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02.06.2021 17:00

Zielgerichtete COVID-19-Therapie: Was können wir von nephrologischen Autoimmunerkrankungen lernen?

Dr. Bettina Albers Pressearbeit
Deutsche Gesellschaft für Nephrologie e.V. (DGfN)

    Es ist bekannt, dass Viren und Bakterien Autoimmunprozesse auslösen können. Bei Autoimmunität richtet sich das Immunsystem gegen körpereigene Zellen, was lebensbedrohlich werden kann, beispielsweise bei einer Lupus-Nephritis. Bei COVID-19 wurden wiederholt die gleichen Autoantikörper („aPL“) gefunden wie bei Lupus-Patientinnen/-Patienten – eine neue Studie [1] beschreibt nun sogar eine konkrete Angriffsstelle, wo aPL eine sich selbstverstärkende Endlosschleife der Autoantikörperproduktion auslösen und zu schweren COVID-19-Verläufen führen könnten.

    Von verschiedenen Viren und Bakterien ist lange bekannt, dass sie bei entsprechender Veranlagung Autoimmunerkrankungen auslösen können. Auch für SARS-CoV-2 scheint dieses Phänomen gerade bei schweren Verläufen eine große Rolle zu spielen. Es kommt zur Aktivierung körpereigener Immunzellen mit Bildung von Autoantikörpern, die körpereigene, gesunde Zellstrukturen (Proteine, Autoantigene) angreifen; Immunkomplexablagerungen können dann schwere Entzündungsprozesse mit Zellzerstörungen im Körper anstoßen.

    Einige nephrologische Erkrankungen sind ebenfalls autoimmuner Genese, so auch der systemische Lupus erythematodes (SLE), eine meistens schubförmig verlaufende, chronische Entzündung mit z.T. lebensbedrohlichen Verläufen. Es kommt aufgrund der Bildung von Autoantikörpern zu Krankheitsmanifestationen an der Haut und in Organen wie Lunge, Herz, ZNS, Muskeln/Gelenke – und den Nieren. Zu einer Lupus-Nephritis (Nierenentzündung) kommt es in fast drei von vier Fälle, sie ist bei SLE prognosebestimmend. Viele der SLE-Patienten werden daher von Nephrologen betreut bzw. mitbehandelt – mit dem Ziel, eine chronische Dialysebehandlung zu vermeiden. Die Ursachen des SLE sind multifaktoriell (z. B. genetische Veranlagung, hormonelle und umweltbedingte Trigger). Bei SLE findet man im Blut oft auch die sogenannten Antiphospholipid-Antikörper (aPL; das sind Autoantikörper gegen an Phospholipide gebundene Proteine), aber auch bei anderen Autoimmunkrankheiten der Blutgefäße mit variablem Krankheitsbild. Die aPL können das Gerinnungssystem stören, daher besteht meist eine Thromboseneigung; bei betroffenen Frauen sind außerdem schwere Schwangerschaftskomplikationen möglich.

    Inzwischen werden immer mehr Ähnlichkeiten bei schwerem COVID-19 und dem SLE bzw. mit Autoimmunerkrankungen beschrieben. Es kommt bei schwerkranken COVID-19-Patienten ebenfalls zu einem Anstieg von autoantikörperbildenen Lymphozyten (B-Zellen) sowie zu deren Aktivierung wie bei akuten SLE-Schüben [2]. Auch aPL konnten bei COVID-19 nachgewiesen werden – und die aPL-Konzentrationen korrelierten mit der Schwere der Erkrankung [2]. Auch klinisch gibt es interessante Parallelen: Eine wegweisende Studie aus Deutschland [3] zeigt, dass eine frühe Nierenbeteiligung (Proteinurie, Hämaturie) bei COVID-19 prognosebestimmend sein kann – wie es auch beim SLE der Fall ist.

