idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Grafik: idw-Logo

idw - Informationsdienst
Wissenschaft

Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
03.12.2020 09:00

Ein verblüffender dreidimensionaler Blick auf dichtes interstellares Gas in der Milchstraße

Norbert Junkes Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für Radioastronomie

    Ein internationales Forscherteam unter MPIfR-Beteiligung hat mit dem APEX-Teleskop einen über 80 Quadratgrad großen Teil der Ebene der Milchstraße vermessen. Die Spektrallinien von Molekülen wie 13CO und C18O ermöglichen die Erforschung dichten Gases im interstellaren Medium. Gases des interstellaren Mediums. Die daraus resultierende Kartierung zeigt eine Vielzahl unterschiedlicher Strukturen, von kompakten Klumpen, aus denen einzelne Sterne entstehen, bis zu ausgedehnten Molekülwolken und Komplexen von Molekülwolken. Sie ermöglicht die Bestimmung der Verteilung von kaltem molekularem Gas im inneren Bereich der Milchstraße und damit die Enträtselung der gesamten Struktur unserer Galaxis.

    Die Beobachtung von Spektrallinien des Kohlenmonoxid-Moleküls ermöglicht die Messung der Verteilung von kaltem und dichtem molekularem Gas im interstellaren Medium, in dem neue Sterne gebildet werden. Darüber hinaus kann die Radialgeschwindigkeit über den Dopplereffekt bestimmt werden. Dadurch kann das molekulare Gas in Verbindung zur Rotation der Spiralarme in unserer Milchstraße gebracht werden; das ermöglicht einen dreidimensionalen Blick auf ihre Verteilung. Insgesamt zeigt sich eine Vielzahl von Strukturen wie Filamente und Aushöhlungen, die von unterschiedlichen physikalischen Effekten bei der Gestaltung des interstellaren Mediums herrühren.
    Ein internationales Forscherteam von insgesamt 50 Astronomen hat mit dem APEX-Teleskop in den chilenischen Anden ein langjähriges Beobachtungsprojekt durchgeführt, das einen Bereich von 84 Quadratgrad am Himmel umfasst. Beobachtet wurde der südliche Bereich der inneren Milchstraße in einem Intervall von -60 bis + 18 Grad in galaktischer Länge mit einer Winkelauflösung von 30 Bogensekunden; das entspricht gerade mal dem 60. Teil des scheinbaren Durchmessers unseres Mondes am Himmel. Mit einer Geschwindigkeitsauflösung von 0,25 km/s liefert die Analyse Informationen über die Morphologie, Entfernung und Geschwindigkeit für alle galaktischen Molekülwolken in einem Gesamtgebiet von ca. zwei Drittel der inneren Scheibe unserer Milchstraße.

    Die Kartierung trägt die Bezeichnung SEDIGISM (“Structure, Excitation and Dynamics of the Inner Galactic Interstellar Medium”) und beinhaltet Beobachtungsdaten aus den Jahren 2013 bis 2017, die nun begleitet von drei wissenschaftlichen Veröffentlichungen den Astronomen weltweit zur Verfügung gestellt werden.

    „Mit der Veröffentlichung dieser bisher detailliertesten Karte von kalten Molekülwolken in unserer Milchstraße trägt ein langjährige Beobachtungsprojekt nun Früchte“, sagt Frederic Schuller vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie (MPIfR), der Projektleiter der SEDIGISM-Kartierung. „Das Team hat phantastische Arbeit geleistet und einen Meilenstein für die Erforschung des molekularen Gases in der Milchstraße geliefert, der als Ergebnis von APEX noch lange nachwirken wird.“

