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Tübinger Forschende entwickeln Kraftmikroskope für den Nanobereich ‒ Das Motorprotein Kinesin macht Tippelschritte und rutscht
Motorproteine erzeugen die Kräfte für mechanische Prozesse in unseren Zellen. Auf einer Größenskala von Nanometern, also einem millionstel Millimeter, treiben sie unsere Muskeln an oder transportieren unter anderem Stoffe innerhalb einer Zelle. Solche Bewegungen, mit bloßem Auge nicht zu sehen, kann Erik Schäffer sichtbar machen: Der Professor für zelluläre Nanowissenschaften an der Universität Tübingen verfolgt mit eigens entwickelten Spezialmikroskopen, „optischen Pinzetten“, die Arbeit der molekularen Maschinen. Diese Technologie hat sein Team am Zentrum für Molekularbiologie der Pflanzen nun weiter verfeinert. Mit höher auflösenden, speziellen Sonden, den Germanium-Nanokugeln, lassen sich sowohl Bewegungen als auch die Kräfte eines Motorproteins messen. Die Ergebnisse wurden im Fachmagazin Science veröffentlicht.
Die untersuchten Motorproteine sind mit einer Größe von lediglich 60 Nanometern echte Winzlinge, aber für Zellprozesse unverzichtbar. Unter anderem helfen sie bei der Zellteilung, Chromosomen mechanisch auseinanderzuziehen, oder sie transportieren „Pakete“ innerhalb der Zelle. Funktionieren diese Motorproteine nicht, kann dies beispielsweise in Nervenzellen zu neurologischen Krankheiten wie Alzheimer beitragen.
Um den Mechanismen dieser molekularen Maschinen auf die Spur zu kommen, entwickelte Biophysiker Erik Schäffer ultragenaue optische Pinzetten. Sie beruhen auf Prinzipien, die bereits der Astronom Johannes Kepler 1609 entdeckte und für die der Physiker Arthur Ashkin 2018 den Nobelpreis erhielt. Dabei wird der Strahlungsdruck von Licht ausgenutzt, um mit Laserstrahlen berührungslos kleine Kugeln festzuhalten und kleinste Kräfte zu messen. Mit diesem Werkzeug konnte Schäffer in den vergangenen Jahren bereits nachweisen, dass sich beispielsweise das Motorprotein Kinesin tanzenderweise fortbewegt: Mit zwei „Füßen“ macht es acht Nanometer große Schritte und dabei jeweils eine Halbdrehung – ähnlich wie bei einem Wiener Walzer.
Seine Doktorandin Swathi Sudhakar hat die Technologie der optischen Pinzetten nun weiterentwickelt. Mit sogenannten Germanium-Nanokugeln, viel kleinere und höher auflösende Sonden, kommt man gerade noch gegen die fünf Pikonewton starken Kräfte der biologischen Motoren an ‒ dies entspricht fünf Billionstel der Gewichtskraft einer Tafel Schokolade. Somit lassen sich auch kleinste und schnelle Bewegungen messen. Bisher konnten diese wegen der für kleine Teilchen typischen, ruckartigen Wärmebewegung nicht exakt beobachtet werden.
So ließ sich Kinesin in Echtzeit beobachten und Sudhakar konnte einen weiteren „Zwischenschritt“ in seiner Fortbewegung nachweisen, die den Walzer fast perfekt machen. „Ob es diesen Zwischenschritt gibt, wurde unter Wissenschaftlern seit 20 Jahren diskutiert“, sagt Schäffer. „Wir konnten dies erstmals direkt mit optischen Pinzetten messen.“ Zudem zeigte sich durch die Nanokugeln ein bislang unbekannter „Rutschmechanismus“ des Motorproteins: „Das ist eine Art Sicherungsleine, die den Motor in der Schiene hält, sollte die Last zu hoch sein“, sagt Schäffer. Dieser Mechanismus erkläre die hohe Effizienz des Stofftransports in Zellen. „Weiß man, wie Kinesin-Motoren im Detail funktionieren, versteht man auch die lebenswichtigen Zellprozesse, die sie antreiben, und Fehlfunktionen, die zu Krankheiten führen können, besser.“
Der Wissenschaftler vergleicht die neue Technologie mit einem vertieften Blick, sozusagen „unter die Haube“ der molekularen Maschinen. So könne man nicht nur einzelne Bewegungen von Motorproteinen exakt beobachten, sondern auch besser verstehen, wie beispielsweise Eiweiße ihre Struktur erhalten. „Die Nanokugeln haben als Halbleiter weitere spannende optische und elektrische Eigenschaften und könnten auch in anderen Bereichen der Nano- und Materialwissenschaften eingesetzt werden, beispielsweise für bessere Lithium-Ionen-Akkus.“
Video – Visualisierung eines Motorproteins: https://www.youtube.com/watch?v=plvQCOE9s_k
Prof. Dr. Erik Schäffer
Universität Tübingen
Zentrum für Molekularbiologie der Pflanzen (ZMBP)
Telefon +49 7071-29-78831
erik.schaeffer[at]uni-tuebingen.de
Swathi Sudhakar, Mohammad Kazem Abdosamadi, Tobias Jörg Jachowski, Michael Bugiel, Anita Jannasch, Erik Schäffer: „Germanium nanospheres for ultraresolution picotensiometry of kinesin motors.“ Science, DOI: 10.1126/science.abd9944; https://science.sciencemag.org/content/371/6530/eabd9944
Merkmale dieser Pressemitteilung:
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Biologie
überregional
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Deutsch
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