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14.01.2004 15:51

Brauchen wir Elite-Universitäten?

Axel Burchardt Abteilung Hochschulkommunikation/Bereich Presse und Information
Friedrich-Schiller-Universität Jena

    Der Rektor der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Prof. Dr. Karl-Ulrich Meyn, bezieht Position

    Jena (14.01.04) Da hat es ganz schön gerappelt im Karton, als Franz Müntefering, Fraktionsvorsitzender der SPD im Bundestag, von der einen Elite-Universität sprach, die man gründen müsse. Da meldeten sich diejenigen, die das Ganze für einen "Schmarren" halten, weil dafür das erforderliche Kleingeld fehlt, und auf der anderen Seite diejenigen, die von Elitegedanken nichts halten. Und es rappelte weiter, auch als Frau Buhlman von bis zu zehn Universitäten sprach, die zu Spitzenuniversitäten ausgebaut werden könnten. Irgendwo war auch die Rede davon, dass nicht ganze Universitäten, sondern nur jeweils die besten Fakultäten einzelner Hochschulen eine Spitzenförderung erhalten sollten. Die Kritik aber verstummte nicht, vielmehr wuchs die Zahl der Kritiker. Aber es wurden auch immer mehr Ansprüche angemeldet, was den Status als Elite-Universität oder Spitzenuniversität angeht. Selbst Hochschulen mit sehr eingeschränktem Fächerspektrum oder solche Institutionen, deren Leistungsfähigkeit gegenwärtig eher am Ende der Skala angesiedelt ist, meldeten solche Ansprüche an. Ist das Ganze wirklich bloß ein "Schmarren"?

    Die Antwort fällt nicht ganz leicht, weil die Sache natürlich viel komplizierter ist, als dass man ihr mit schlanken Formeln beikommen könnte. Um es gleich zu sagen: Ich halte die Debatte, so wie sie bisher verlaufen ist, für ausgesprochen nützlich. Es ist nämlich endlich von allen Seiten anerkannt, dass das deutsche Universitätssystem im internationalen Vergleich krass unterfinanziert ist. War dies bisher lediglich aus dem Mund von Hochschulpolitikern zu hören, so erkennt Müntefering, ohne dass dazu Widerspruch zu hören wäre, jetzt an, dass Deutschland sich in den vergangenen Jahren auch in der Forschungspolitik zu sehr ausgeruht habe. Die Ausgaben für Bildung und Forschung müssten von Politik und Wirtschaft erhöht werden. Es seien bis zum Jahr 2010 10-30 Milliarden Euro jährlich zusätzlich notwendig, um Deutschland bei Innovationen international konkurrenzfähig zu halten. Allein auf die öffentliche Hand kämen zwischen 5 und 10 Milliarden Euro an Mehrausgaben zu. Es ist in diesem Zusammenhang sicher nicht beckmesserisch, wenn man danach fragt, warum dann der Bund die Ausgaben für den Hochschulbau reduziert hat.

    Aber nicht auf solche Einzelheiten kommt es bei der gegenwärtigen Diskussion an. Vielmehr ist zu begrüßen, dass grundsätzlich - und hoffentlich endgültig - anerkannt ist, dass Deutschland den Anschluss insbesondere an das US-amerikanische Spitzenniveau nicht gewinnen kann, wenn es nicht bereit ist, deutlich mehr in die Forschung zu investieren. Bisher war nämlich - und zwar von allen politischen Seiten - immer nur die Rede davon, dass das deutsche Hochschulsystem sich reformieren müsse. Diejenigen, die darauf hinwiesen, dass ohne zusätzliche "Investitionen in die besten Köpfe" kaum noch etwas aus den Hochschulen herauszuquetschen sei, wurden als selbstzufriedene Gestrige gebrandmarkt.

