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In den Bremer Nachrichten vom 26. Juni 1942 findet sich eine rätselhafte Anzeige: Bei einer öffentlichen Versteigerung soll im Auftrag des Oberfinanzpräsidenten für den Bereich Weser-Ems Umzugsgut von Auswanderern meistbietend den Besitzer wechseln – darunter ganze Wohn- und Schlafzimmereinrichtungen, Eisschränke, Kristall- und Porzellansachen und sogar ärztliche Instrumente. Doch wer wanderte 1942, mitten im Krieg, aus? Und warum versteigerte das Oberfinanzpräsidium dieses Hab und Gut? Diesen Fragen gehen Forschende des Deutschen Schifffahrtsmuseums (DSM) / Leibniz-Institut für Maritime Geschichte derzeit in einem Projekt nach.
Im Rahmen des Forschungsprojektes "Der Umgang mit Übersiedlungsgut jüdischer Emigranten in Bremen nach 1939: Beteiligte, Netzwerke und Wege der Verwertung" wird dies tiefergehend ergründet. Diese neue Forschungsarbeit entwickelte sich aus den seit 2017 laufenden Provenienzforschungen am DSM, in denen das Museum seine Bestände systematisch auf unrechtmäßig entzogenes Kulturgut während der NS-Zeit untersucht.
Dank einer weiteren Förderung durch das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste werden seit 2018 Informationen zu den Versteigerungen in Bremen gesammelt, analysiert und über eine Datenbank zugänglich gemacht. Susanne Kiel, Provenienzforscherin am DSM, greift vorwiegend auf Materialien aus Archiven zurück und analysiert dabei unter anderem Rückerstattungsakten, Versteigerungsprotokolle und Anzeigen aus den Bremer Nachrichten. Ziel des Projekts ist es, die Wege des Übersiedlungsguts jüdischer Emigrantinnen und Emigranten ab dem Verlassen der Haustür bis zum Verkauf zu rekonstruieren. Auf Grundlage dessen kann dann versucht werden, Objekte wieder aufzufinden und - im besten Fall - eine Rückgabe der Gegenstände an die Eigentümer bzw. deren Erben zu ermöglichen.
Im Projekt steht die Rekonstruktion der Routen der Liftvans an oberster Stelle. Hierbei handelt es sich um die mit Umzugsgut gefüllte Kisten. Diese Überseekisten verblieben nach Kriegsbeginn im September 1939 in den Lagerstätten der Häfen, da die zivile Schifffahrt eingestellt wurde. So lagerten auch in den Bremer Häfen zu verschiffende Umzugsgüter wie Hausrat, Möbel, Musikinstrumente, Gemälde, Kleidung, Berufsausstattung oder ähnliches, ohne jemals den Weg Richtung Übersee anzutreten.
Die Gestapo beschlagnahmte ab 1940 die Liftvans, um die Inhalte anschließend öffentlich versteigern zu lassen. Die Verantwortlichkeit für die Auktionen übernahm ab Herbst 1941 die Oberfinanzdirektion des Gau Weser-Ems. Käufer des Versteigerungsgutes sollten die durch Luftangriffe geschädigten Ausgebombten sein, doch waren es vorwiegend Händler, die mit dem anschließenden Weiterverkauf in ihren Geschäften gute Gewinne machten. So oder so gelangten die Besitztümer in Privathaushalte, aber auch in öffentliche Einrichtungen, wie z.B. Museen.
Viele der Betroffenen sahen ihren Besitz nie wieder. Nach dem Krieg wurden zwar von den Alliierten Anlaufstellen - u.a. die späteren Landesämter für Wiedergutmachung - mit dem Versuch errichtet, Abläufe zu rekonstruieren. Die Rückerstattungsprozesse waren jedoch aufwändig, sehr bürokratisch und zogen sich über viele Jahre hin. Aus den Rückerstattungsakten, die von Susanne Kiel eingehend untersucht werden, lassen sich für das Projekt wichtige Informationen herleiten. Sie zeigen aber auch, dass Betroffene in den meisten Fällen höchstens und zumeist geringe Entschädigungssummen erhalten haben, nicht aber die verlorenen Familienstücke.
"Es ist keine Wiedergutmachung" sagt Kiel. "Trotzdem ist es für die betroffenen Familien ein Zeichen, dass diese Geschehnisse nicht vergessen werden, sondern recherchiert, aufgearbeitet und erzählt werden".
