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Migration in den verschiedensten Ausformungen zählt zu den Forschungsinteressen des amerikanisch-neuseeländischen Ökonomen Steven Stillmann, der seit 2016 an der Freien Universität Bozen lehrt. Einen interessanten Zusammenhang zieht er gemeinsam mit Doktorand Diego Zambiasi in einer Studie: welche Auswirkungen hatte die Legalisierung von Marihuana im Bundesstaat Colorado bezüglich Einwanderung, wachsende Steuereinnahmen und Entwicklung der Wohnungspreise?
Der US-Bundesstaat Colorado ist ein Pioneer im Bereich der Legalisierung von Marihuana: wurde im Jahr 2000 medizinisches Marihuana legalisiert, so zog man bereits 2012 mit einer Legalisierung von Marihuana für den allgemeinen Genuss (recreational marijuana) nach. Prof. Steven Stillman und der ehemalige Masterstudent an der unibz Diego Zambiasi wollten einen Blick hinter die Kulissen werfen: Welche Auswirkungen ökonomischer Natur hat eine solch bahnbrechende Gesetzesänderung? Welche Bevölkerungsströme innerhalb der USA werden ausgelöst, welche Konsequenzen hat die Legalisierung für den Marihuana-Konsum, die Erhebung direkter und indirekter Steuern und das Sozialfürsorgesystem?
„Es gibt eine umfangreiche Literatur, die sich damit befasst, wie Migrationsentscheidungen von Haushalten die Humangeographie gestalten. Der typische Ausgangspunkt ist das neoklassische Modell des räumlichen Gleichgewichts“, erläutert Steven Stillman. „Dieses Modell geht davon aus, dass es im Gleichgewicht keine Nutzengewinne durch den Umzug an einen neuen Ort gibt, da jeder Standort anfangs einen höheren Nutzen durch eine Zuwanderung erfährt, bis die Löhne sinken und/oder die Mieten ausreichend steigen, um den Unterschied wieder zu beseitigen.“
Stillmann und Zambiasi wählten einen anderen Ansatz: Sie untersuchten die Ein- und Auswanderung nach oder aus Colorado im Vergleich zur Migration in anderen Bundesstaaten, die Marihuana nicht legalisiert hatten. Dabei verwendeten sie die synthetische Kontrollmethodik, einen ökonometrischen Ansatz, der abschätzt, was an einem Ort alternativ geschehen wäre, hätte die Veränderung (in diesem Fall die Legalisierung von Marihuana) nicht stattgefunden. Ökonometriker nennen dies die „kontrafaktische Situation". Ausgewählt wurde eine optimale Kombination von Staaten, die vor 2017 kein Marihuana legalisiert hatten und die am besten mit Colorado vor der Legalisierung übereinstimmt, und zwar entlang einer Reihe von Faktoren wie Ein- und Auswanderungszahlen, Einkommen, Bevölkerung, Altersverteilung, Beschäftigungsraten, Berufszusammensetzung, Pro-Kopf-Steuereinnahmen, monatliche Wohnkosten, Durchschnittstemperatur und Wahlverhalten. Die Forscher können dann die Ein- und Auswanderungsraten in dieser "kontrafaktischen" oder alternativen Realitätsversion von Colorado nach der Legalisierung von Marihuana untersuchen und sie mit den tatsächlichen Ein- und Auswanderungsraten in Colorado in diesem Zeitraum vergleichen. Wenn zum Beispiel die Einwanderungsrate nach der Legalisierung im realen Colorado höher ist als in der geschätzten alternativen Realität Colorado, dann würde man schlussfolgern, dass die Legalisierung höhere Einwanderungsraten verursacht hat".
Gefunden haben die beiden Forscher aussagekräftige Belege dafür, dass potenzielle Migranten legalisiertes Marihuana als positive Annehmlichkeit betrachten. Von 2005 bis 2009 wanderten alljährlich durchschnittlich 187.600 Menschen nach Colorado ein. Zwischen 2010 und 2013 stieg die Zuwanderung in Colorado im Vergleich zur kontrafaktischen Situation um 21.372 Personen pro Jahr (plus 11,4 Prozent), verglichen mit dem, was in einer kontrafaktischen Berechnung vorhergesagt worden war. Nach der vollständigen Legalisierung im Jahr 2013 nahm die Zuwanderung um weitere 14.087 Personen pro Jahr zu, was einen weiteren Anstieg um 7,5 Prozent bedeutet. „Da wir keine Auswirkungen auf die Abwanderung feststellen konnten, bedeutet dies, dass die Legalisierung von Marihuana die Bevölkerung Colorados bis 2015 um 3,2 Prozent erhöht hat“, so Stillman.
All diese Zahlen stimmen mit früheren Untersuchungen überein, die positive Auswirkungen der Legalisierung wie einen Rückgang von Selbstmorden unter Jugendlichen, von Verkehrsunfällen und der Kriminalität festgestellt haben. Da legales Marihuana besteuert wird, beschert es den Staaten beträchtliche Mehreinnahmen. „Hinzu kommt, dass Einzelpersonen von Staaten mit steigenden Einnahmen angezogen werden“, so die Autoren. „Insgesamt deuten unsere Ergebnisse darauf hin, dass die Bewegung zur Legalisierung von Marihuana in den USA Folgen für die Verteilung der US-Bevölkerung hat.“
Die gesamte Studie finden Sie hier: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/ecin.12832
BIO: Der Ökonom Steven Stillman (USA-Neuseeland) lehrt seit 2016 an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der unibz. Seine Forschungsthemen umfassen u.a. Migration, den Einfluss auf Herkunft und Gehalt. Wussten Sie beispielswiese, dass die Gehaltsschere zwischen armen und reichen Ländern bis zu einem 68-fach höheren Gehalt führen kann? Der Wissenschaftler Stillman verweist laut Google Scholar auf einen h-Index von 29 und zählt zu den Top-Forschern in seinem Gebiet.
Diego Zambiasi hat seine Masterarbeit zu diesem Thema mit Prof. Steven Stillman an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Freien Universität Bozen verfasst. Er ist derzeit Doktorand am University College Dublin in Irland.
Professor Steven Stillman
https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/ecin.12832
Professor Steven Stillman
Curzio Castellan
unibz/Castellan
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