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19.12.2003 11:35

Stellungnahme der Universität Tübingen zur Novellierung des Landeshochschulgesetzes

Michael Seifert Hochschulkommunikation
Eberhard Karls Universität Tübingen

    In seiner gestrigen Sitzung vom 18. Dezember 2003 verabschiedete der Senat der EBERHARD KARLS UNIVERSITÄT TÜBINGEN einstimmig eine Stellungnahme zum 3. Referentenvorentwurf (20.10.2003) eines Zweiten Gesetzes zur Änderung hochschulrechtlicher Vorschriften (hier: Artikel 1 Gesetz über die Hochschulen in Baden-Württemberg (Landeshochschulgesetz-LHG)) Diese Stellungnahme wird nachfolgend vollständig wiedergegeben:

    Die baden-württembergischen Universitäten sind, wie sich aus verschiedenen aktuellen Rankings eindeutig ergibt, bundesweit hervorragend positioniert. Dies gebietet, ihre Strukturen behutsam weiterzuentwickeln, statt sie radikal umzugestalten.

    Der im Umlauf befindliche 3. Referentenvorentwurf einer Landeshochschulgesetzesnovelle (Stand: 20.10.2003) hat in der Universität Tübingen höchste und kritische Aufmerksamkeit gefunden. Inwieweit der verfügbare Entwurfstext noch offen und änderbar ist oder evtl. in Einzelpositionen schon revidiert wurde, ist gegenwärtig nicht in Erfahrung zu bringen. Deshalb verabschiedet der Senat der Universität Tübingen, weitgehend losgelöst von dem Vorentwurf, einige Grundsätze, die ihm für eine Hochschulgesetzgebung essentiell erscheinen, soll sie den Anforderungen eines modernen und effizienten Wissenschaftsbetriebes entsprechen (I). Darüber hinaus äußert sich der Senat zu einigen im vorliegenden Entwurf in Aussicht genommenen Regelungen im Einzelnen, deren Änderungsbedürftigkeit ihm ganz besonders am Herzen liegt (II). Sie richten sich auf die Leitungsstrukturen der Hochschulen. Der Senat wird sich zu gegebener Zeit zu den weiteren Regelungen äußern, die vorgesehen sind.

    I. Grundsätze

    * Autonomie, insbesondere interne Organisationsautonomie
    Um ihre Aufgabe im internationalen Wettbewerb effizient erfüllen zu können, müssen die Universitäten ihre interne Organisation in ihrer Grundordnung individuell regeln.

    * Universitätsrat
    Aufgabenstellung, Zusammensetzung und Wahlverfahren des Universitätsrates in Tübingen haben sich seit seiner Einrichtung hervorragend bewährt. Ein Grund zu einer radikalen Veränderung besteht nicht. Insbesondere darf der Universitätsrat nicht zu einem der Landesverfassung und dem Grundgesetz widersprechenden Steuerungsinstrument werden. Die Aufgaben des Universitätsrats müssen auf langfristige strategische Entscheidungen ausgerichtet sein.

    * Rektorat
    Das Rektorat ist das zentrale Exekutivorgan der Universität. Alle Mitglieder des Rektorats müssen die gleiche Legitimation haben. Diese muss durch den Senat erfolgen. Eine Mitwirkung des Universitätsrates bei der Besetzung des Rektorats ist angemessen.

    * Senat
    Der Senat muss das entscheidende Selbstverwaltungsorgan der Universität für alle Fragen von Forschung und Lehre sein. Zu seinen wichtigen Zuständigkeiten gehören die Berufungen.

    * Fakultäten
    Der Fakultätsrat (in seiner erweiterten Form) hat die umfassende Zuständigkeit für Forschung und Lehre in der Fakultät. Der Fakultätsvorstand sorgt für effiziente Abläufe. Wissenschaftsfreiheit hat auch eine institutionelle Komponente.

    * Lehre und Studiengänge
    Die Universitäten müssen die Freiheit haben, ihre Lehrangebote und Studienabschlüsse am internationalen Wettbewerb auszurichten. Die Weiterentwicklung von Studiengangsstrukturen ist eine zentrale Aufgabe der Universität.

    * Mitwirkung der Gruppen
    Die Universität lebt von der Kreativität und der Innovationskraft vor allem ihrer jüngeren Mitglieder. Die Mitwirkung der Studierenden und der wissenschaftlichen und nichtwissenschaftlichen Mitarbeiter in den Gremien der Universität kann deshalb nicht geschmälert werden.

    * Finanzierung
    Die Finanzierung der Universitäten muss sich an ihren Aufgaben, Leistungen und Strukturen orientieren. Sie bedarf einer langfristigen Planungssicherheit, weil ihre Aufgabenstellung langfristig angelegt ist.

