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Wissenschaft
Mittelweg 36, Doppelausgabe 4-5 | Oktober/November 2020
Utøya, Christchurch, El Paso – das sind nur einige der Orte, die in den letzten Jahren als Schauplätze terroristischer Anschläge weltweit zu trauriger Berühmtheit gelangt sind. In Deutschland waren es die Gewalttaten von München, Köln, Halle und Hanau, die das Land schockiert und sich ins kollektive Gedächtnis eingeprägt haben. In der öffentlichen Berichterstattung wie auch in der wissenschaftlichen jForschung hat sich für diese und zahlreiche ähnliche Fälle, in denen die Gewalt von einer einzelnen Person verübt wurde, der Begriff des „Einzeltäters“ etabliert. Inzwischen aber mehren sich die Zweifel an der Angemessenheit der Bezeichnung, denn selten lebten die Täter vor der Tat zurückgezogen oder isoliert. Meistens waren sie eingebettet in soziale Kontexte wie reale oder virtuelle Netzwerke und Kommunikationsgemeinschaften, in denen sie sich mit anderen austauschten und nach Aufmerksamkeit und Anerkennung strebten. Grund genug also, Einzeltäterschaft als soziales Phänomen zu begreifen und zusammen mit den Gewalttätern auch die vielfältigen Beziehungen und die Bedingungen in den Blick zu nehmen, aus denen sie hervorgehen. Daher handelt die neue Ausgabe des "Mittelweg 36" "Von einsamen Wölfen und ihren Rudeln".
Sie sind nicht allein – ausgehend von diesem Befund führen Stefan Malthaner und Thomas Hoebel in das Thema ein und geben einen gewaltsoziologisch informierten Überblick über Stand und Perspektiven der Einzeltäterforschung. Anschließend schaut Fabian Lemmes zurück in die Geschichte und erörtert, inwieweit auch die von den militanten Anarchisten des 19. Jahrhunderts verfolgte Strategie einer Propaganda der Tat nicht das Werk einzelner Attentäter, sondern einer
ganzen Bewegung war. Der Angriff auf die Synagoge in Halle (Saale) am 9. Oktober 2019 ist der Gegenstand des Beitrags von Chris Schattka. In seinem minutiös recherchierten Protokoll eines Anschlags rekonstruiert er den Tathergang und zeigt, wie die mediale Selbstinszenierung des Täters die Dynamik des Gewaltgeschehens beeinflusste. Wie rechtsextreme Gruppen die sozialen Medien für ihre Zwecke nutzen und ein von Hass und Verachtung geprägtes Klima erzeugen, das Radikalisierungsprozesse und Gewalthandeln begünstigt, thematisiert Mattias Wahlström in Chatten, hetzen, töten. Nach ihm begibt sich Kathleen M. Blee Unter Wölfinnen und beleuchtet die von der Forschung lange Zeit eher randständig behandelte Rolle von Frauen in gewaltbereiten rechtsextremistischen Gruppierungen. Dem Milieu der sogenannten School Shooter und ihrer ganz eigenen virtuellen Subkultur widmet sich Leena Malkki, die der Frage nachgeht: Amok, privat oder politisch? Anhand ausgewählter Fälle äußert sie Zweifel an der vorherrschenden Einstufung der zumeist von Einzelpersonen verübten Schulmassaker als apolitischer Taten und plädiert für ein erweitertes Verständnis politischer Gewalt. Um Einzeltäterschaft, relational betrachtet, geht es in dem Beitrag von Stefan Malthaner, der für einen Perspektivwechsel in der sozialwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Phänomen wirbt. Statt nach den psychischen Dispositionen der Täter zu fragen, so Malthaner, sollten wir ihre sozialen Kontexte in den Blick nehmen und Einzeltäterschaft als eine spezifische Konstellation von Beziehungen zu radikalen Milieus und Bewegungen deuten. Zum Schluss lotet Thomas Hoebel die unausgeschöpften Potenziale für eine stärkere Soziologisierung der Einzeltäterforschung aus und entwirft unter Rekurs auf unterschiedliche theoretische Konzepte Eine
forschungsprogrammatische Skizze, die danach fragt, was Alleinhandeln eigentlich heißt.
https://www.hamburger-edition.de/zeitschrift-mittelweg-36/alle-zeitschriften-arc...
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Studierende, Wissenschaftler
Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Kulturwissenschaften, Politik
überregional
Forschungs- / Wissenstransfer
Deutsch
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