idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Grafik: idw-Logo

idw - Informationsdienst
Wissenschaft

Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
10.09.2020 10:29

Wenn Kristalle Blitze werfen: TU Freiberg entwickelt neues Modell zur Pyroelektrolyse

Philomena Konstantinidis Pressestelle
Technische Universität Bergakademie Freiberg

    Die Pyroelektrizität ist ein Phänomen der Physik, bei dem Wärme über bestimmte Kristalle in Strom umgewandelt oder die entstehende Spannung für chemische Reaktionen genutzt werden kann. Während die erste Anwendung heute schon in Geräten wie Bewegungsmeldern angewendet wird, ist die zweite zwar bekannt, aber bisher noch nicht ausreichend theoretisch beschrieben worden. Ein Physikerteam der TU Bergakademie Freiberg hat nun einen Weg gefunden, die Prozesse an pyroelektrischen Oberflächen in einem Modell zu beschreiben und vorherzusagen. Ihre Ergebnisse haben die Forscher nun im Journal „Physical Chemistry Chemical Physics“ veröffentlicht.

    Dr. Mateo de Vivanco nimmt einen Föhn zur Hand und leitet warme Luft auf einen unscheinbar aussehenden kleinen Kristall. Einen Augenblick später, nach circa 5 Sekunden, sind auf der Oberfläche des Kristalls mit bloßem Auge kleine Blitze zu erkennen (s. Foto). Was sich nach Magie anhört, lässt sich mit dem in der Physik hinreichend bekannten Prozess der Pyroelektrizität beschreiben: „Kristalle der Materialklasse Pyroelektrika erzeugen eine elektrische Spannung, wenn sich ihre Temperatur ändert“, klärt der wissenschaftliche Mitarbeiter am Institut für Experimentelle Physik (IEP) der TU Bergakademie Freiberg auf. Der Grund für das Phänomen liegt in den kleinsten positiv und negativ geladenen Teilchen des Kristalls, die bei einer Temperaturänderung zusammen- oder auseinanderdriften. Die Summe dieser Bewegungen entlädt sich als elektrischer Strom an der Oberfläche des Kristalls.

    Spannung für chemische Reaktionen nutzbar

    Die entstehende Spannung könnte in einem möglichen Anwendungsszenario für chemische Reaktionen genutzt werden. „Besonders interessant ist hierbei die Spaltung von Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff, der als Energieträger und in der chemischen Industrie ein gefragtes Gas ist“, so Dr. Mateo de Vivanco. Doch obwohl diese Reaktion schon vor einigen Jahren experimentell nachgewiesen werden konnte, konnten die physikalischen Hintergründe in der internationalen Forschung bisher nur unzureichend beschrieben werden. Hier setzte das Physikerteam an und studierte in einem ersten Schritt vorhandene Modelle, die diese und ähnliche Reaktionen erklären.

    "Als Chemiker in einer physikalischen Arbeitsgruppe wollte ich die Ausbeute der Wasserspaltung errechnen. Da dies mit bestehenden Modellen nicht möglich war, überlegten mein Team und ich, welche Faktoren die pyroelektrische Ausbeute einschränken", erklärt der Erstautor der Studie. “Im Vergleich zur direkten Elektrizitätsnutzung hat man bei der Wasserstofferzeugung nämlich Überspannungen unterschiedlicher Natur zu bewältigen, die die Wasserspaltung behindern können", so Dr. Mateo de Vivanco weiter. In mehrjähriger Forschungsarbeit gelang es dem Team auf diese Weise, das nun vorgelegte chemisch-physikalische Modell zu entwickeln, mit dem die Prozesse an pyroelektrischen Oberflächen in chemisch labilen Medien, wie zum Beispiel Wasser, erklärt und vorhergesagt werden können.

    Modell ermöglicht Verständnis des komplexen Prozesses

    Dank des neuen Modells, welches die Forscher in der August-Ausgabe des Journals „Physical Chemistry Chemical Physics“ vorstellen, ergeben sich neue Möglichkeiten zum Verständnis komplexer elektrochemischer Prozesse an Feststoffoberflächen. So kann damit beispielsweise erstmals die produzierte Menge an Wasserstoff erklärt und vorhergesagt werden. Wird der pyroelektrische Prozess – nicht nur mit Hilfe des neuen Modells – künftig weiterentwickelt, ergibt sich neues Verwendungspotenzial für Forschung und Industrie.

    „Insbesondere für die in der aktuellen Diskussion befindliche Entwicklung wesentlicher, auf Wasserstoff basierender Technologien stellen die aktuellen Ergebnisse des Teams einen belastbaren Vorlauf dar“, sagt Prof. Dirk C. Meyer, Institutsdirektor des IEP, in seiner Eigenschaft als Wissenschaftlicher Sprecher des Zentrums für effiziente Hochtemperatur-Stoffwandlung (ZeHS) der TU Bergakademie Freiberg. „Schon seit mehreren Jahren bildet die Beschäftigung mit kristallphysikalischen Kopplungsphänomenen, insbesondere der Pyroelektrizität, einen Schwerpunkt der Arbeiten am IEP“, so Prof. Dirk Meyer. Das Forscherteam wurde vom Fachjournal mit der Gestaltung des Titelblattes geehrt.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Dr. Mateo de Vivanco, Tel.: +49 (0)3731 39 3341, mateo.devivanco@physik.tu-freiberg.de


    Originalpublikation:

    Mateo U. de Vivanco, Matthias Zschornak, Hartmut Stöcker, Sven Jachalke, Erik Mehner, Tilmann Leisegang & Dirk C. Meyer: Pyroelectrically-driven chemical reactions described by a novel thermodynamic cycle. Physical Chemistry Chemical Physics. https://doi.org/10.1039/D0CP01288B


    Weitere Informationen:

    https://doi.org/10.1039/D0CP01288B


    Bilder

    Aufnahme eines  Lithiumtantalat-Kristalls mit Überschlägen.
    Aufnahme eines Lithiumtantalat-Kristalls mit Überschlägen.
    Sven Jachalke
    TU Bergakademie Freiberg / Sven Jachalke


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Chemie, Physik / Astronomie
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).