    „Auf der Grundlage dieser Daten haben wir einen Katalog von über 10.000 Gaswolken in der Milchstraße zusammengestellt, der eine deutlich strukturierte Verteilung aufzeigt. Die abgeleiteten physikalischen Eigenschaften erscheinen allerdings ziemlich gleichförmig, mit nur schwachen Hinweisen auf die Abhängigkeit einiger der Wolkeneigenschaften von ihrer Umgebung“, erklärt Ana Duarte-Cabral von der Cardiff University, die Erstautorin der zweiten Veröffentlichung. James Urquhart von der University of Kent, der Erstautor der dritten Veröffentlichung, ergänzt dazu: “In Verbindung mit ATLASGAL, einer früheren Untersuchung von kaltem Staub in unserer Milchstraße, können wir nun den Anteil der Wolken mit hoher Gasdichte abschätzen: nur 10% davon sind Orte laufender Sternentstehung.“

    Die Beobachtungen mit APEX richteten sich auf die seltenen Isotope 13CO and C18O des Kohlenmonoxid-Moleküls, die wesentlich genauere Abschätzungen der Masse der untersuchten Wolken ermöglichen, aber ein hochempfindliches Teleskop erfordern.

    Das 12m-APEX-Teleskop (Abb. 2) mit seiner hochgenauen Oberfläche und einem der weltweit besten Standorte für Submillimeter-Astronomie war ein Schlüssel zum Erfolg des Projekts. In 5100 m Höhe über dem Meeresspiegel gelegen, auf der trockenen Chanjnantor-Ebene in der chilenischen Atacamawüste, ergibt sich ein extrem geringer Wasserdampfgehalt und damit exzellente Transparenz der Atmosphäre, die für diese Beobachtungen erforderlich ist.

    Molekülwolken enthalten das Rohmaterial, aus dem neue Sterne entstehen. Die Kartierung dieser Wolken ist daher erforderlich, um wichtige Parameter wie z.B. die Effizienz der Sternentstehung in unserer Milchstraße zu bestimmen. Die Morphologie und die physikalischen Bedingungen innerhalb der Wolken geben die Rahmenbedingungen, die für Theorien der Sternentstehung berücksichtigt werden müssen. Es ist daher unabdingbar, die einzelnen Wolken räumlich aufzulösen und voneinander zu unterscheiden. Das wird durch die hohe Winkelauflösung der APEX-Kartierung ermöglicht.

    Die neuen Daten sind nicht nur für sich gesehen interessant, sondern ergänzen auch eine Reihe hervorragender Kartierungen der galaktischen Ebene, die im vergangenen Jahrzehnt in mittel- bis ferninfraroten Wellenlängenbereich erstellt wurden. Das geschah mit Weltraumteleskopen wie Spitzer und Herschel und bei größeren Wellenlängen auch mit APEX selbst. In allen diesen Projekten fehlte jedoch die Geschwindigkeitsinformation. Diese
    Beobachtungsdaten können nun in Verbindung mit den neuen Kohlenmonoxid-Liniendaten erneut analysiert werden und so eine wesentlich stärkere Rolle spielen bei der detaillierten Untersuchung von Sternentstehung und Sternhaufen in der Milchstraße, und letztendlich von Struktur und Dynamik unserer Galaxis selbst.

    “Unsere Kartierung bedeutet einen entscheidenden Schritt vorwärts, um die Struktur der Galaxie zu verstehen, in der wir leben“, schließt Dario Colombo vom MPIfR, Ko-Autor von allen drei Veröffentlichungen, der zur Zeit mit Hilfe dieser Daten an einer Analyse zum Einfluss von Spiralarmen auf die Eigenschaften von Molekülwolken arbeitet.

    ---------------------------------------------------

    Hintergrundinformation:

    SEDIGISM („Structure, Excitation and Dynamics of the Inner Galactic Interstellar Medium“) ist eine Kartierung eines südlichen Teils der galaktischen Ebene und umfasst eine Bereich von 84 quadratgrad am Himmel, der sich von -60 Grad bis +18 Grad in galaktischer Länge erstreckt und eine Winkelauflösung von 30 Bogensekunden aufweist. Dabei wurden zwei Spektrallinien des Kohlenmonoxid-Moleküls mit dem APEX-Teleskop beobachtet, und zwar in den weniger häufig vorkommenden Isotopologen 13CO and C18O.

