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Wissenschaft
In „European Heart Journal – Case Reports“ beschreiben Ärzte des Deutschen Herzzentrums Berlin (DHZB), wie sie einem schwer herzkranken Jugendlichen mit einer herzmedizinischen Weltpremiere entscheidend helfen konnten – und dabei auf eine spannende wissenschaftliche Spur gestoßen sind.
Niklas P. aus dem niedersächsischen Isenbüttel kommt im September 2005 mit mehreren Herzfehlern zur Welt. Unter anderem ist die Aortenklappe, also das Ventil zwischen linker Herzkammer und Hauptschlagader, fehlgebildet und hochgradig verengt.
Die Ärzt*innen können die verengte Aortenklappe mit einem Ballonkatheter vorsichtig dehnen und damit sein Leben retten. Niklas wächst zunächst weitgehend normal auf, spielt Fußball im Verein und gehört im Sportunterricht zu den Besten.
Doch im Alter von etwa elf Jahren zeigt sich: Niklas‘ Aortenklappe hat sich wieder etwas verengt. Zudem ist Klappe undicht: Bei jedem Herzschlag „schießt“ ein Teil des sauerstoffreichen Blutes zurück in die Herzkammer, was einen Rückstau des Blutes in die Lungenvenen und damit einen bedrohlichen Lungenhochdruck bewirkt.
Und schließlich wird auch eine „linksventrikuläre non-compaction Kardiomyopathie (LVNC)“ diagnostiziert: Diese seltene, schwammartige Veränderung des Herzmuskels in der linken Herzkammer verringert die Pump-Leistung des Herzens erheblich.
Niklas‘ Zustand verschlechtert sich stetig. Eine herzchirurgische Korrektur der erkrankten Aortenklappe kommt für die Ärzt*innen der behandelnden Fachklinik nicht in Frage, das OP-Risiko ist wegen des geschädigten Herzmuskels zu hoch.
Die einzige Chance für Niklas scheint die Herztransplantation zu sein. Vorher soll der Patient an ein Kunstherz angeschlossen werden, um den Lungenhochdruck langsam zu senken. Gelingt auch dies nicht, bleibt nur eine kombinierte Transplantation von Herz und Lunge.
Niklas‘ Mutter Nadine sucht eine Zweitmeinung und stellt ihren Sohn im August 2018 zum ersten Mal im Deutschen Herzzentrum Berlin (DHZB) vor.
Neue Hoffnung
Auch dort sehen die Ärzt*innen in Niklas‘ undichter Aortenklappe das drängendste Problem. Ihre Annahme: Wenn sie den Herz-Lungen-Kreislauf durch die Beseitigung dieser Engstelle entlasten könnten, könnte die Behandlung der Herzmuskelschwäche – notfalls durch Transplantation – noch aufgeschoben werden.
Zwar erscheint auch den Berliner Spezialist*innen eine OP am offenen Herzen als zu riskant. Doch sie sehen eine weitere Möglichkeit für Niklas: Eine TAVI.
Dieses Kürzel steht für englisch "Transcatheter Aortic Valve Implantation", also den Ersatz einer erkrankten Aortenklappe, ohne dass dabei eine Operation am offenen Herzen nötig wird.
Die Segel der Ersatzklappe aus Tiergewebe sind dabei an einem Metallgerüst befestigt, das zusammengefaltet durch einen Katheter bis zum Herzen vorgeschoben wird. Unter Röntgenkontrolle wird die Ersatzklappe genau an Stelle der erkrankten Klappe aus dem Katheter freigesetzt und aufgespannt. Der Brustkorb muss nicht eröffnet und das Herz nicht stillgelegt werden. In den meisten Fällen ist auch keine Narkose nötig. In der Regel dauert der Eingriff weniger als eine Stunde.
Insbesondere wegen fehlender wissenschaftlich gesicherter Langzeit-Erkenntnisse werden TAVI-Prozeduren aber nur empfohlen, wenn ein erhöhtes Risiko für die etablierte OP zum Aortenklappenersatz besteht und sich die Patient*innen im höheren Alter (in der Regel 75 Jahre oder älter) befinden.
Ohnehin ist die Verengung und Verkalkung der Aortenklappe eine Alterserkrankung. Bei jungen Menschen wird ein Ersatz meist – wie in Niklas‘ Fall – nur bei angeborenen Herzfehlern notwendig. Aber auch dann ist das TAVI-Verfahren nicht zugelassen und eigentlich auch nicht sinnvoll: Denn um die TAVI-Klappe sicher verankern zu können, sollte die erkrankte Klappe altersbedingte Verkalkungen aufweisen.
Noch nie wurde nach Wissen der Berliner Ärzt*innen eine TAVI bei einer Patientin oder einem Patienten mit Niklas‘ komplexen Krankheitsbild vorgenommen. Dennoch sehen die Ärzt*innen in diesem speziellen Fall Erfolgsaussichten und entscheiden sich gemeinsam mit Niklas und seiner Familie für den Versuch.
Am 29.11.2018 gegen 8 Uhr morgens beginnt das Team unter Leitung von Oberarzt PD Dr. med. Axel Unbehaun mit dem Eingriff. Er gelingt problemlos. Die neue Klappe sitzt exakt, fest und schließt vollständig. Sowohl der „Rückstoß“ des Blutes in die linke Herzkammer als auch die Engstelle als Ursache für den Lungenhochdruck sind damit beseitigt.
Bereits vier Tage später kann Niklas aus dem DHZB entlassen werden. Er erholt sich schnell und umfassend, nimmt bereits im Sommer 2019 wieder am Schulsport teil.
Neue Theorie
Eine Listung zur Herz- oder gar zur Herz-Lungen-Transplantation ist nicht mehr angezeigt. Denn auch die Schwäche des Herzmuskels im Bereich der linken Herzkammer hat sich deutlich gebessert – obwohl die TAVI daran unmittelbar nichts geändert hat.
Wie die Berliner Ärzte jetzt in „European Heart Journal – Case Reports“ schreiben, legt das die Vermutung nahe, dass der ständige Rückstrahl des Blutes aus der undichten Aortenklappe gegen die Wand der Herzkammer die eigentliche Ursache für die schwammartige Umbildung des Herzmuskels sein könnte.
„Das hieße im günstigsten Fall, dass sich der Herzmuskel dauerhaft erholen oder zumindest lebenslang so gut funktionieren könnte, dass Niklas nie für eine Transplantation gelistet werden muss“, erläutert Herzchirurg Dr. Axel Unbehaun. „Bislang ist das nur eine Theorie, der wir als Wissenschaftler aber weiter nachgehen werden. Als Ärzte beobachten wir Niklas‘ weitere Entwicklung sorgfältig – und freuen uns mit ihm und seiner Familie sehr darüber, dass es ihm so gut geht.“
https://academic.oup.com/ehjcr/article/5/2/ytab034/6138225?login=true
https://www.dhzb.de/presse/news/detailansicht-meldungen/ansicht/pressedetail/tav...
Niklas und seine Mutter Nadine
C.Maier
DHZB
PD Dr. med. Axel Unbehaun
C.Maier
DHZB
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Studierende, Wissenschaftler
Medizin
überregional
Buntes aus der Wissenschaft, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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