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Wissenschaft
Unser Sonnensystem bewegt sich mit hoher Geschwindigkeit durchs All. Auf seiner Reise können geringe Spuren von interstellarem Material eindringen und auch auf die Erde gelangen. Ein internationales Team von Wissenschaftler*innen des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR), der TU Berlin, der Universität Wien sowie Kolleg*innen aus Australien beschreibt in der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) (DOI: 10.1073/pnas.1916769117) die Analyse von Tiefsee-Sedimentproben, die rund 1000 Kilometer vor der Südwestspitze Australiens genommen wurden. Ihr Ergebnis: Die Erde wandert seit mindestens 33.000 Jahren durch eine interstellare Wolke.
„Interstellare Wolken könnten Überreste früherer Supernova-Explosionen sein“, erklärt Prof. Anton Wallner, der die Forschungsarbeiten an der Australian National University (ANU) in Canberra geleitet hat und nun am HZDR und der TU Dresden forscht. Bei Untersuchungen von Tiefsee-Sedimenten aus dem Südostindischen Becken waren die Forscher*innen auf die Spur eines kontinuierlichen Staubeintrags aus dem interstellaren Raum gestoßen. Sedimente sind geologische Archive: Sie konservieren die Zusammensetzung ihrer Umgebung über Millionen von Jahren hinweg. Das Hauptaugenmerk der Wissenschaftler*innen um Wallner galt dem Gehalt der untersuchten Sedimentschichten an einem sehr besonderen Isotop: Eisen-60.
In den letzten Tausenden von Jahren hat sich unser Sonnensystem durch eine dichtere Gas- und Staubwolke bewegt, die als lokale interstellare Wolke bekannt ist, aber deren Ursprung unklar bleibt. „Wäre diese Wolke in den letzten Millionen Jahren aus einer Supernova entstanden, würde sie Eisen-60 enthalten – deshalb interessieren wir uns gerade für Sedimente jüngeren Entstehungsdatums, also der Zeit, die der Reise durch die interstellare Wolke entspricht“, beschreibt Wallner die Grundidee seines Teams.
Auf der Suche nach dem außerirdischen Isotop
Eisen-60 entsteht, wenn massereiche Sterne bei Supernova-Explosionen sterben. Auf der Erde kommt es in natürlicher Form praktisch nicht vor. Eisen-60 selbst ist radioaktiv und nach etwa 15 Millionen Jahren fast vollständig zerfallen und somit nicht mehr nachweisbar. Auf der Erde vorhandenes Eisen-60 muss also deutlich jüngeren Ursprungs als die etwa 4,6 Milliarden Jahre alte Erde sein. Die Forscher*innen nehmen an, dass eine relativ nahe Supernova in den letzten Millionen Jahren das Eisen-60 produziert hat, das dann seinen Weg auf den Meeresboden und in die Sedimentablagerungen fand.
Bereits bei früheren Untersuchungen konnte das Team um Anton Wallner Spuren von Eisen-60 in etwa 2,6 Millionen Jahre alten Schichten und einen weiteren Eintrag vor etwa 6 bis 7 Millionen Jahren nachweisen. Ähnliche Ergebnisse lieferte außerdem vor kurzem eine Gruppe der TU München für antarktischen Schnee. Dies deutet darauf hin, dass die Erde schon in den letzten Jahrmillionen durch Staubwolken reiste, die aus nahe gelegenen Supernovae entstanden sind. In ihrer Arbeit nahmen die Wissenschaftler*innen nun die jüngeren Sedimente unter die Lupe. Ihre Methode der Wahl: die Beschleuniger-Massenspektrometrie (Accelerator Mass Spectrometry, AMS).
Am DREsden Accelerator Mass Spectrometry (DREAMS)-Labor des HZDR bereiteten Dr. Silke Merchel und Dr. Jenny Feige zunächst die Sedimente chemisch auf. Im Anschluss daran wurde sowohl an DREAMS als auch an der AMS-Anlage VERA der Universität Wien das Alter der Proben bestimmt. Das Ergebnis: Die untersuchten Sedimente überstreichen die letzten 33.000 Jahre und tragen demnach Informationen über Veränderungen der Umwelt ab dem Jungpleistozän in sich. Die ältesten Proben haben damit ein vergleichbares Alter wie die ältesten bisher gefundenen fossilen Überreste früher menschlicher Bewohner des australischen Kontinents.
An der HIAF-Anlage (Heavy Ion Accelerator Facility) der ANU suchten die Wissenschaftler*innen mit Hilfe eines äußerst empfindlichen Beschleuniger-Massenspektrometers schließlich nach Eisen-60. Nur mit dieser Anlage können sie die milliardenfach häufigeren Atome ähnlicher Masse abtrennen und einzelne Eisen-60 Atome nachweisen.
