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Wissenschaft
Das Projekt „ReZeitKon“ erforscht den Zusammenhang zwischen Zeitwohlstand und nachhaltigem Konsum
Schlafen, Sport, ausruhen, lesen, Familie – das sind die fünf am meisten ersehnten Dinge, mit denen sich Menschen beschäftigen würden, wenn sie täglich eine Stunde mehr zur Verfügung hätten. Das ergab eine im Februar 2020, also noch vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie und dem Lockdown in Deutschland, durchgeführte repräsentative Befragung von 2000 Personen. Die Befragung fand im Rahmen des Forschungsprojektes „ReZeitKon – Zeit-Rebound, Zeitwohlstand und nachhaltiger Konsum“ statt, das von Prof. Dr. Ulf Schrader und Dr. Sonja Geiger vom Fachgebiet Arbeitslehre/Ökonomie und Nachhaltiger Konsum geleitet wird.
Die Befragung zeige, dass ein großes Bedürfnis nach Ruhe, Ausgleich und Zeit für persönliche Beziehungen bestehe, sagt Dr. Sonja Geiger von der TU Berlin. „Man könnte zu dem Schluss kommen, dass wir eine erschöpfte Gesellschaft sind, in der sich die Menschen nach ganz einfachen Aktivitäten sehnen“, resümiert auch Lorenz Erdmann vom Verbundpartner Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung aus Karlsruhe. Weitaus seltener wurde „arbeiten“ genannt, und Begriffe wie Körperpflege, basteln, putzen oder aufräumen bilden das Schlusslicht der Liste ersehnter Tätigkeiten.
In dem Projekt wollen die Wissenschaftler*innen erforschen, womit Menschen ihre Zeit verbringen, wie stark sie von Zeitnot betroffen sind und wie sich das auf ihre Konsumpraktiken im Sinne der Nachhaltigkeit auswirkt. Ein Hauptziel des Projekts ist dabei die empirische Überprüfung des vielfach vermuteten Zusammenhangs zwischen Zeitnot und Nutzung zeiteffizienter Techniken und Praktiken einerseits und deren Wirkung auf nachhaltigen Konsum andererseits.
Hinter dem Einsatz zeiteffizienter Techniken und Praktiken in der Arbeitswelt und im Privatleben wie Smartphones und Apps steht meistens die Erwartung, Zeit einzusparen. Trotzdem bleibt oft das Gefühl, immer weniger Zeit zur Verfügung zu haben. Ein Grund ist, dass mehr Tätigkeiten in immer kürzerer Zeit und in schneller wechselnder Abfolge erledigt werden. Es kommt zu der paradoxen Wirkung, dass die „zeitsparenden“ Techniken und Praktiken bei den Menschen das Gegenteil bewirken und sie die Zeitnot in der subjektiven Wahrnehmung verstärken. Diese These stammt ursprünglich von dem Soziologen Hartmut Rosa und wird von den Berliner Wissenschaftler*innen unter dem Begriff „Zeit-Rebound-Effekt“ nun empirisch überprüft. Dieser Zeit-Rebound-Effekt könne sich wiederum negativ auf die Umwelt auswirken: Ist die Zeit knapp, werden schnelle, aber ressourcenintensive Konsumangebote wie Fast Food und Inlandsflüge attraktiver. Zusätzlich belohnen sich manche Menschen mit dem Kauf von Konsumgütern, um einen Ausgleich zum dichten und belastenden Alltag zu finden.
„Die Umweltfolgen des Zeit-Rebound-Effektes sind ein wichtiger Bestandteil des Projektes. So untersuchen wir den Verbrauch natürlicher Ressourcen in Folge des Versuchs, Zeit zu sparen“, erklärt Prof Dr. Schrader von der TU Berlin. Dabei kann der Zusammenhang Zeitnot – nachhaltige Konsumhandlungen in beide Richtungen ausschlagen, teilweise abhängig vom Einkommen. So zeigen erste Analysen der Repräsentativerhebung, dass Menschen mit größerer Zeitnot wie erwartet zum Beispiel tendenziell mehr private Flugreisen unternehmen und sich häufiger Dinge kaufen, die sie gar nicht brauchen. Auf der anderen Seite kaufen sie jedoch tendenziell auch umweltbewusster ein (Bio-Essen, Umweltsiegel) und reparieren häufiger Dinge, die kaputtgegangen sind, als sie zu ersetzen.
Ziel der Wissenschaftler*innen ist es auch, für Schulen, Unternehmen und für das Privatleben Maßnahmen zu entwickeln und zu evaluieren, die den direkten und indirekten Zeit-Rebound-Effekten entgegenwirken. Für Schulen wird ein Bildungsangebot erarbeitet, um Kompetenzen im Umgang mit Zeit, Konsum und Nachhaltigkeit zu fördern. Gemeinsam mit Unternehmen werden transdisziplinär Maßnahmen zu betrieblicher Zeitpolitik erarbeitet und evaluiert, die dazu beitragen sollen, den Zeitwohlstand von Mitarbeitenden zu steigern. Und schließlich soll ein Ratgeber zu Zeit und Nachhaltigkeit entstehen, der auf Basis der wissenschaftlichen Untersuchungen und kritischer Evaluation von Zeitmanagementliteratur Möglichkeiten aufzeigt, die eigene Zeitkompetenz im Privatleben zu verbessern.
Eine spontane Folge-Befragung zum Zeiterleben während des Corona-Lockdown läuft im Moment. Ergebnisse werden Ende April erwartet. „Dann werden wir sehen, ob Menschen in der gewonnenen Zeit auch das tun würden, was sie noch im Februar als ihre größten Zeitnutzungsdefizite angegeben haben und inwiefern sie die Tätigkeiten trotz aller berechtigten Sorgen genießen können“, so Dr. Sonja Geiger.
Das Projekt „ReZeitKon“ wird bis zum 31. August 2021 gefördert. Es wird im Rahmen der Sozial-ökologischen Forschung (SÖF) des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) im Programm „Rebound-Effekte“ mit insgesamt 1.148.000 Euro finanziert. Partner im Verbund sind die Leuphana Universität Lüneburg (UNESCO Chair Hochschulbildung für nachhaltige Entwicklung) und das Fraunhofer Institut ISI Karlsruhe.
Grafik zum Download:
http://www.tu-berlin.de/?213980
Website zum Projekt:
http://www.rezeitkon.de/wordpress/de/ergebnisse/
Weitere Informationen erteilen Ihnen gern:
Prof. Dr. Ulf Schrader
TU Berlin
Fachgebiet Arbeitslehre/Ökonomie und Nachhaltiger Konsum
Tel.: 030/314-28769
E-Mail: schrader@tu-berlin.de
Dr. Sonja Geiger
TU Berlin
Fachgebiet Arbeitslehre/Ökonomie und Nachhaltiger Konsum
Tel.: 030/314-28770
E-Mail: sonja.m.geiger@tu-berlin.de
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Gesellschaft, Psychologie, Umwelt / Ökologie
überregional
Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
Deutsch
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