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Corona-Krise: 14 Prozent in Kurzarbeit – 40 Prozent können finanziell maximal drei Monate durchhalten – Pandemie vergrößert Ungleichheiten
Die Corona-Krise in Deutschland macht sehr deutlich, wie unterschiedlich Beschäftigte in beruflich und wirtschaftlich schwierigen Situationen abgesichert sind oder auf unterstützende Regeln vertrauen können.
Das gilt beispielsweise bei der Höhe des Kurzarbeitergeldes oder der Organisation von mobiler Arbeit und Homeoffice. Durch die Pandemie können sich bestehende Ungleichheiten am deutschen Arbeitsmarkt verschärfen – etwa zwischen höher und niedriger bezahlten Beschäftigtengruppen, aber auch zwischen den Geschlechtern. Generell sind Beschäftigte mit niedrigeren Einkommen, in Betrieben ohne Tarifvertrag oder Betriebsrat sowie Frauen derzeit überproportional belastet. Das zeigen erste Ergebnisse einer neuen Online-Befragung, für die im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung 7.677 Erwerbstätige interviewt wurden. Die von Kantar Deutschland durchgeführte Befragung bildet die Erwerbspersonen in Deutschland im Hinblick auf die Merkmale Geschlecht, Alter, Bildung und Bundesland repräsentativ ab. 94 Prozent der Befragten unterstützen die Forderung nach besserer Bezahlung und besseren Arbeitsbedingungen für Beschäftigte in „systemrelevanten“ Berufen wie Pflege oder Einzelhandel (siehe auch Abbildung 1 in der pdf-Version dieser PM; Link unten).
„Bestimmte gesellschaftliche Gruppen sind vor den Auswirkungen der Krise schlechter geschützt als andere. Das kann langfristig negative Auswirkungen auf den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft haben“, warnt Prof. Dr. Bettina Kohlrausch. Die Soziologin an der Universität Paderborn und designierte Wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung hat die neue Befragung ausgewertet. 74 Prozent der Befragten äußern Sorgen um den sozialen Zusammenhalt in Deutschland, 70 Prozent sorgen sich um ihre eigene wirtschaftliche Situation (siehe auch Abbildung 2 in der pdf-Version). Diese Sorgen sind in den unteren Einkommensgruppen stärker ausgeprägt.
„Die Corona-Krise verstärkt die soziale Ungleichheit im Land weiter – das spüren auch die Menschen. Nach milliardenschweren Rettungsschirmen für die Wirtschaft müssen wir nun entschieden gegen die Spaltung der Gesellschaft angehen. Wir brauchen ein klares Signal an die Menschen, dass auch sie jetzt über diese schwierige Zeit gebracht werden und nicht in der Sozialhilfe landen. Und wir müssen dafür sorgen, dass die Arbeit all jener Menschen, die in diesen schwierigen Zeiten unser Land am Laufen halten, angemessen gewürdigt wird und sie anständige Arbeitsbedingungen haben. Das geht am besten mit Tarifverträgen“, sagt Reiner Hoffmann, Vorsitzender des DGB und des Vorstands der Hans-Böckler-Stiftung.
– Kurzarbeitergeld: Mit Tarifvertrag mehr als doppelt so oft Aufstockung –
14 Prozent der zwischen dem 3. und dem 14. April Befragten in abhängiger Beschäftigung gaben an, momentan in Kurzarbeit zu sein. Rechnet man diese Zahl auf die Gesamtzahl der Beschäftigten hoch, entspräche dies ca. 4 Millionen Beschäftigter, die momentan in Kurzarbeit sind. Beschäftigte in niedrigeren Einkommensgruppen sind häufiger in Kurzarbeit als Arbeitnehmer mit höherem Einkommen, zeigt die Auswertung der Befragungsdaten durch Bettina Kohlrausch.