    Noch einmal: Ich halte den Anstoß, der mit dem Reizwort Elite-Universität gegeben worden ist, für sehr nützlich. Wir dürfen hoffen, dass eine durch die PISA-Diskussion bereits sensibilisierte Öffentlichkeit künftig offen bleibt für die Frage, welche Mittel in welchem Umfang in welchen Bereich investiert werden sollten, mit anderen Worten was die wirklich beste Zukunftsinvestition ist. Die baden-württembergische Kultusministerin Annette Schavan hat den Ball richtig aufgenommen. Die SPD fordert in ihren Leitlinien - wohl gemerkt für Deutschland insgesamt - eine Steigerung der Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen auf 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Schavan weist darauf hin, dass in Baden-Württemberg dieser Prozentsatz bereits bei 4 Prozent liegt. Wenn die Diskussion mit diesem Inhalt weitergeführt wird, dürfen wir (schüchtern) hoffen, dass die Frage, ob es Elite- bzw. Spitzenuniversitäten geben soll, die besonders gefördert werden, eine reale materielle Basis erhält. Klar sollte nämlich sein, dass es ein falscher Weg wäre, allen Hochschulen zunächst erneut Mittel zu streichen, um diese Mittel dann jenen Spitzenuniversitäten zuzuweisen. Erfreulicherweise mehren sich die Stimmen, dass die Hochschulen einerseits insgesamt unterfinanziert sind, andererseits aber als Basis für Spitzenleistungen gerade auch in ihrer Breite mindestens das heutige Leistungsniveau halten müssen, nein, eigentlich zu steigern hätten.

    Wie aber kommen wir nun - das Vorhandensein nennenswert zusätzlicher Mittel vorausgesetzt - zu jenen Spitzenleistungen? Die EINE Elite-Universität kann es nicht sein. Das ist in der bisherigen Debatte nicht umstritten. Auch Münterfering spricht in seinen jüngsten Äußerungen nicht mehr von nur einer Elite-Universität. Fraglich aber ist genauso, ob es sinnvoll ist, gegenwärtig 10 Spitzenuniversitäten auszumachen, die dann für jedes ihrer Fächer finanzielle Spitzenförderung erhalten würden. Die Antwort lautet: Nein. Keine deutsche Universität liegt nämlich mit allen ihren Fächern in einer wie auch immer definierten Spitzengruppe. Die bisherigen Rankings haben gezeigt, dass die Lage im deutschen Universitätssystem sehr differenziert ist. Es ist z. B. keineswegs so, dass die vielfach genannte Humboldt-Universität in allen ihren Fächern mindestens auf Platz zehn stehen würde und es gibt mindestens 30 andere Universitäten, die für jeweils ein oder mehrere Fachgebiete einen Platz unter den ersten 10 beanspruchen können. Deshalb wäre es ein falscher Weg, zehn Universitäten zu ermitteln, die im Durchschnitt ihrer Fächer zwar über den übrigen liegen, dafür aber Spitzenfakultäten in Universitäten, die in ihrem Durchschnitt nicht zu den ersten 10 gehören, zu vernachlässigen. Man würde damit erreichtes Spitzenniveau vernichten.

    Einen solchen Weg ist auch das amerikanische Universitätssystem nicht gegangen, sondern es hat sich organisch Schritt für Schritt entwickelt. Die Rankings der amerikanischen Universitäten zeigen, dass auch dort die Spitzenuniversitäten unterschiedlich hochwertige Fächer aufweisen.

    Vielmehr finden sich Spitzenleistungen auch in deutschen Universitäten, die insgesamt einen eher durchschnittlichen Zuschnitt haben. Nun ist es auf den ersten Blick naheliegend, bei den relativ besten Universitäten den Versuch zu machen, die schwächeren Fächer durch finanzielle Zuweisung zu stärken. Das wäre aber zu simpel gedacht. Der Teufel steckt dabei im Detail. Auch mit Geld ist nämlich Leistung nicht sofort zu erzeugen. Leistung hängt gerade in der Wissenschaft vor allem von dem wissenschaftlichen Personal ab, das erst an diese schwächeren Fakultäten berufen werden müsste. Der plausiblere Weg besteht deshalb darin, durch Evaluationen festzustellen, wo die stärksten Wissenschaftler sitzen, um diese dann stärker zu fördern - unabhängig davon, ob die jeweilige Universität insgesamt ein Spitzenniveau aufweist.

    Dabei ist es nicht ausreichend, nur zusätzliche Mittel für die Forschung zur Verfügung zu stellen. Vielmehr müssen auch die Bedingungen für die Lehre deutlich verbessert werden. Für Spitzenuniversitäten brauchen wir nämlich auch Spitzennachwuchs und der ist in den heutigen Massenfakultäten nur schwer zu entwickeln. In der letzten Konsequenz könnte das zum Beispiel bedeuten, dass die Curricularnormwerte speziell für solche Fakultäten verbessert werden. Dabei bin ich aber schon bei einem Grad von Detailliertheit, den die bisherige Diskussion noch gar nicht erreicht hat. Welche konkreten Maßnahmen ergriffen werden müssten, um dann möglicherweise doch - auf einem langen Weg - zu solchen Spitzenuniversitäten zu kommen, bedarf noch intensiver Erörterung.

