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26.05.2021 17:06

Hochrisiko-Medizinprodukte: §137h-Bewertungen mit 7 neuen invasiven Verfahren wieder angelaufen

Jens Flintrop Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)

    Bei schwerem Tremor kann das gezielte Ausschalten von Hirngewebe mit fokussiertem Ultraschall Vorteile bieten. Für 6 Verfahren ist der Nutzen fraglich und weitere Studien sind notwendig.

    Erstmals seit drei Jahren wurden dem IQWiG wieder Daten zur Bewertung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden mit Medizinprodukten hoher Risikoklasse gemäß §137h SGB V vorgelegt. Dabei geht es um sieben invasive Therapieverfahren an Herz (drei Aufträge), Lunge, Gehirn, Darm und Harnröhre (je ein Auftrag). Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) und der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) prüften zu jeder dieser Methoden die klinischen Daten, die jeweils von Krankenhaus und Medizinprodukthersteller zusammengestellt worden waren. In manchen Fällen hat der Hersteller bereits eine eigene Studie begonnen, sodass vor allem zu entscheiden ist, ob neben der Studie des Herstellers eine weitere Studie in Deutschland sinnvoll war.
    Mangels aussagekräftiger Daten lassen sich bei sechs der sieben invasiven Verfahren aber keine belastbaren Aussagen machen zu Nutzen, Schaden oder Unwirksamkeit für die Betroffenen. In diesen Fällen hat das IQWiG jeweils Eckpunkte für fundierte Erprobungsstudien entwickelt, sofern nicht bereits vielversprechende Studien laufen.
    Ein Nutzen zeichnet sich allerdings ab für den transkranialen Magnetresonanz-gesteuerten fokussierten Ultraschall (TK-MRgFUS) bei Personen mit essenziellem Tremor, die für eine Tiefe Hirnstimulation (THS) nicht infrage kommen.

    Neuer Schwung für Bewertung besonders invasiver Verfahren

    Nach ersten Bewertungen von invasiven Therapieverfahren mit Hochrisiko-Medizinprodukten gemäß §137h SGB V im Jahr 2016 hatte es im Zeitraum 2017 bis 2019 keine neuen Anträge für neue Methoden gegeben. Eine Gesetzesänderung im Jahr 2019 hat das Verfahren dann neu belebt: Jetzt muss eine neue Hochrisiko-Methode nicht mehr „mindestens ein Potenzial“ aufweisen, um von gesetzlichen Krankenkassen bezahlt zu werden.
    „In §137h-Bewertungen wird man nur selten Nutzen, Schaden oder Unwirksamkeit feststellen können, weil die Behandlungsmethoden neu und nur teilweise erforscht sind. Es geht also vor allem darum, dass zu den neuen Therapieverfahren geeignete Studien in Deutschland aufgesetzt werden,“ erklärt Stefan Sauerland, Leiter des IQWiG-Ressorts Nichtmedikamentöse Verfahren.
    Die gesetzlichen Vorgaben dienten vor allem dazu, neue Therapien in sogenannten Erprobungsstudien zu prüfen, ohne den Versicherten die neuen riskanten Behandlungsoptionen vorzuenthalten. Nach der Gesetzesänderung hat vorrangig der G-BA (und nicht der Medizinproduktehersteller) die Kosten der Erprobungsstudie zu tragen. Die Finanzierungsfrage hatte in der Vergangenheit ebenfalls dafür gesorgt, dass vor allem Hersteller der §-137h-Bewertung negativ gegenüberstanden.
    Sofern der G-BA auf Basis der IQWiG-Bewertungen entsprechende Beschlüsse fasst, können die neuen Behandlungsmethoden durch die gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) erstattet werden. Allerdings bieten derzeit nur einige wenige Krankenhäuser die oben genannten neuen Behandlungsmethoden an, die vorrangig im Rahmen von Studien angewendet werden sollen.

    Die Bewertungsergebnisse im Überblick

    Unter Mitarbeit von externen klinischen Sachverständigen haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des IQWiG die sieben invasiven Verfahren mit Hochrisiko-Medizinprodukten gemäß §137h im Einzelnen wie folgt bewertet:
    • Transkranialer Magnetresonanz-gesteuerter fokussierter Ultraschall bei essenziellem Tremor
    Das gezielte Ausschalten von Hirngewebe mittels Transkranialem Magnetresonanz-gesteuertem fokussierten Ultraschall (TK-MRgFUS) soll das (genetisch bedingte) unkontrollierbare Zittern von Händen oder Beinen (Tremor) bei Betroffenen verbessern, bei denen der Tremor nicht mehr auf Medikamente reagiert und eine einseitige Behandlung ausreicht. Die Ergebnisse auf Basis der vorliegenden Unterlagen unterscheiden sich für zwei verschiedene Patientengruppen, abhängig davon, ob sie für eine Tiefe Hirnstimulation (THS) infrage kommen.

