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30.06.2021 14:08

Im Zustand der Unruhe: Ältere Menschen verspüren zunehmenden Zeitdruck

Cordula de Pous Kommunikation, Marketing und Veranstaltungsmanagement
Humboldt-Universität zu Berlin

    Schnelle gesellschaftliche Veränderungen können dazu führen, dass wir uns mehr gehetzt und unter Zeitdruck fühlen. Ältere Menschen sind da keine Ausnahme, zeigt eine neue Studie von Weill Cornell Medicine (New York) unter Beteiligung von Forschenden der Humboldt-Universität zu Berlin.

    „Das Phänomen, dass wirtschaftliches Wachstum und Modernisierung das Gefühl von Zeitdruck erhöhen, ist als soziale Beschleunigung bekannt. Es wurde bisher hauptsächlich bei jüngeren und berufstätigen Erwachsenen mittleren Alters untersucht“, so Corinna Loeckenhoff, Professorin in der Abteilung für Entwicklungspsychologie im College of Human Ecology und außerordentliche Professorin für Gerontologie in der Medizin am Weill Cornell Medicine.

    Die neue Studie ist die erste, die ähnliche Effekte bei älteren Menschen zeigt, die schon lange nicht mehr im Berufsleben stehen. Die Forschenden spekulieren, dass bei den heutigen Senior:innen die Vereinbarkeit von Freizeit und ehrenamtlichem Engagement oder das Abarbeiten einer „Bucket List“ dafür verantwortlich sein könnten, dass sie sich stärker unter Zeitdruck fühlen als die Generation vor ihnen.

    Neben Loeckenhoff als Erstautorin der Studie sind zehn Co-Autor:innen mehrerer Berliner Institutionen an der Studie beteiligt, darunter die Humboldt-Universität zu Berlin, das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und die Charité Universitätsmedizin, sowie weitere Mitarbeitende in Deutschland, der Schweiz und den USA.

    Berlin als idealer Ort für Studie

    Die Wissenschaftler:innen analysierten zwei Datensätze, die sogenannten Berliner Altersstudien (BASE I und BASE II), die im Abstand von etwa 25 Jahren erhoben wurden. In der ersten Studie wurden mehr als 250 ältere Erwachsene Anfang der 1990er Jahre zu ihrer Zeitwahrnehmung befragt. Die gleichen Fragen wurden Mitte der 2010er Jahre gestellt. Die Forschenden glichen eine Stichprobe auf der Basis von Alter und Bildung mit der früheren Kohorte ab. Keiner der alternden Studienteilnehmenden war berufstätig, da in Deutschland bis vor kurzem das Rentenalter bei 65 Jahren lag. Die Stadt Berlin wurde aufgrund ihres starken sozialen Wandels ausgewählt, dessen Auswirkungen auf die ältere Bevölkerung untersucht wurden.

    Ältere Menschen nehmen heute mehr Zeitdruck wahr als ihre gleichaltrigen Altersgenossen aus den 1990er Jahren, so das Ergebnis der Studie. Auch bei der Zeitwahrnehmung zeigte sich eine größere Variabilität in den Antworten bei der heutigen Generation von Älteren.

    „Diese Thematik gewinnt besondere Relevanz, da ältere Deutsche über das bisherige gesetzliche Renteneintrittsalter hinaus arbeiten, was sie potenziell noch anfälliger für eine beschleunigte Zeitwahrnehmung machen könnte“, sagt Dr. Johanna Drewelies, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Psychologie an der Humboldt-Universität.

    Veränderungen in der Zeitwahrnehmung zu verstehen sei auch deshalb wichtig, weil sie negative Auswirkungen auf die Gesundheit haben können, so die Forschenden. Im Arbeitsleben wird wahrgenommener Zeitdruck mit schlechterer körperlicher Gesundheit, Stress, erhöhtem Blutdruck und Symptomen von Depressionen in Verbindung gebracht. Noch ist allerdings nicht sicher, ob sich diese Effekte von Zeitdruck auch im Alter gelten.

    Aktives Alter

    Es bedarf auch noch weiterer Forschung, um die Ursachen dafür zu klären, dass ältere Menschen sich verstärkt gehetzt fühlen. Alexandra Freund von der Universität Zürich sieht den „Bucket-List-Effekt“ als möglichen Grund, da Ältere zunehmend Freizeit- und soziale Ziele verfolgen, die sie während ihrer Berufstätigkeit aufgeschoben haben. Loeckenhoff beobachtet, dass in Deutschland gesunde ältere Menschen manchmal scherzen, dass sie sich nicht im Ruhestand, sondern in einem Zustand der „Unruhe“ befänden - in einer aktiven neuen Lebensphase - oder dass „70 das neue 60“ sei. „Nur weil die Leute aus dem Berufsleben raus sind, heißt das nicht, dass die Modernisierung an ihnen vorbeigeht", so die Forscherin.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Dr. Johanna Drewelies
    Institut für Psychologie
    Humboldt-Universität zu Berlin

    Tel. +49 30 2093-4917
    johanna.drewelies@hu-berlin.de


    Originalpublikation:

    „Sociohistorical Change in Urban Older Adults' Perceived Speed of Time and Time Pressure“, in Journals of Gerontology: Psychological Sciences (28.06.2021): https://academic.oup.com/psychsocgerontology/advance-article-abstract/doi/10.109...

    Berliner Altersstudien I und II:
    BASE I: https://www.base-berlin.mpg.de/de
    BASE II: https://www.base2.mpg.de/de


    Bilder

    Anhang
    attachment icon PM HU Zeitdruck bei älteren Menschen

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
    Gesellschaft, Psychologie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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