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Blumen im Haar, Bluejeans, Drogenkonsum, und vor allem – sanfte Sonnenuntergänge über kalifornischen Stränden: Allgemeine Vorstellungen von der Hippie-Kultur sind ebenso stereotyp wie unvollständig. Besonders die Betrachtung der Hippies als rein westliche Subkultur greift zu kurz. Dr. Juliane Fürst, Historikerin am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF), setzt sich in ihrem neuen Buch erstmals mit der Hippie-Kultur hinter dem Eisernen Vorhang auseinander und fügt der Forschung zu sowjetischen Subkulturen neue und überraschende Elemente hinzu.
Wann ist ein Hippie ein Hippie? Was macht einen sowjetischen Hippie aus und unterscheidet er sich maßgeblich von seinem "westlichen" Konterpart? Diesen und ähnlichen Fragen geht Dr. Juliane Fürst, Leiterin der Abteilung I "Kommunismus und Gesellschaft" am ZZF Potsdam, in ihrer neuen Monografie "Flowers Through Concrete" nach, die nun im Verlag Oxford University Press erschienen ist. Aus über 100 Interviews und aus zahlreichen neu recherchierten Quellen, darunter Briefe, Tagebücher, Fotos, Videos, Kleidung oder Nähanleitungen, aber auch anhand von KGB-Dokumenten zeichnet sie ein Bild der sowjetischen Hippie-Bewegungen von den Anfängen in den späten 1960er-Jahren bis heute.
Das Jahr 1967 bildete in der Sowjetunion den Startschuss für eine eigene Interpretation der Hippie-Kultur. Zunächst ausgehend von Bevölkerungsteilen mit Anbindung an westliche Kultur und Kommunikation – Bewohnerinnen und Bewohner der Baltischen Staaten oder der Ukraine, aber auch Kinder einflussreicher Moskauer Familien – erregten Hippies zunehmend auch in der breiteren Sowjetgesellschaft Aufsehen. Man empfand das neue Phänomen als ambivalent: (Westliche) "Hippies waren antikapitalistisch und gegen den Vietnamkrieg, was ermutigend war, aber sie waren immer noch fehlgeleitet. Nach der sowjetischen Doktrin sollte nur der Marxismus das System, gegen das sie rebellierten, für immer verändern", so Fürst.
Die sowjetische Jugend, die die skeptischen bis ablehnenden öffentlichen Beschreibungen als regelrechte Anleitung für den Umgang mit "cooler" Musik und Kleidung benutzten, sowie die sich später ausformenden sowjetischen Hippie-Gemeinschaften bewegten sich daher in einem schwierigen Feld aus Beobachtung und Repression: Zwar galten Hippies den offiziellen Stellen und Sicherheitsorganen als weniger problematische Ziele als Dissidenten oder Nationalisten, aber besonders ihre ausgeprägte Reisetätigkeit wie auch die damit verbundenen Zugänge zu aktuellen lokalen – unveröffentlichten! – Informationen machte sie zu einer unangepassten und teils verfolgten Gruppe. Verfolgungen durch die Polizei, Übergriffe wie das erzwungene Schneiden der Haare durch zivile Beamte oder Zwangseinweisungen in psychiatrische Anstalten durch Ärzte, die Nonkonformismus als Ausdruck von Schizophrenie missdeuteten, waren problematischer Bestandteil ihres Verhältnisses zur Staatsmacht.
Wie Dr. Fürst herausarbeitet, war es diese besondere Beziehung, die sich zu einem Spezifikum der sowjetischen Hippie-Bewegung entwickelte. Hippies zogen einerseits nicht nur alltagspraktisch aus der Nutzung sowjetischer sozialer Infrastruktur – wie geringen Lebenshaltungskosten oder gesicherten Beschäftigungsverhältnissen – reelle Vorteile, sondern erreichten auch ideologische Übereinstimmungen mit Werten der Staatsdoktrin, wie Kollektivismus, Gleichheit oder Antimaterialismus bis zu einem Punkt, an dem das (eigene) Hippie-Leben sogar als eine Art "wahrere und ehrlichere Version" des Sowjetlebens erhöht wurde.
Andererseits führte die erlebte Konfrontation zwischen offizieller Propaganda, Alltagsleben und eigenen Vorstellungen zu einem radikalen Rückzug ins Individuelle: Besonders "das Eindringen [des Staates] in das Privatleben, das für alle Bereiche des sowjetischen Lebens galt" und, als übergriffig empfunden, Ideale wie Freiheit und persönlichen Freiraum konterkarierte, wurde vollständig und ohne Rücksicht auf eigene Nachteile abgelehnt. Und dies durchaus weitreichend, wie die Autorin aufzeigt: "Tatsächlich waren sie mit Ideologie und Politik fertig." Hier zeigt sich ein fundamentaler Unterschied zu den politischen Überzeugungen ihrer westlichen Gleichgesinnten.
Auch die Bildung paralleler geschlossener Subkulturen nach westlichem Vorbild blieb den sowjetischen Hippies verwehrt: spezifische Nischen unter der Bezeichnung sistema, das System, beinhalteten zwar eigene Kommunikationskanäle und feste Räume wie Cafés und Privatwohnungen, neue soziale Ideen wie kommunale Lebensentwürfe waren im sowjetischen Kontext allerdings unmöglich – was, wie Fürst ausführt, auch die Geschlechtergleichheit beeinflusste.
Die Monographie “Flowers Through Concrete” beschließt das Forschungsprojekt “Hippies in the Soviet Union“, das vom britischen Arts und Humanities Research Council (AHRC) als Teil verschiedener Großprojekte gefördert wurde.
Dr. Juliane Fürst
Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam
Tel.: 0331/74510-117
E-Mail: fuerst@zzf-potsdam.de
https://zzf-potsdam.de/de/mitarbeiter/juliane-furst
Flowers through Concrete: Explorations in the Soviet Hippieland and Beyond, Oxford University Press 2021.
Jahr: 2021
Verlag: Oxford University Press
Seiten: 496
ISBN: 978-0198788324
https://zzf-potsdam.de/de/publikationen/flowers-through-concrete
Buchcover
Oxford University Press
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Studierende, Wissenschaftler
Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Kulturwissenschaften, Politik
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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