    ATLASGAL, der “APEX Telescope Large Area Survey of the Galaxy”, ist entstanden im Rahmen einer Zusammenarbeit zwischen dem Max-Planck-Institut für Radioastronomie (MPIfR), dem Max-Planck-Institut für Astronomie (MPIA), sowie weiteren Wissenschaftlern der Europäischen Südsternwarte (ESO) und der University of Chile.

    APEX, das “Atacama Pathfinder Experiment”, ist ein Gemeinschaftsprojekt des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie (MPIfR), der Europäischen Südsternwarte (ESO) und des schwedischen „Onsala Space Observatory“ (OSO) zum Aufbau und (seit 2005) Betrieb eines Submillimeter-Radioteleskops auf der Chajnantor-Ebene in der chilenischen Atacamawüste in eine Höhe von 5100 m über dem Meeresspiegel. Das Teleskop wurde von der VERTEX-Antennentechnik in Duisburg gebaut. Der Betrieb von APEX vor Ort erfolgt durch die ESO.

    Das Forscherteam umfasst eine größere Zahl von Autoren für die drei Veröffentlichungen, darunter Dario Colombo, Timea Csengeri, Min-Young Lee, Silvia Leurini, Michael Mattern, Parichay Mazumdar, Sac Medina, Karl Menten, Alberto Sanna, Frederic Schuller, Marion Wienen, Friedrich Wyrowski, alle zur Zeit oder bis vor kurzem Mitarbeiter am MPIfR.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Dr. Friedrich Wyrowski
    Max-Planck-Institut für Radioastronomie, Bonn.
    Fon: +49 228 525-381
    E-mail: wyrowski@mpifr-bonn.mpg.de

    Dr. Dario Colombo
    Max-Planck-Institut für Radioastronomie, Bonn.
    Fon: +49 228 525-196
    E-mail: dcolombo@mpifr-bonn.mpg.de


    Originalpublikation:

    “The SEDIGISM survey: first data release and overview of the Galactic structure”, F. Schuller et al., Monthly Notices of the Royal Astronomical Society 2020. DOI: 10.1093/mnras/staa2369
    https://doi.org/10.1093/mnras/staa2369

    “The SEDIGISM survey: Molecular clouds in the inner Galaxy”, A. Duarte-Cabral et al., Monthly Notices of the Royal Astronomical Society 2020. DOI: 10.1093/mnras/staa2480
    https://doi.org/10.1093/mnras/staa2480

    “SEDIGISM-ATLASGAL: Dense Gas Fraction and Star Formation Efficiency Across the Galactic Disk”, J.S. Urquhart et al., Monthly Notices of the Royal Astronomical Society 2020. DOI: 10.1093/mnras/staa2512
    https://doi.org/10.1093/mnras/staa2512


    Weitere Informationen:

    https://www.mpifr-bonn.mpg.de/pressemeldungen/2020/12


    Bilder

    Interstellare Wolken in einem kleinen Bereich der SEDIGISM-Kartierung, in unterschiedlichen Farben dargestellt. Inset: Schematische Darstellung des Verlaufs der Spiralarme in unserer Milchstraße.
    Interstellare Wolken in einem kleinen Bereich der SEDIGISM-Kartierung, in unterschiedlichen Farben d ...

    Ana Duarte-Cabral, Alex Pettitt und James Urquhart

    Das 12-m-Teleskop APEX (Atacama Pathfinder Experiment) befindet sich in 5100 m Höhe auf dem Chajnantor-Plateau in der chilenischen Atacamawüste.
    Das 12-m-Teleskop APEX (Atacama Pathfinder Experiment) befindet sich in 5100 m Höhe auf dem Chajnant ...

    Carlos A. Durán/ESO


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wissenschaftler, jedermann
    Physik / Astronomie
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).