    Noch nicht einmal ganz grundlegende Fragen sind bisher geklärt. So müsste u. a. geprüft werden, welche Möglichkeiten der Bund gegenwärtig hat, um zum Ziel Elite-Universitäten überhaupt beitragen zu können. Die Gründung oder auch nur Benennung solcher Universitäten wäre ihm wegen der Landeskompetenz auf diesem Gebiet nämlich nach Verfassungslage verwehrt. Es erscheint mir gerade angesichts der gegenwärtigen Föderalismusdebatte undenkbar, dass die Länder dafür den Weg freimachen würden. Neben der Kompetenz für die Polizei gehört nämlich das Schul- und Hochschulwesen zu den wenigen Feldern, auf denen die Länder überhaupt noch etwas zu sagen haben. Mein Eindruck ist im übrigen, dass es nicht unbedingt neuer Institutionen bedarf, um die in Aussicht gestellten zusätzlichen Mittel zielorientiert einzusetzen. Um solche - hoffentlich sehr bald - zur Verfügung gestellten zusätzlichen Mitteln trotzdem Elite orientiert zu verwenden, gibt es z. B. die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG). Sie stellt ein Instrument dar, mit dem Eliteförderung auf dem Gebiet der Forschung betrieben werden kann. Sie verfügt über ein ausgefeiltes Instrumentarium des peer review, das die besten Fakultäten nach Maßgabe von darzustellenden Programmen und Projekten gezielt fördern kann.
    Schon mit Hilfe der bisherigen Mittel sind erste Schritte zu einer Ausdifferenzierung im Leistungsniveau deutscher Universitäten erfolgreich beschritten worden. Dafür sind u. a. die Sonderforschungsbereiche zu nennen. Mit zusätzlichen Mitteln in signifikanter Höhe lässt sich dieser Weg beschleunigen und intensivieren.

    Damit würden die Länder nicht aus ihrer ureigensten Verantwortung entlassen. Das bereits genannte Beispiel Baden-Württemberg zeigt, dass es allein mit Strukturreformen in den Universitäten nicht getan ist, sondern dass zwischen finanzieller Ausstattung und Leistungsfähigkeit ein enger Zusammenhang besteht. Die Bundesländer sollten in einen öffentlich sichtbaren Wettbewerb um die beste Ausstattung ihrer Universitäten eintreten. Die Öffentlichkeit ist endlich wach geworden und dürfte diese Frage künftig - PISA lässt grüßen - aufmerksamer verfolgen als bisher.

    Mit Recht ist nicht nur in dieser neuen Debatte immer wieder die Forderung erhoben worden, dass die deutschen Universitäten untereinander mehr Wettbewerb betreiben müssten. Voraussetzung für Wettbewerb aber ist, dass die Universitäten zu eigenen unternehmerischen Entscheidungen befähigt werden. Das gegenwärtige Hochschulrecht schnürt die Universitäten aber in einer Weise ein, die nur wenig Bewegung aus eigener Entscheidung erlaubt. Kein deutsches Unternehmen wäre international auch nur annähernd konkurrenzfähig, wenn es in ein derart enges Korsett geschnürt wäre, wie die deutschen Hochschulen. Thüringen ist dafür, wie der Stifterverband für die deutsche Wissenschaft festgestellt hat, ein besonders gravierendes Beispiel. Es ist kaum zugespitzt, wenn man sagt, dass den Wettbewerb auf dem Gebiet des Hochschulwesens gegenwärtig nicht die Universitäten, sondern die Länder führen. Der Politik gelingt es aber immer wieder, den Schwarzen Peter den Hochschulen zuzuschieben. Sowohl die amerikanischen wie auch die englischen Universitäten sind z. B. bei der Berufung von Professoren vollkommen frei. Die Beteiligung eines Ministeriums daran ist dort unbekannt. Das ist nur ein deutliches Beispiel, das um viele andere ergänzt werden könnte.