    Bei Patientinnen und Patienten, die für eine THS nicht infrage kommen, zeigte eine randomisierte kontrollierte Studie (RCT) in mehreren Endpunkten Vorteile einer TK-MRgFUS-Therapie im Vergleich zur Placebo-Behandlung bzw. Nichtbehandlung: beim Tremor, bei Aktivitäten des täglichen Lebens und bei der gesundheitsbezogenen Lebensqualität. Auf Basis der vorliegenden Unterlagen lässt sich deshalb ein Nutzen der Behandlung mittels TK-MRgFUS im Vergleich zur allein konservativen Behandlung erkennen.

    Eingeschränkt lassen sich diese Ergebnisse auch auf Personen übertragen, die für eine THS infrage kommen. Letztlich aber ist fraglich, ob eine Person mit schwerem Tremor vom gezielten Ausschalten von Hirngewebe mittels TK-MRgFUS mindestens genauso profitiert wie von der Implantation einer THS-Sonde. Um diese Frage beantworten zu können, wäre eine vergleichende Erprobungsstudie sinnvoll – gegebenenfalls ergänzt durch ein indikationsbezogenes Register.

    • Medikamentenbeschichteter Ballonkatheter bei Harnröhrenstrikturen
    Verengte Harnröhren (Harnröhrenstrikturen) bei Männern können neuerdings auch mithilfe eines medikamentenbeschichteten Ballonkatheters (DCB) erweitert werden. Ein Harnröhren-DCB kann allein oder in Kombination mit anderen endourologischen Verfahren eingesetzt werden: Einzelne kurze Strikturen werden derzeit vorrangig mittels einer Schlitzung der Harnröhre (Urethrotomia interna) behandelt (Population A). Sind Harnröhrenstrikturen radiogen induziert, also durch ionisierende Strahlung (etwa bei Krebsbestrahlungen) verursacht, wird die Harnröhre derzeit meist in einem offen-chirurgischen Eingriff rekonstruiert (Urethroplastik) (Population B).
    Insgesamt ist die Datenlage für diese Methode im Vergleich zu den bereits existierenden Therapieoptionen zu dürftig, um eine Einschätzung abgeben zu können. Eine Erprobungsstudie könnte die notwendigen Erkenntnisse für die Nutzenbewertung der Methode liefern. Weil noch unklar ist, ob sich eine bereits im Ausland laufende Studie (ROBUST-III) für eine Nutzenbewertung zur Population A eignet, hat das IQWiG Eckpunkte für eine Erprobungsstudie in Deutschland konzipiert, die den Nutzen einer Harnröhren-DCB im Vergleich mit einer Urethrotomia interna bei Männern mit kurzen Strikturen in der vorderen Harnröhre überprüft.
    Weil ein Harnröhren-DCB weniger invasiv wirkt als eine Urethroplastik, genügt beim Vergleich dieser beiden Verfahren der Nachweis, dass der Harnröhren-DCB der Urethroplastik nicht unterlegen ist bei Männern mit symptomatischer, kurzer und radiogen induzierter Harnröhrenverengung. Für beide Populationen sind RCTs mit 100 bis 500 Patienten erforderlich.

    • Irreversible Elektroporation bei chronischer Bronchitis
    Bei der irreversiblen Elektroporation (IRE) wird endoskopisch mittels kurzzeitig hochfrequenter elektrischer Signale die Aktivität von Zellen in den Atemwegen verhindert, die übermäßig viel Sekret produzieren und ständigen Hustenreiz verursachen. Bei Patientinnen und Patienten mit moderater bis schwerer chronischer Bronchitis (COPD-Schweregrad 1-3) sollen damit zusätzlich zur bisherigen Standardtherapie sekretreiche Gewebeschichten abgetragen und die Regeneration von funktionsfähigen Atemwegszellen angestoßen werden. Schleimbildung und Husten sollen sich dadurch verringern, die Lebensqualität soll sich verbessern und das Fortschreiten der Erkrankung soll verhindert werden.
    Wegen der unzureichenden Datenlage lassen sich keine Erkenntnisse zu Vor- und Nachteilen der IRE ableiten. Vor dem Start einer eigenen Erprobungsstudie empfiehlt das IQWiG, die Ergebnisse einer gerade angelaufenen und erfolgversprechenden Studie im Ausland (RheSolve in USA, Kanada, Europa) abzuwarten.

    • Endoskopische Thermoablation der Duodenalschleimhaut bei Typ-2-Diabetes
    Gemäß den vorgelegten Unterlagen soll die endoskopische Thermoablation der Duodenalschleimhaut (im Zwölffingerdarm) die Insulinresistenz bei Diabetes mellitus Typ 2 reduzieren: Bei Patientinnen und Patienten, die trotz antidiabetischer Therapie unzureichend eingestellt sind, soll die Blutzuckereinstellung verbessert und gleichzeitig sollen die Insulindosis und die Gabe oraler Antidiabetika reduziert oder abgelöst werden können. Im besten Fall führt die Behandlung dazu, dass der Diabetes mellitus verschwindet (Remission).