    Eine neue Studie zu der Thematik wurde nun von der Arbeitsgruppe um Prof. Wolfram Ruf, Mainz, in der renommierten Zeitschrift Science publiziert [1]. In der Studie wurde erstmals gezeigt, dass Antiphospholipid-Antikörper an den sogenannten EPCR-LBPA-Komplex binden. Dieser Molekül-Komplex befindet sich an der biochemischen Schnittstelle des angeborenen Immunsystems bzw. der Erregerabwehr und dem Gerinnungssystem. Es handelt sich um einen Lipid-Protein-Rezeptor-Komplex, bestehend aus endosomaler LBPA (aus Endosomen stammender Lysobisphosphatsäure) und dem EPC-Rezeptor (endotheliales Protein C), der sich an der Gefäßinnenhaut (Endothel) befindet. In diesem Komplex präsentiert der EPC-Rezeptor die LBPA als pathogenes Zelloberflächen-Antigen. Die Bindung der aPLs an den EPCR-LBPA-Komplex aktiviert dann gleichermaßen den endosomalen Entzündungs-Signalweg und die Gerinnung. Dabei kommt es in Immunzellen zur Interferon-Produktion und einer speziellen B-Zell-Vermehrung, die dann im Sinne einer selbstverstärkenden Autoimmun-Signalschleife weitere Autoantikörper produzieren. Therapeutisch konnten in dieser Studie außerdem im Lupus-Mausmodel mit einer spezifischen, pharmakologischen Blockade der EPCR-LBPA-Signalweges schwere aPL-bedingte Schäden, insbesondere das Auftreten bzw. die Schwere der Lupusnephritis verringert werden.

    „Auch wenn Pathomechanismus und Bedeutung der Autoantikörperbildung bei COVID-19 noch nicht komplett verstanden sind, könnte die Autoimmunität, einmal in Gang gesetzt, die eigentliche Ursache vieler schwerer COVID-19-Verläufe sein“, kommentiert Frau Prof. Dr. Julia Weinmann-Menke, Mainz, Pressesprecherin der DGfN, auf der Eröffnungspressekonferenz des ERA-EDTA-Kongresses. Sie und ihre Kollegen an den Universitäten Mainz, Greifswald (Prof. Dr. Jens Fielitz) und Berlin planen daher ein kooperatives klinisch-wissenschaftliches Projekt, um diese Autoimmunität weiter zu untersuchen und neue Ansatzpunkte für immunologische COVID-19-Therapien zu finden. „Unser Projekt basiert auf der Hypothese, dass eine infektionsassoziierte Autoimmunantwort durch Autoantikörper an vielen Organschäden bei schwerem COVID-19 Verläufen beteiligt ist“, erläutert Prof. Weinmann-Menke. In der Studie soll ein Hochdurchsatz-Testverfahren (Multiplex-Assay) etabliert werden, mit dem bei COVID-19 auftretende, spezifische Immunantworten (Immunoproteomics) gegen Autoantigene identifiziert werden können (besonders gegen zerebrale, kardiale und renale Proteine). Analysiert werden sollen autoantikörperbildende Memory-B-Zellen sowie die Spezifität der Autoantikörper (Gewebespezifität und Kreuzreaktivität mit anderen Organen) durch in vitro Tests. Außerdem soll unter anderem die Glykosilierung von Autoantikörpern untersucht werden, die bekanntermaßen oft deren Wirkung verstärkt.

    „Immunmodulatorische Therapien, die bei nephrologischen Autoimmunerkrankungen wie dem SLE eingesetzt werden oder sich in der Testung befinden, könnten auch bei schweren COVID-19-Verläufen erfolgversprechend sein“, schließt Prof. Weinmann-Menke. „Wir erhoffen uns durch neue diagnostische Möglichkeiten für Patienten eine verbesserte Risikoabschätzung sowie gezieltere Therapieansätze auch für nicht-COVID-19 assoziierte Immunphänomene.“

    [1] Müller-Calleja N, Hollerbach A, Royce J et al. Lipid presentation by the protein C receptor links coagulation with autoimmunity. Science 2021 Mar 12; 371 (6534): eabc0956. doi: 10.1126/science.abc0956.
    [2] Woodruff MC, Ramonell RP, Nguyen DC et al. Extrafollicular B cell responses correlate with neutralizing antibodies and morbidity in COVID-19. Nature Immunology, 2020; DOI: 10.1038/s41590-020-00814-z. https://www.nature.com/articles/s41590-020-00814-z
    [3] Gross O, Moerer O, Weber M et al. COVID-19-associated nephritis: early warning for disease severity and complications? The Lancet 2020. Published:May 06, 2020DOI: https://doi.org/10.1016/S0140-6736(20)31041-2

    DGfN-Pressestelle
    Dr. Bettina Albers
    Tel. +49 3643 7764-23/mobile +49 174 2165629
    email: presse@dgfn.eu


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Medizin
    überregional
    Forschungs- / Wissenstransfer, Wissenschaftliche Tagungen
    Deutsch


     

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