Das Museum ruft Bürger*innen dazu auf, sich an dem Projekt zu beteiligen. Hilfreich für das Projekt sind insbesondere Informationen zu Zeitzeug*innen, Briefe oder Dokumente oder auch mündliche Informationen über die Vorgänge in den Häfen oder den Verbleib des in Bremen versteigerten Übersiedlungsguts. Auch wer vermutet, ein solches Objekt im Besitz zu haben, wird um Mithilfe gebeten. Mit entsprechenden Informationen wird vertraulich umgegangen. Interessierte können sich an Susanne Kiel vom DSM wenden (Email: Kiel@dsm.museum, Postalisch: Deutsches Schifffahrtsmuseum, Susanne Kiel, Hans-Scharoun-Platz 1, 27568 Bremerhaven).
Der Bremer Hafen war nicht der einzige, an dem die Umzugsgüter aus eingelagerten Liftvans versteigert und weitergegeben wurden. Auch an anderen europäischen Häfen ließen sich ähnliche Vorgänge beobachten. Aus diesem Grund ist ein Symposium in Bremen geplant, das das Thema für die Öffentlichkeit sichtbar machen soll, aber auch einen Austausch unter Forschenden ermöglichen soll. Ziel ist die Entwicklung eines wissenschaftlichen Netzwerkes, das zu den Geschichten der Hafenstädte Bremen, Hamburg, Rotterdam und Triest auf Grundlage der dortigen Beschlagnahmungen von Umzugsgut jüdischer Emigrant*innen durch Nationalsozialisten forscht.
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Liebe Redaktionen,
das DSM kann während der Corona-Krise bis auf Weiteres nicht besichtigt werden. Unsere Forschungsarbeit läuft jedoch weiter. Darüber möchten wir Sie auch künftig in Pressemitteilungen wie dieser informieren. Gern vermitteln wir Ihnen entsprechende Ansprechpartner. Bitte haben Sie jedoch Verständnis dafür, dass auch wir aufgrund der aktuellen Empfehlungen persönliche Außenkontakte momentan soweit wie möglich einschränken. Unsere Wissenschaftler*innen stehen für Ihre Rückfragen daher momentan vorzugsweise telefonisch oder per E-Mail zur Verfügung.
Ihr DSM-Kommunikationsteam
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Pressekontakt:
Deutsches Schifffahrtsmuseum
Leibniz-Institut für Maritime Geschichte
Thomas Joppig
Leitung Kommunikation
T +49 471 482 07 832
joppig@dsm.museum
Das Deutsche Schifffahrtsmuseum / Leibniz-Institut für Maritime Geschichte
Die wechselvolle Beziehung zwischen Mensch und Meer zu erforschen und in Ausstellungen erlebbar zu machen – das hat sich das Deutsche Schifffahrtsmuseum / Leibniz-Institut für Maritime Geschichte (DSM) in Bremerhaven zur Aufgabe gemacht. Es ist eines von acht Leibniz-Forschungsmuseen in Deutschland. Mit seinen rund 100 Mitarbeitenden und Auszubildenden und circa 8000 Quadratmetern überdachter Ausstellungsfläche zählt es zu den größten maritimen Museen Europas. Zurzeit befindet sich das DSM im Wandel und verbindet eine Gebäudesanierung sowie den Bau eines Forschungsdepots mit einer umfassenden Neukonzeption aller Ausstellungs- und Forschungsbereiche.
Forschungsprojekte am DSM werden durch namhafte nationale und internationale Förderprogramme unterstützt. Als attraktiver Arbeitsort für junge und berufserfahrene Talente in der maritimen Forschung unterhält das DSM vielfältige Kooperationen mit Universitäten, Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Unterstützung erfährt das Museum nicht zuletzt von den rund 2500 Mitgliedern des "Fördervereins Deutsches Schifffahrtsmuseum e.V." Dieser sowie das "Kuratorium zur Förderung des Deutschen Schifffahrtsmuseums e.V." hatten einst die Eröffnung des Hauses im Jahr 1975 vorangetrieben und begleiten es nun auf seinem Zukunftskurs.
Susanne Kiel, Provenienzforscherin am DSM: kiel@dsm.museum
Historische Zeitungsanzeige aus dem Jahr 1942.
Foto: DSM
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Susanne Kiel, Provenienzforscherin am DSM
Foto: DSM
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Studierende, Wissenschaftler, jedermann
Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Kulturwissenschaften, Politik, Verkehr / Transport
überregional
Forschungs- / Wissenstransfer, Kooperationen
Deutsch
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