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Wissenschaft
Die Schneedecke in den Alpen ist seit den 1960er-Jahren jedes Jahrzehnt fast drei Tage früher geschmolzen. Dieser Trend ist temperaturbedingt und kann nicht durch stärkeren Schneefall kompensiert werden. Bis Ende Jahrhundert könnte die Schneedecke auf 2500 Meter sogar einen Monat früher weg sein als heute, wie Simulationen von Umweltwissenschaftlerinnen der Universität Basel zeigen.
Die globale Erderwärmung erfordert im alpinen Raum grosse Anpassungen in Tourismus, Energiegewinnung aus Wasserkraft und Landwirtschaft. Aber auch Fauna und Flora werden sich an die steigenden Temperaturen anpassen müssen. Bis Ende Jahrhundert wird unter 1600 Metern eine kontinuierliche Schneedecke während 30 Tagen voraussichtlich eine Seltenheit sein.
«Die Schneedecke schützt alpine Pflanzen vor Frost und mit der Schneeschmelze beginnt die Vegetationsperiode. Veränderungen in der Schneeschmelze beeinflussen diese Periode sehr stark», erklärt Dr. Maria Vorkauf vom Departement Umweltwissenschaften der Universität Basel. Sie hat sich im Rahmen ihrer Doktorarbeit intensiv mit der alpinen Pflanzenphysiologie beschäftigt.
Neue Messreihen in hohen Lagen
In einer aktuellen Studie ging Vorkauf mit Kolleginnen und Kollegen der Universität Basel sowie des Instituts für Schnee- und Lawinenforschung der Frage nach, wie sich das Datum der Schneeschmelze in den letzten Jahrzehnten verändert hat und mit welchen Verschiebungen bis zum Ende des 21. Jahrhunderts zu rechnen ist. Lange waren nur wenige Messreihen zur Schneedecke in hohen Lagen verfügbar, da Messungen meist nur in der Nähe bewohnter Gebiete, unterhalb von 2000 Metern stattfanden.
Das änderte sich mit dem IMIS-Messnetzwerk, das im Jahr 2000 in Betrieb genommen wurde. Dieses erfasst die Schneehöhe zwischen 2000 und 3000 Metern im Halbstundentakt automatisch. Diese Daten kombinierten die Forschenden mit Messreihen von 23 tieferliegenden Stationen, deren manuelle Messungen bis mindestens 1958 zurückgehen.
Die Auswertung der Messdaten zeigte: Zwischen 1958 und 2019 ist die Schneedecke zwischen 1000 und 2500 Metern jedes Jahrzehnt durchschnittlich 2,8 Tage früher geschmolzen. Diese Verschiebung verlief jedoch nicht linear, sondern war Ende der 1980er- und Anfang der 1990er-Jahre besonders ausgeprägt. Dies entspricht starken Temperaturzunahmen in dieser Zeitspanne, wie sie in der Klimaforschung nachgewiesen wurden.
Simulation der alpinen Zukunft
Basierend auf den ausgewerteten Messdaten haben die Forschenden ein Modell entwickelt, das Prognosen zur zukünftigen Entwicklung der alpinen Schneedecke ermöglicht. Dafür kombinierten sie ihre Daten mit den neusten Klimaszenarien für die Schweiz. Wenn die Treibhausgas-Emissionen ohne konsequenten Klimaschutz weiter ansteigen wie bisher, dann wird sich das Datum der Schneeschmelze im letzten Drittel des 21. Jahrhunderts mit grosser Wahrscheinlichkeit um sechs Tage pro Jahrzehnt vorverschieben. Das heisst, bis Ende Jahrhundert würde die Schneeschmelze auf 2500 Metern Höhe rund einen Monat früher stattfinden als heute.
Was die Forschung ebenfalls gezeigt hat: Die frühere Schneeschmelze in hohen Lagen kann durch höhere Niederschläge im Winter, wie sie in den Klimamodellen für die Schweiz prognostiziert wurden, nicht kompensiert werden. «Sobald der dreiwöchige Mittelwert der Lufttemperatur 5 °C übersteigt, schmilzt der Schnee relativ rasch», erklärt Vorkauf. «Die Temperatur ist dafür besonders in hohen Lagen viel wichtiger als die Höhe der Schneedecke.»
Frühere Blüte und höhere Frostrisiken
Die vorzeitige Schneeschmelze könnte künftig dazu führen, dass sich die Wachstumszeit für alpine Pflanzen um rund einen Drittel verlängert. Wie man aus Studien mit anderen, alpinen Pflanzenarten weiss, führte ein früher Start der Wachstumsperiode zu einer geringeren Anzahl Blüten, zu einem reduzierten Blattwachstum und einer niedrigeren Überlebensrate aufgrund höherer Frostrisiken. «Einige Arten, wie die Krummsegge, die typisch für den alpinen Rasen ist, werden wegen der früheren Schneeschmelze früher wachsen und blühen», sagt Vorkauf.
Obwohl die Temperaturen im alpinen Raum schneller ansteigen, seien alpine Pflanzenarten nicht stärker vom Klimawandel betroffen als in anderen Höhenlagen. «Die Topografie und Exposition des alpinen Geländes schafft sehr diverse Mikroklimata auf kleinstem Raum. In diese können die Pflanzen auf gleichbleibender Höhe über kurze Distanzen ausweichen», erklärt Vorkauf. Dadurch müssten alpine Pflanzenarten nicht in die Höhe «flüchten», wie dies oft angenommen wird.
Weitere Auskünfte
Dr. Maria Vorkauf, Universität Basel, Departement Umweltwissenschaften, E-Mail: evamaria.vorkauf@unibas.ch
Maria Vorkauf, Christoph Marty, Ansgar Kahmen, Erika Hiltbrunner
Past and future snowmelt trends in the Swiss Alps: the role of temperature and snowpack
Climatic Change (2021), doi: 10.1007/s10584-021-03027-x
https://doi.org/10.1007/s10584-021-03027-x
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
Meer / Klima, Umwelt / Ökologie
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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