    * Vielfalt der baden-württembergischen Hochschullandschaft
    Die besonderen Aufgabenstellungen der verschiedenen Hochschularten, insbesondere auch der Universitäten, müssen in adäquaten Strukturen und Finanzierungsmodellen ihren Niederschlag finden.

    Die Universität Tübingen würde erforderlichenfalls eine gerichtliche Überprüfung mehrerer geplanter Regelungen auf Konformität mit der Landesverfassung und dem Grundgesetz mit veranlassen und tragen.

    II. Erläuterungen zu einigen Positionen des Vorentwurfs

    1. Universität gleich Aktiengesellschaft?
    Eine Übernahme der Organisations- und Leitungsstrukturen von Aktiengesellschaften auf Universitäten, wie sie dem Vorentwurf zugrunde liegt, wird den zentralen Aufgabenstellungen von Universitäten nicht gerecht: Die Finanzierung erfolgt durch den Staat; Kreditaufnahme ist nicht möglich; es gibt bezüglich Personal kaum Dispositionsspielräume; die Schließung von Bereichen ist in vertretbarer Zeit nicht möglich; der Gestaltungsrahmen ist unvergleichlich enger als in der Wirtschaft. Hochschulen benötigen wissenschaftsadäquate Strukturen. Die Kritik am Vorentwurf richtet sich unter anderem darauf, dass ein vereinfachtes Top-down-Prinzip einem gut funktionierenden und wissenschaftsgemäßen Bottom-up-System aufgezwungen werden soll.

    2. Senat und Fakultätsräte als zentrale Entscheidungsorgane von Universität und Fakultät
    Die im Vorentwurf vorgesehene Entmachtung des Senats und der Fakultätsräte widerspricht den Anforderungen von Forschung und Lehre, die auf Fachkompetenz von Entscheidungen gerichtet sind. Der Senat muss auch in Zukunft das zentrale Selbstverwaltungsorgan der Universität sein. Das bedeutet insbesondere:

    - er wählt grundsätzlich alle Mitglieder der Universitätsleitung;
    - er entscheidet über Berufungen;
    - er wählt den Universitätsrat.

    Die Universität wünscht erweiterte Fakultätsräte als zentrale Entscheidungsorgane der Fakultäten. Fachnahe Entscheidungen unter Gruppenbeteiligung sind für den Forschungs- und Lehrbetrieb essentiell. Der Fakultätsrat muss insbesondere folgende Aufgaben haben:

    - er wählt den Fakultätsvorstand;
    - er bildet die Berufungskommissionen;
    - er beschließt über Berufungsvorschläge.

    Insgesamt würde die Übertragung von Zuständigkeiten von Senat und Fakultätsräten auf nicht demokratisch legitimierte Kleingremien die breite Masse der Mitglieder der Hochschulen, insbesondere auch der Wissenschaftler, von den Entscheidungsprozessen ausschließen.

    3. Universitätsrat: Ablösung trotz Bewährung?
    Die Absicht, einen Aufsichtsrat zu wesentlichen Teilen vom Ministerium bestimmen zu lassen und ihm große Verantwortung zu übertragen, steht im Gegensatz zu der vorgegebenen Absicht, die Autonomie stärken zu wollen. Einem politisierten Gremium, das im Ehrenamt wirken soll, kann die Gesamtverantwortung für eine Universität nicht übertragen werden. Die seit 2000 in Tübingen entwickelte Kultur effizienter Kooperation von Senat und Rektorat mit dem Universitätsrat muss fortgesetzt werden.

    4. Wahl der Hochschulleitung
    Der Senat muss die Möglichkeit behalten zu entscheiden, welche Qualifikationen der zu Wählenden Priorität haben und ob ein Externer oder ein Interner als Rektor zu bevorzugen ist. Absichten, der Hochschulleitung die Auswahl der Dekane und die Berufungsangelegenheiten zu übertragen, führen zu einer Marginalisierung der Fakultäten, die jedoch als Grundeinheiten der Universität mit Zuständigkeit für die fachnahen Entscheidungen in ihrer Bedeutung erhalten bleiben müssen.

    5. Experimentierklausel
    Nur mit einer Experimentierklausel kann sich eine wettbewerbsorientierte Universität kontinuierlich in ihren Organisationsformen fortentwickeln. Sie ist entbehrlich, wenn volle Binnenautonomie besteht.

    6. Finanzierung
    Die Art der Finanzierung von Hochschulen muss langfristigen strategischen Gesichtspunkten entsprechen und darf nicht zur Detailsteuerung degenerieren.

    Professor Dr. Dr. h.c. Eberhard Schaich
    Rektor und Vorsitzender des Senats


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    fachunabhängig
    überregional
    Wissenschaftspolitik
    Deutsch


     

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