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07.10.2020 08:32

Impfstoffboost aus dem Labor statt der Haileber

MA Martin Walpot Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Austrian Centre of Industrial Biotechnology (ACIB)

    Das natürliche Öl Squalen wird seit Jahren zur Effektivitätssteigerung von Impfstoffen verwendet. Bisher galt die Leber von Tiefseehaien als Hauptressource des begehrten Öls. Sollte ein Coronaimpfstoff, der Squalen enthält, auf den Markt kommen, könnten dafür bis zu eine halbe Million Haie sterben. Das Austrian Centre of Industrial Biotechnology (acib) fand einen Weg, Squalen mithilfe von Hefe zu produzieren. Auf Industriegröße gebracht, könnte der Prozess eine nachhaltige Quelle des Öls erschließen und Tier- und Umwelt schonen.

    Impfstoffe trainieren das Immunsystem des Körpers für die Verteidigung gegen Krankheitserreger. Damit Impfstoffe ihre größtmögliche Wirkung entfalten, fügt ihnen die Pharmaindustrie seit vielen Jahren Hilfsstoffe, sogenannte Adjuvanzien, hinzu, welche bereits in Impfstoffen z.B. gegen Influenzaviren und die Coronavirenstämme SARS-CoV, MERS-CoV oder auch Rabies zur Anwendung kommen. Diese Hilfsstoffe haben viele Vorteile: Sie unterstützen die Wirkungen der eigentlichen Seren, indem sie für eine bessere Wirkstoffaufnahme sorgen und damit die Immunantwort des Körpers verstärken. Dadurch kommt es zu weniger Ausfällen der Impfwirkung. Durch die höhere Effektivität der Impfungen kann die Pharmaindustrie weniger Antigen in Einzelimpfdosen verwenden, wodurch mehr Impfeinheiten produziert werden können. Adjuvanzien „verbreitern“ zudem den Impfschutz, da die Impfung nicht nur gegen den verabreichten Erregerstamm, sondern auch vor ähnlichen Erregern schützt.

    Squalen verstärkt Impfstoffwirkung

    Im Zentrum der meisten dieser Hilfsstoffe steht das natürliche Lipid Squalen. Als Impfstoffträger leitet Squalen die aktiven, hydrophoben Bestandteile des Wirkstoffes in die Zellen und sorgt dort für eine gleichmäßige Abgabe, Verteilung und Aufnahme des Serums. Vor dem Hintergrund der Entwicklung eines weltweit verfügbaren Coronaimpfstoffes steigt die Nachfrage an Squalen rasant, da es maßgeblich zum Therapieerfolg einer Covid-19-Impfung beitragen könnte. Jedoch zählt das natürliche Öl als knappes Gut. Zu natürlichen Squalen-Produzenten zählen Pflanzen wie Zuckerrohr, Amaranth oder Olivenbäume aber auch unterschiedliche Mikroorganismen. Ebenso der Mensch produziert dieses Lipid über die Talgdrüsen, um einen wirkungsvollen Schutzschild gegen freie Radikale und oxidativen Umgebungsstress zu bilden. All diese Lebewesen produzieren jedoch so geringe Mengen, dass die Kosmetik-, Pharma- und Nahrungsergänzungsmittelindustrie nach wie vor auf die bisher ertragreichste Quelle an Squalen zurückgreift – die Leber von Tiefseehaien.

    500 Tausend Haie könnten Coronaimpfstoff zum Opfer fallen

    Um eine Tonne Squalen zu produzieren, müssen ungefähr 3.000 Haie geschlachtet werden. Derzeit werden laut ungefähren Schätzungen von Umweltbehörden jährlich zwischen 2.7 - 3 Millionen Haie nur wegen des wertvollen Öls getötet. In Zeiten der Corona-Pandemie könnte diese Zahl drastisch steigen. Geht man von jüngsten Schätzungen aus, dass zwei Impfdosen pro Kopf nötig sein werden, um vollständig gegen das Coronavirus geschützt zu sein, müssten mehr als eine halbe Million Haie getötet werden. Umwelt- und Tierschutzorganisationen weltweit schlagen Alarm: Tiefseehaie haben einen langen Reproduktionszyklus und folglich eine nur langsam steigende Wachstumsrate ihrer Population. Verbunden mit ihrer Dezimierung durch rücksichtslosen Fischfang, finden sich diese Arten laut Weltnaturschutzorganisation auf der Roten Liste gefährdeter Arten (IUCN Red List of Threatened Species) wieder.