Blick in die jüngere Vergangenheit unseres Sonnensystems
Tatsächlich enthielten alle untersuchten Sedimente Eisen-60. Die aufgezeigten Konzentrationen sind jedoch extrem niedrig: Insgesamt wies der Teilchendetektor nur neunzehn einzelne Eisen-60-Atome nach. Die Forscher*innen schätzen, dass in den vergangenen 33.000 Jahren insgesamt nur 60 Gramm Eisen-60 aus dem Sternenstaub verteilt über der gesamten Erde niedergegangen sind. Die beobachtete Verteilung des Eisen-60 im Sediment lässt sich einzelnen Epochen zuordnen und bezeugt die jüngste Reise unseres Sonnensystems durch die lokale interstellare Wolke. Die Wissenschaftler*innen konnten den Eintrag des Isotops in die Sedimente zeitlich jedoch noch weiter zurückverfolgen, in eine Zeit, als sich unser Sonnensystem außerhalb der aktuellen interstellaren Wolke befand.
Die mangelnde Korrelation mit der Dauer des Aufenthalts unseres Sonnensystems in der lokalen interstellaren Wolke wirft Fragen auf: Wenn die Wolke selbst nicht ihren Ursprung in der Eisen-60 erzeugenden Supernova-Explosion hat, woher kam sie dann? Von früheren Supernova-Explosionen? Und warum ist Eisen-60 so gleichmäßig im lokalen interstellaren Raum verteilt? „In neueren Veröffentlichungen weisen Kolleg*innen darauf hin, dass das in Staubpartikeln eingeschlossene Eisen-60 im interstellaren Medium mehrmals reflektiert worden sein könnte, also gewissermaßen ‚herumgeschubst‘ wurde“, erklärt Wallner. „Das nachgewiesene Eisen-60 könnte also noch von älteren Supernova-Explosionen stammen, und wir messen eine Art Echo dieser kosmischen Eruptionen. Unsere Ergebnisse zeigen, dass weitere Messungen von Eisen-60 erforderlich sind, um diesen neuen Fragen nachgehen zu können.“
Publikation:
A. Wallner, J. Feige, L.K. Fifield, M.B. Froehlich, R. Golser, M.A.C. Hotchkis, D. Koll, G. Leckenby, M. Martschini, S. Merchel, S. Panjkov, S. Pavetich, G. Rugel, S.G. Tims: 60Fe deposition during the late Pleistocene and the Holocene echoes past supernova activity, in PNAS, 2020 (DOI: 10.1073/pnas.1916769117)
Weitere Informationen:
Prof. Anton Wallner
Institut für Ionenstrahlphysik und Materialforschung am HZDR
Tel.: +49 351 260 3274 | E-Mail: anton.wallner@hzdr.de
Medienkontakt:
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Das Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) forscht auf den Gebieten Energie, Gesundheit und Materie. Folgende Fragestellungen stehen hierbei im Fokus:
• Wie nutzt man Energie und Ressourcen effizient, sicher und nachhaltig?
• Wie können Krebserkrankungen besser visualisiert, charakterisiert und wirksam behandelt werden?
• Wie verhalten sich Materie und Materialien unter dem Einfluss hoher Felder und in kleinsten Dimensionen?
Das HZDR entwickelt und betreibt große Infrastrukturen, die auch von externen Messgästen genutzt werden: Ionenstrahlzentrum, Hochfeld-Magnetlabor Dresden und ELBE-Zentrum für Hochleistungs-Strahlenquellen.
Es ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, hat sechs Standorte (Dresden, Freiberg, Görlitz, Grenoble, Leipzig, Schenefeld bei Hamburg) und beschäftigt knapp 1.200 Mitarbeiter – davon etwa 500 Wissenschaftler inklusive 170 Doktoranden.
Prof. Anton Wallner
Institut für Ionenstrahlphysik und Materialforschung am HZDR
Tel.: +49 351 260 3274 | E-Mail: anton.wallner@hzdr.de
A. Wallner, J. Feige, L.K. Fifield, M.B. Froehlich, R. Golser, M.A.C. Hotchkis, D. Koll, G. Leckenby, M. Martschini, S. Merchel, S. Panjkov, S. Pavetich, G. Rugel, S.G. Tims: 60Fe deposition during the late Pleistocene and the Holocene echoes past supernova activity, in PNAS, 2020 (DOI: 10.1073/pnas.1916769117)
Anhand der Ablagerungen des interstellaren Isotops Eisen-60 in Tiefsee-Sedimenten können Forscher*in ...
HZDR/Juniks/ NASA/Goddard/Adler/U.Chicago/Wesleyan
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Physik / Astronomie
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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