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09.07.2020 10:41

Längerer Bezug von Arbeitslosengeld hemmt Gründungserfolg

Gunter Grittmann Presse und Redaktion
Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung GmbH (ZEW)

    Arbeitslose, die sich selbstständig machen, sind im Schnitt weniger erfolgreich, wenn sie über einen längeren Zeitraum hinweg Arbeitslosengeld I beziehen können. Ein längerer Anspruch auf Arbeitslosengeld führt bei vielen Betroffenen dazu, dass sie länger arbeitslos bleiben. Dies hat wiederum negative Auswirkungen auf den Erfolg der Gründungen aus der Arbeitslosigkeit. Das sind die Ergebnisse einer aktuellen Studie des ZEW Mannheim und der Universität Zürich.

    „Wer sich gedrängt fühlt, sich selbstständig zu machen, um die Arbeitslosigkeit hinter sich zu lassen, ist weniger motiviert und auch weniger erfolgreich“, sagt Sebastian Camarero Garcia, Wissenschaftler im ZEW-Forschungsbereich „Soziale Sicherung und Verteilung“.

    „Ein längerer Bezug von Arbeitslosengeld kann dazu führen, dass Arbeitslose wertvolle berufliche Fähigkeiten und Kontakte verlieren. Zudem können sie bei längerer Arbeitslosigkeit Stigmatisierung unterliegen und weniger Zugang zu Krediten erhalten“, sagt Studien-Mitautor Martin Murmann, Wissenschaftler im ZEW-Forschungsbereich „Innovationsökonomik und Unternehmensdynamik“ und an der Universität Zürich. „Andererseits ermöglicht eine längere Bezugsdauer auch eine bessere Vorbereitung. Potenzielle Gründerinnen und Gründer können in dieser Zeit Fortbildungen besuchen und eine Markteintrittsstrategie erarbeiten.“

    Die maximal mögliche Bezugsdauer des Arbeitslosgeldes I hängt sowohl von den Einzahlungen in die Arbeitslosenversicherung als auch vom Alter ab. Zwischen Anfang 2006 und Anfang 2008 wurde diese im Zuge der Hartz-Gesetzgebung zunächst stark gesenkt und anschließend wieder leicht erhöht. Die Wissenschaftler nutzen diese Reformen, um die Wirkung der Bezugsdauer auf den Erfolg von Startups, die aus der Arbeitslosigkeit heraus gegründet werden, zu untersuchen. Dazu nutzen sie einen neugeschaffenen Datensatz, der Umfragedaten von Gründern und deren Sozialversicherungsdaten kombiniert. Sie betrachten etwa 1.300 Gründerinnen und Gründer, die unmittelbar vor der Gründung arbeitslos waren, und die genügend Beitragsmonate angesammelt hatten, um Anspruch auf die volle Dauer des Arbeitslosengeldbezuges zu erhalten.

    Die Wissenschaftler unterscheiden Selbstständigkeit als Chance von Selbstständigkeit aus Notwendigkeit. Eine Chance liegt vor, wenn die Gründerinnen und Gründer in der Selbstständigkeit die Möglichkeit sehen, eigenständig zu arbeiten, eine Business-Idee zu verwirklichen oder mehr zu verdienen als bei einer Anstellung. Gründungen aus Notwendigkeit dagegen beruhen auf dem Motiv, der Arbeitslosigkeit zu entkommen: Wenn Arbeitslose keine geeignete Stelle finden, erscheint die Selbstständigkeit als der letzte Ausweg. Selbstständige aus Gelegenheit erzielen im Durchschnitt höhere Verkaufszahlen mit ihren Startups und stellen mehr Vollzeitäquivalente in den ersten Jahren nach der Gründung ein.

    Je länger Gründerinnen und Gründer Anspruch auf Arbeitslosengeld haben, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich aus Notwendigkeit heraus selbstständig machen, kurz bevor das Arbeitslosengeld I ausläuft. Mit jedem Monat an zusätzlichem Anspruch auf Arbeitslogengeld I steigt zudem die tatsächliche Arbeitslosendauer zukünftiger Gründerinnen und Gründer um einen halben Monat an. Zugleich sinkt das Wachstum der Startups im Hinblick auf Umsatz und Beschäftigung im Vergleich zu Startups von Gründerinnen und Gründern, die weniger lang Anspruch auf Arbeitslosengeld haben. Der Staat kann also unter anderem über die Länge der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld beeinflussen, welche Gründungen entstehen können.

    Sollte man die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I im Lichte der Ergebnisse kürzen? „Das ist keine richtige Schlussfolgerung. Insbesondere in Zeiten einer Krise am Arbeitsmarkt, in der Stellenangebote fehlen, ist sogar eine befristete Verlängerung sinnvoll“, entgegnet Martin Murmann. Sebastian Camarero Garcia ergänzt: „Die politische Schlussfolgerung unseres Forschungspapers ist vielmehr, dass die Arbeitsagentur möglichst frühzeitig die neuen Arbeitslosen über Ihre Fertigkeiten und beruflichen Perspektiven intensiv befragen und analysieren sollten. Durch schnelle und gezielte Weiterbildungsmaßnahmen könnten die Chancen für all diejenigen, die weiterhin abhängig beschäftigt bleiben wollen, verbessert werden. Wer hingegen eine gute Geschäftsidee hat, sollte bei der Erstellung eines Business Plans beraten und passgenaue Startup-Förderung erhalten.“

    Somit kann der Staat dazu beitragen, dass diejenigen, die eine abhängige Beschäftigung anstreben, diese auch möglichst innerhalb der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I finden. In Deutschland werden jedes Jahr bis zu einem Viertel aller neuen Unternehmen von Arbeitslosen gegründet. Diejenigen, die eine gute Geschäftsidee in der Arbeitslosigkeit entwickeln, sollten entsprechend ebenso frühzeitig Unterstützung dafür erhalten, so dass am Ende erfolgreichere neue Unternehmen entstehen. Schließlich plädieren die Autoren für eine Einbindung der Selbstständigen in die Arbeitslosenversicherung, damit sich in Zukunft mehr Menschen trauen, eine gute Geschäftsidee in eine Gründung umzusetzen.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Dr. Sebastian Camarero Garcia
    Telefon 0621/1235-383
    E-Mail sebastian.camarerogarcia@zew.de


    Originalpublikation:

    Link zur Studie:
    http://ftp.zew.de/pub/zew-docs/dp/dp20033.pdf


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Studierende, Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler, jedermann
    Gesellschaft, Wirtschaft
    überregional
    Forschungs- / Wissenstransfer
    Deutsch


     

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