    Pflanzliches Squalen im Widerspruch zu Landwirtschaft

    Organisationen wie das amerikanische NGO Shark Allies rufen dazu auf, alternative, nachhaltige Optionen nicht tierischen Ursprungs als Squalenquellen in Erwägung zu ziehen. Doch auch die Nutzung von Pflanzen als Squalen-Lieferanten ist nicht unumstritten: Wichtige Quellen zu verschwenden, die primär als Nahrungsmittel zur Verfügung stehen sollten, kann nicht im Sinne von VerbraucherInnen und Landwirtschafts- und Nahrungsmittelindustrie sein. Dem nicht genug, benötigen Pflanzen begrenzte und kostbare Fläche, optimale Temperaturen und Feuchtigkeit sowie Klima- und Bodenbedingungen für optimales Wachstum und verbrauchen Ressourcen, etwa Dünger, Pestizide und nicht zuletzt „graue“ Energie durch landwirtschaftliche Produktion und Transportwege. Je nach Ernte, geografischer Lage und Saison schwankt der Anteil und die Qualität an Squalen in Pflanzen beträchtlich, was für die Pharmaindustrie, welche gleichbleibende Qualität benötigt, keine optimalen Voraussetzungen schafft. Derzeit sind alternative Formen, wie aus Pflanzen produziertes Squalen, um mehr als 30% teurer als tierisches Squalen, da die geringe Ausbeute von nur wenigen mg pro Liter weit davon entfernt ist, den weltweiten Bedarf an Squalen zu decken.

    Mikroorganismen als ideale Squalenproduzenten

    Als Zukunftshoffnung unter den natürlichen Squalenproduzenten gelten Mikroorganismen. Obwohl sie grundsätzlich weniger Ausbeute erzielen als Haie oder Pflanzen es tun, bieten ihr erstaunlich schnelles Wachstum und ihre Anpassungsfähigkeit optimale Voraussetzungen für Forschungszweige wie die Synthetische Biologie, mit dem Ziel diese Mikroorganismen in größerem Maßstab als Squalen-Produktionplattformen einzusetzen. „Damit die natürliche Produktionsleistung von Mikroorganismen angekurbelt werden kann, setzen wir verschiedene, biotechnologische Instrumente ein, um aus mikrobiellen Zellen optimierte Squalen-Fabriken zu machen“, erklärt Harald Pichler, Forscher am Austrian Centre of Industrial Biotechnology (acib) und am Institut für Molekulare Biotechnologie der Technischen Universität Graz. Einem Forscherteam rund um Harald Pichler und die ehemalige Dissertantin Sandra Moser ist es gelungen, Squalen in größeren Mengen mithilfe von Mikroorganismen im Labor herzustellen. Pichler: „In einem soeben abgeschlossenen Projekt konnten wir als erste weltweit fermentativ natürliches Ambrein herstellen, ein Duftstoffmolekül, das auch im Verdauungstrakt von Walen vorkommt und in natürlicher und synthetischer Form hauptsächlich in der Parfumindustrie verwendet wird. Ein Zwischenprodukt auf dem Weg zu Ambrein ist Squalen, das im Rahmen der Sterolbiosynthese anfällt“, erklärt Pichler.

    Zur Herstellung verwendeten die Forscher den Hefestamm Saccharomyces cerevisiae, besser bekannt als handelsübliche Bäckerhefe. „Nachdem dieser Hefestamm natürlicherweise bereits dieses Lipid produziert, konnten wir durch Metabolic Engineering bestimmte Stoffwechselwege so modulieren, dass die Hefezellen plötzlich ein Vielfaches an Squalen anreichern“, erklärt Pichler. Nach Aufzucht in Bioreaktoren und weiteren Aufreinigungsschritten können die Forscher bereits mehrere Gramm an reinem Squalen herstellen. „Wir haben bewiesen, dass der Prozess im Labormaßstab funktioniert“, freut sich Pichler.
    Derzeit wird daran gearbeitet, die Stämme dahingehend zu optimieren, dass sie auch von der Industrie verwendet werden können. „Mit Industriebeteiligung könnte Squalen zukünftig in großem Maßstab produziert werden und daher pflanzliche und tierische Squalenquellen zur Gänze ersetzen“, so Pichler.

    Gleichbleibende Qualität, Schonung von Tier und Umwelt

    Weitere Vorteile der biotechnologischen Produktion von Squalen sind, dass einerseits billige und nahezu unerschöpfliche, nachhaltige Kohlenstoffquellen für die Produktion verwendet werden können. Das können Essensabfälle, Biomasse oder Melasse aus der Landwirtschaft oder Glycerin als Nebenprodukt der Biodieselproduktion sein. Andererseits liefern die Mikroorganismen eine gleichbleibende Qualität des Öls. Als mikrobielles Adjuvans in potenziellen Coronaimpfstoffen könnte Squalen nicht nur zur Genesung und Gesundheit von uns Menschen beitragen, sondern auch Umwelt und Tierwelt schonen.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Rückfragehinweise
    Assoc.Prof. Dipl.-Ing. Dr.techn. Harald Pichler
    acib-Key-Researcher und Professor am Institut für Molekulare Biotechnologie (TU Graz)
    Phone: +43 316 873 4089
    E-Mail: harald.pichler@acib.at


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Biologie, Chemie, Medizin, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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