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Wissenschaft
Die Leoniden, ein alljährlich im November auf der Erde sichtbarer Meteoritenschwarm, sollen nach Vorausberechnungen in diesem Jahr besonders intensiv auftreten. Der Hauptstrom wird am 17. November um ca. 20.43 Uhr (MEZ) etwa eine Stunde lang in die Erdatmosphäre eindringen und dort als "Sternschnuppen" verglühen. Amateurastronomen und andere Beobachter aus aller Welt freuen sich seit langem auf das erwartete Himmelsspektakel. Die besten Beobachtungsmöglichkeiten erwartet man für Japan und Asien, wo der "Meteoritenschauer" am nächtlichen Himmel zu einem regelrechten "Meteoritensturm" mit mehreren Leuchterscheinungen pro Sekunde anwachsen könnte.
Die Meteoriten des Leonidenschwarms sind kleine und allerkleinste Bruchstücke, die der Komet 55P/Tempel-Tuttle auf seiner Bahn um die Sonne hinter sich gelassen hat. Tempel-Tuttle - benannt nach Ernst Wilhelm Leberecht Tempel (1821 - 1889) und Horace Parnell Tuttle, die 1865 und 1866 unabhängig voneinander den Kometen entdeckten - hat eine stark elliptische Umlaufbahn, deren sonnennächster Punkt bei 146,9 Millionen km (d.h. gerade eben innerhalb der Erdbahn) und deren sonnenfernster Punkt bei 2932 Millionen km (jenseits der Uranusbahn) liegt. Alle 32,9 Jahre (zuletzt Ende Februar 1998) kehrt der Komet in Sonnennähe zurück und hinterläßt dort unter dem Einfluß von Wärme und Sonnenwind besonders viele Staubteilchen. Wenn die Erde auf ihrem Weg um die Sonne die Bahnebene des Kometen kreuzt, prasseln diese Staubteilchen in die Erdatmosphäre. Da sie aus der Richtung des Sternbildes Löwe zu kommen scheinen, haben sie den Namen Leoniden erhalten.
Sowohl der Komet als auch der mit ihm verbundene Meteoritenschauer sind, wie Astronomiehistoriker anhand der Bahndaten ermittelten, schon seit vielen Jahrhunderten - wenn auch nicht unter den heute gebräuchlichen Namen - bekannt. Chinesische Aufzeichnungen erwähnen den Kometen bereits im Jahr 1035. Der Meteoritenschauer wurde erstmals im Jahr 902 gesehen und beschrieben. Alexander von Humboldt sah den Schauer 1799 in Venezuela. Sehr eindrucksvoll zeigte er sich 1833. Nach dem nächsten starken Schauer, 1866/67, erkannte Giovanni Virginio Schiaparelli (der ein Jahrzehnt später die vermeintlichen Marskanäle beschrieb) den Zusammenhang zwischen Tempel-Tuttle und den Leoniden.
Da die Bahnrichtung des Meteoritenschauers in Erdnähe der Bewegungsrichtung der Erde um die Sonne entgegengesetzt ist, bewegen sich die kleinen Teilchen mit einer extrem hohen Geschwindigkeit auf die Erde zu. Gleichwohl kann der Erde nichts geschehen: sie ist durch ihre dichte Atmosphäre, in der die Meteoriten verglühen, geschützt. Ungeschützt sind allerdings diejenigen Satelliten, die sich während des Durchgangs der Erde durch den ca. 35.000 km breiten Meteoritenstrom auf der den Leoniden zugewandten Seite der Erde befinden. Die Wahrscheinlichkeit, daß ein Satellit mit einer Querschnittsfläche von ca. 100 qm von einem Leonidenteilchen getroffen wird, liegt bei 0,3%, die Wahrscheinlichkeit, daß irgendeiner der gegenwärtig ca. 1000 aktiven Satelliten während des Leonidenschauers getroffen wird, bei etwa 30%. Es könnte also durchaus sein - und darauf konzentriert sich das Interesse vieler Menschen an dem Ereignis in den letzten Wochen -, daß durch den plötzlichen Ausfall eines Kommunikationssatelliten der Empfang von Fernsehprogrammen und Telefongesprächen empfindlich gestört wird. Die Wahrscheinlichkeit von Treffern ließe sich nur verringern, wenn man die Satelliten so dreht, daß sie dem Schauer eine möglichst schmale Seite zuwenden.
Überlegungen dieser Art beschäftigen auch einige Mitarbeiter des Max-Planck-Instituts für Aeronomie (MPAE) in Katlenburg-Lindau. Ihre Sorge gilt der Sonnensonde SOHO, die nach monatelangem Ausfall jetzt gerade wieder mit dem Senden von Daten begonnen hat, und den Satelliten Wind und Geotail, die die Erdmagnetosphäre erforschen. SOHO und vermutlich auch Geotail werden vorübergehend gedreht, abgeschaltet und geschlossen. Nicht abgeschaltet wird allerdings der in die SOHO-Instrumentengruppe CELIAS integrierte Masse/Ladungs-Analysator CTOF des MPAE, mit dem man gerade in dieser Situation die unterschiedlichen Quellen der mit dem Gerät identifizierbaren Protonen zu unterscheiden hofft. In Betrieb bleibt ebenfalls der Satellit Wind, der das MPAE-Gerät STICS beherbergt. Die Betreiber dieses Instruments möchten während des Leonidenschauers ebenfalls Informationen über die vom Meteroritenstrom mitgeführten, durch das solare UV-Licht und den Sonnenwind aus den Staubteilchen herausgelösten Protonen und schweren Ionen sammeln und hoffen, daß ihr Gerät dabei nicht durch ein größeres Teilchen beschädigt wird.
Dr. Bernd Wöbke (Öffentlichkeitsarbeit), Telefon
05556/979-379;
Dipl.-Phys. Heiner Grünwaldt, Telefon 05556 / 979 413 (CTOF);
Dr. Erhard Kirsch u. Dr. Urs Mall, Telefon 05556 /
979 428/152 (Wind, STICS);
Prof. Dr. Rainer Schwenn, Telefon 05556 / 979 337 (SOHO);
Dr. Berend Wilken, Telefon 05556 / 979 431 (Geotail).
Abkürzungen:CELIAS = Charge, Element and Isotope Analysis System;
CTOF = Charge resolving
Time-Of-Flight-Spectrometer;
SOHO = Solar and Heliospheric Observatory;
STICS = Suprathermal Ion Composition Sensor.
Die Satellitennamen Wind und Geotail sind keine Abkürzungen. Sie verweisen auf den Sonnenwind und auf den Schweif des Erdmagnetfelds, die mit diesen Satelliten erforscht werden.
Weitere Informationen finden Sie im WWW:
http://www-space.arc.nasa.gov/~leonid/ (Leoniden)
(European mirrorsite: http://strw.leidenuniv.nl/~leonid/);
http://medicine.wustl.edu/~kronkg/055p.html (Tempel-Tuttle);
http://sohowww.nascom.nasa.gov/~soc/timeline.html (SOHO);
und in der Literatur:
Sterne und Weltraum, Heft 10/1998, S. 834 - 841.
http://www-space.arc.nasa.gov/~leonid/
http://strw.leidenuniv.nl/~leonid/
http://medicine.wustl.edu/~kronkg/055p.html
http://sohowww.nascom.nasa.gov/~soc/timeline.html
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Mathematik, Physik / Astronomie
überregional
Forschungsprojekte
Deutsch
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