Von den Befragten in Kurzarbeit erklärt rund ein Drittel (32 Prozent), dass ihr Arbeitgeber das Kurzarbeitergeld aufstocke, gut die Hälfte (52 Prozent) berichtet hingegen, es gebe in ihrem Betrieb keine Aufstockung, der Rest konnte das (noch) nicht sagen. Personen, die in einem Unternehmen mit Tarifvertrag arbeiten, erhalten nach der Umfrage mehr als doppelt so häufig (45 Prozent) eine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes wie Personen, die nicht nach einem Tarifvertrag bezahlt werden (19 Prozent). Eine aktuelle Übersicht des WSI zeigt, dass die DGB-Gewerkschaften derzeit in knapp zwei Dutzend Branchen und Großbetrieben tarifvertraglich Aufstockungszahlungen vereinbart haben. (weitere Informationen: https://www.wsi.de/de/kurzarbeit-22444.htm)
Ebenfalls groß ist der Unterschied nach Einkommensgruppen und Geschlecht: Befragte, die über ein Haushaltsnettoeinkommen von weniger als 1500 Euro verfügen, arbeiten nur knapp halb so oft in Betrieben, die Aufstockung anbieten, wie Personen, die über ein Haushaltsnettoeinkommen von über 4500 Euro verdienen (21 Prozent vs. 39 Prozent). Frauen und Männer sind zwar ungefähr im gleichen Maße von Kurzarbeit betroffen, doch bei Frauen wird das Kurzarbeitergeld etwas seltener aufgestockt. „Ein Teil dieser Unterschiede dürfte sich ebenfalls auf unterschiedliche Tarifabdeckung zurückführen lassen“, sagt Bettina Kohlrausch, „es ist ja bekannt dass in tarifgebundenen Unternehmen generell besser bezahlt wird und dass Frauen häufiger in kleineren Dienstleistungsbetrieben ohne Tarifvertrag arbeiten.“
– 40 Prozent schätzen, mit aktuellem Kurzarbeitergeld maximal drei Monate über die Runden zu kommen –
Von den Befragten, die in Kurzarbeit sind und keine Aufstockung erhalten, geben 40 Prozent an, in dieser Situation maximal drei Monate finanziell durchhalten zu können. Auch viele Beschäftigte, die derzeit ihre Arbeitszeit noch nicht reduzieren mussten, sind skeptisch, mit dem zum Zeitpunkt der Befragung zu erwartenden gesetzlichen Kurzarbeitergeld (60 bzw. 67 Prozent) über die Runden zu kommen: Insgesamt geben etwa 32 Prozent aller Befragten (unabhängig von der aktuellen Arbeitssituation) an, bei Kurzarbeit Null mit Kurzarbeitergeld ohne Aufstockung höchstens drei Monate auskommen zu können. Weitere 20 Prozent schätzen, höchstens zwischen 3 und 6 Monaten auskommen zu können (siehe auch Abbildung 3).
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Analog zur stärkeren Betroffenheit durch Kurzarbeit geben Befragte mit geringerem Einkommen deutlich häufiger an, dass sich die Krise bereits negativ auf das Haushaltseinkommen ausgewirkt hat. Zudem glauben sie auch seltener, dass die Krise keinerlei Auswirkungen auf ihr Einkommen haben wird. Das sagen 36 Prozent in der unteren Einkommensgruppe gegenüber 58 Prozent in der obersten. Allerdings geben in allen Einkommensgruppen Personen seltener an, Einkommenseinbußen zu erleben oder dies zu befürchten, wenn ihr Arbeitsverhältnis einem Tarifvertrag unterliegt. Das gilt sowohl für das eigene Einkommen als auch für das für das Haushalteinkommen.
– Krise forciert traditionelle Arbeitsteilung bei Paaren –
Während männliche und weibliche Beschäftigte ähnlich oft von Kurzarbeit betroffen sind, haben spürbar mehr Frauen (24 Prozent) als Männer (16 Prozent) die Arbeitszeit auf anderem Wege reduziert. Sie sind deutlich häufiger freigestellt und befinden sich geringfügig häufiger im krisenbedingten Urlaub. Leben Kinder im Haushalt, übernehmen ganz überwiegend Frauen den größten Teil der nach Kita- oder Schulschließungen anfallenden Betreuungsarbeit. Nach Beobachtung von Forscherin Kohlrausch setzen sich dabei in vielen Familien schon vorher bestehende Muster der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung fort, allerdings zugespitzt. Und auch von den Elternpaaren, die sich die Erziehungsarbeit zuvor ungefähr gleich aufgeteilt haben, tun das nur noch rund 62 Prozent auch während der Krise. „Bei diesen Paaren zeigt sich eine Tendenz, dass häufiger Frauen einen größeren Anteil übernehmen. Wir sehen also eine Verfestigung der Rollenmuster“, erklärt die Wissenschaftlerin.
– Homeoffice: Klare Regeln in mitbestimmten Betrieben entlasten –
Die Befragungsergebnisse spiegeln auch den Schub wieder, den mobile Arbeit und Homeoffice in der Krise erhalten haben: Während vor der Krise rund 4 Prozent der Befragten überwiegend zu Hause gearbeitet haben, tun dies jetzt 27 Prozent. Von diesen empfinden etwa 31 Prozent ihre Arbeitssituation als äußerst stark belastend oder stark belastend. Dieser Wert liegt niedriger als bei Beschäftigten, die weiter im Betrieb arbeiten. Allerdings gibt es bei der Bewertung der Arbeit zu Hause deutliche Unterschiede zwischen Beschäftigten mit und ohne Kinder: Von den Personen mit Kindern unter 14 Jahren im Haushalt schätzen 40 Prozent die Tätigkeit im Homeoffice als äußerst oder stark belasten ein, gegenüber 28 Prozent der Befragten ohne Kinder. Insgesamt 47 Prozent der Befragten, die im Homeoffice sind, geben an, dass es in ihrem Betrieb Regelungen zur Arbeit daheim gibt. Personen mit solchen Regelungen empfinden die Arbeit zu Hause als weniger belastend. Solche Regelungen gibt es deutlich häufiger in Betrieben, die einen Betriebsrat haben.
Rainer Jung
Leiter der Pressestelle
Tel.: 0211 7778150
E-Mail: Rainer-Jung@boeckler.de
Die PM mit Abbildungen (pdf): https://www.boeckler.de/pdf/pm_hbs_2020_04_21.pdf
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Gesellschaft, Politik, Wirtschaft
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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