum«. Es widmet sich der Frage, welche Erkenntnisse das Erforschen von materieller Kultur für die zeithistorische Forschung bereithält. Das zweite Kapitel thematisiert das »wie«. Es spürt in neun Fallstudien der Geschichte einzelner Objekte aus der Sammlung des Eisenhüttenstädter Dokumentationszentrums Alltagskultur der DDR nach. Das dritte Kapitel inspiziert das »was« anhand von fünf Sammlungskomplexen des Dokumentationszentrums – zum Kaffeetrinken, zur Familie und zur Wohnkultur sowie zu Massenbedarfsgütern und Verpackungen.

    Die Beiträge des Bandes entstanden im Rahmen des Forschungsprojekts »Materielle Kultur als soziales Gedächtnis einer Gesellschaft«, das Teil der Förderini-tiative »Forschung in Museen« der VolkswagenStiftung war und von Katja Böhme, Anna Katharina Laschke und Andreas Ludwig am ZZF Potsdam bear-beitet wurde. Mehr zum Projekt unter:
    http://www.zzf-potsdam.de/de/forschung/linien/materielle-kultur-als-soziales-ged...

    Publikation:
    Andreas Ludwig (Hg.) unter Mitarbeit von Katja Böhme und Anna Katharina Laschke: Zeitgeschichte der Dinge. Spurensuchen in der materiellen Kultur der DDR.
    Mit 158 Abbildungen. Böhlau-Verlag, Wien-Köln-Weimar 2019, 378 S., ISBN: 978-3-412-51106-7, Buchpreis: 35 Euro


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Dr. Andreas Ludwig: ludwig@zzf-potsdam.de


    Weitere Informationen:

    http://www.zzf-potsdam.de - Website Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam
    http://www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com/themen-entdecken/geschichte/geschich... - Böhlau-Verlag


    Bilder

    Buchcover "Zeitgeschichte der Dinge" - neuer Sammelband, herausgegeben von Andreas Ludwig
    Buchcover "Zeitgeschichte der Dinge" - neuer Sammelband, herausgegeben von Andreas Ludwig
    Buchcover | Böhlau-Verlag
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    Anhang
    attachment icon Neu erschienen: Sammelband "Zeitgeschichte der Dinge", Dez. 2019

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Kulturwissenschaften
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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