    Es sind einige Universitäten genannt worden, die als Spitzenuniversitäten in Betracht kommen. So manche hat sich auch selbst gemeldet. Obwohl ich wie gesagt der Auffassung bin, dass es nicht darum gehen kann, einen Numerus clausus solcher Eliteeinrichtungen zu entwickeln, sondern dass es vielmehr darauf ankommt, von dem existierenden Leistungsspektrum auszugehen, möchte ich mich vor der Frage nicht drücken, ob die Friedrich-Schiller-Universität sich dort einreihen dürfte. Ich möchte andererseits aber konsequent bleiben. Deshalb kann ich in aller Bescheidenheit feststellen, dass die Universität Jena durchaus in mehreren Fachgebieten trotz des schwierigen Prozesses des Umbaus nach der Wende - er kam in vielen Gebieten einem Neuaufbau gleich - dafür in Betracht kommt. Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesforschungsministerium (BMBF), Christoph Matschie, sieht dies erfreulicherweise auch so. Es ist sicher kein Zufall, dass im übrigen bisher außer der Humboldt-Universität, die immer noch davon profitiert, dass sie in DDR-Zeiten eklatant bevorzugt wurde, keine Universität des Ostens in der bundesweiten Diskussion als künftige Elite-Universität genannt worden ist. Vielleicht kommt die Diskussion eigentlich für uns etwas zu früh. Wir sind auf dem Weg nach oben zwar schon ein sehr gutes Stück voran gekommen, aber noch nicht auf dem Gipfel angekommen. So gehört die Universität Jena im so genannten Förderranking der DFG zu den shooting stars der letzten Jahre, ist aber auch hier noch nicht die Nummer 1. Der in die Wege geleitete Prozess ist aber natürlich noch nicht abgeschlossen. Erfahrungsgemäß dauert nämlich der simple Aufbau einer Universität mindestens 15 Jahre. Wenn wir dann in einigen Fächern bereits Spitzenpositionen erreicht haben, so ist das eine Bestätigung des Weges, den die Universitätsleitungen der vergangenen Jahre eingeschlagen haben.

    Eine der wichtigsten Detailfragen einer Ausdifferenzierung des Universitätssystem nach Leistungen ist die Frage nach der Auswahl der Studierenden. Spitzenuniversitäten müssten nicht nur vom wissenschaftlichen Personal, sondern auch von den Studierenden Spitzenleistungen fordern. Die gegenwärtige Lösung, die es den Ländern erlaubt, ihren Hochschulen die Auswahl der Hälfte ihrer Studierenden zu gestatten, ist unter dem Aspekt Elite-Universitäten halbherzig. Einzuräumen ist allerdings, dass hier der Zusammenhang mit den Curricularnormwerten zu beachten ist. Solange die Wissenschaftsministerien den Universitäten vorschreiben, wie viele Studenten sie gemessen an ihrer Ausstattung mit Räumen und Personal aufnehmen müssen, ist eine solche Ausdifferenzierung nicht wirklich möglich.

    Auch dieses Beispiel zeigt, dass die Finanzfragen der Eckpfeiler jeder Hochschulpolitik sind. Wenn insgesamt bis zu 30 Milliarden Euro jährlich zusätzlich notwendig sind, um die angestrebten Spitzenleistungen zu erzeugen, und dafür entsprechende Investitionen der Wirtschaft erforderlich sind, dann stellt sich angesichts des bisherigen Zögerns der meisten Wirtschaftsunternehmen die Frage, wie dies erreicht werden soll. Alle politischen Parteien sind sich einig darin, dass der Wirtschaftsstandort Deutschland u. a. mit Hilfe von Steuersenkungen gestärkt werden sollte. Wenn der Staat seinen Anteil am Bruttosozialprodukt senkt, gleichzeitig aber die Leistungen der staatlichen Universitäten gesteigert werden sollen, dann müssen Wirtschaft und Gesellschaft zumindest zum Teil in die Bresche springen. Erzwingen kann der Staat dies nicht. Wie wäre es aber, wenn er das Ob und das Wie viel der Steuersenkungen an Leistungen für Forschung und Entwicklung koppeln würde?

    Ich hoffe jedenfalls, dass es noch lange öffentlich rappelt im hochschulfinanzpolitischen Karton - und das möglichst konstruktiv.

    Prof. Dr. Karl-Ulrich Meyn,
    Rektor der Friedrich-Schiller-Universität Jena


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    Wissenschaftspolitik
    Deutsch


     

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