    Die vier vorliegenden Studien liefern nur Daten zur Häufigkeit von (schweren) Nebenwirkungen. Eine Erprobungsstudie könnte aber die notwendigen Erkenntnisse für eine Nutzenbewertung bringen: Um einen Unterschied in der Diabetes-Remissionsrate nachweisen zu können, wäre eine mittelgroße randomisierte kontrollierte Studie (RCT) zum Vergleich von endoskopischer duodenaler Thermoablation und konservativer Behandlung erforderlich.

    • Perkutan-implantierter interatrialer Shunt zur Behandlung der Herzinsuffizienz
    Die Bewertung gemäß §137h fokussiert auf den Einsatz eines perkutan-implantierten interatrialen Shunts bei Patientinnen und Patienten mit Herzinsuffizienz mit reduzierter Pumpfunktion des Herzens im linken Ventrikel (linksventrikulärer Ejektionsfraktion, LVEF < 40 %): Zwischen den beiden Herzvorhöfen soll mit dem Shunt sozusagen eine dauerhafte „Kurzschlussverbindung“ gelegt werden, um den erhöhten Blutdruck im linken Vorhof zu senken und dadurch die Krankheitssymptome (z. B. Atemnot) zu verbessern.
    Doch mangels verwertbarer vergleichender Daten lassen sich aus den vorgelegten Studien und Fallserien keine Erkenntnisse zu Vor- und Nachteilen der Methode ableiten.
    Von den drei laufenden RCTs erscheint vor allem die Studie RELIEVE-HF (mit mehreren deutschen Studienzentren) geeignet: Wird die Studie wie geplant durchgeführt, abgeschlossen und liefert sie verwertbare Auswertungen, könnten in absehbarer Zeit die notwendigen Ergebnisse zur Nutzenbewertung eines implantierten interatrialen Shunts bei Herzinsuffizienz mit eingeschränkter Pumpfunktion vorliegen. Dann wäre eine separate Erprobungsstudie nicht erforderlich.
    • Koronare Lithoplastie bei koronarer Herzkrankheit
    Bei der koronaren intravaskulären Lithoplastie sollen durch den Einsatz von Stoßwellen kalkhaltige Ablagerungen in den Herzkranzgefäßen (Koronararterien) gelöst werden. Dies soll die Erweiterung (Dilatation) von verengten Herzkranzgefäßen (Koronararterienstenose) mittels eines Stents ermöglichen. Mangels vergleichender Daten lassen sich aber keine fundierten Erkenntnisse über die Wirkung der koronaren intravaskulären Lithoplastie aus den Studienergebnissen gewinnen. Derzeit werden schwer verkalkte Engstellen in Herzkranzgefäßen mit anderen Verfahren vorpräpariert, beispielsweise durch Auffräsen (Rotablation).

    Eine Erprobungsstudie in Form einer RCT mit Patientinnen und Patienten mit kalzifizierten, nicht vorbehandelten Koronarstenosen und Indikation zur perkutanen Koronarintervention könnte die wissenschaftlichen Grundlagen für eine Nutzenbewertung liefern. Das Studienziel bestünde darin, die koronare intravaskuläre Lithoplastie mit alternativen Präparationsverfahren zu vergleichen, um schwerwiegende kardiovaskuläre Ereignisse zu vermeiden.

    • Endovaskulärer Stentgraft bei Trikuspidalklappeninsuffizienz
    Bei einer Trikuspidalklappeninsuffizienz schließt die defekte Herzklappe nur unzureichend, sodass es bei der Kontraktion des Herzens (Systole) zu einem Rückfluss von Blut aus der rechten Hauptkammer in den rechten Vorhof des Herzens kommt. Ein Stentgraft kombiniert stabilisierendes Drahtgeflecht (= Stent) und ein künstliches Blutgefäß aus Kunststoff (= Gefäßprothese) und soll zusammen mit einem Klappenelement die Fehlwirkung der defekten Trikuspidalklappe so ausgleichen, dass kein Rückfluss und damit Überdruck im venösen Kreislauf mehr zustande kommt. Er soll endoskopisch bei Patientinnen und Patienten mit schwerer Trikuspidalklappeninsuffizienz bei schlechtem Allgemeinzustand eingesetzt werden, um eine risikoreichere Operation zu vermeiden.

    Mangels vergleichender Daten bleiben Vor- und Nachteile der Methode unklar. Um einen Unterschied in Bezug auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität nachzuweisen, wäre als Erprobungsstudie eine RCT mittlerer Größe zum Vergleich der endovaskulären Implantation des Stentgrafts mit einer Scheinbehandlung erforderlich.


    Weitere Informationen:

    https://www.iqwig.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilungen-detailseite_37...


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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