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Fossilien aus einer Million Jahre zeigen: Je kälter eine Region desto schwerer die Menschen – Gehirngröße hängt von anderen Herausforderungen ab
Klima und regional vorherrschende Temperaturen haben über einen Zeitraum von einer Million Jahre wesentlich die Körpergröße des Menschen beeinflusst und waren somit ein Haupttreiber in der menschlichen Evolution. Je kälter das Klima, desto schwerer die Menschen: Zu diesem Schluss kommt eine Studie der Universitäten Tübingen und Cambridge. Ein interdisziplinäres Forschungsteam aus Archäologen, Anthropologen, Ökologen und Klimamodellierern, unter Leitung von Dr. Manuel Will von der Universität Tübingen, hatte die Körper- wie auch Gehirngrößen von über 300 Fossilien der Gattung Homo weltweit gesammelt und sie mit rekonstruierten Klimadaten abgeglichen. Die Studie wurde im Fachmagazin Nature Communications veröffentlicht.
Unsere Spezies Homo sapiens entstand vor etwa 300.000 Jahren in Afrika. Die Gattung Homo existiert schon viel länger und umfasst die Neandertaler und andere ausgestorbene, verwandte Arten wie Homo habilis und Homo erectus. Ein entscheidendes Merkmal der Evolution unserer Gattung ist der Trend zur zunehmenden Körper- und Gehirngröße; im Vergleich zu früheren Arten wie Homo habilis ist Homo sapiens 50 Prozent schwerer und sein Gehirn in etwa dreimal so groß. Was aber als Treiber solche Veränderungen bewirkt hat, ist bislang umstritten.
In der aktuellen Studie kombinierte das Forschungsteam über viele Jahre gesammelte Größen-Daten mit einer neu entwickelten Rekonstruktion der regionalen Klimaverhältnisse weltweit, bis zu eine Million Jahre vor unserer Zeit. So ließ sich bestimmen, in welchem spezifischen Klima die jeweils untersuchten Menschen gelebten hatten ‒ unter anderem wurden hierfür der jährliche Temperatur- und Niederschlagsdurchschnitt und das kälteste bzw. trockenste Quartal eines Jahres rekonstruiert. Die Studie konnte so erstmals das Verhältnis zwischen Klimaverhältnissen und der Körper- und Gehirngröße unserer Gattung analysieren.
Die Ergebnisse zeigen, dass das durchschnittliche Körpergewicht der Menschen zwischen einer Million und 10.000 Jahren vor heute erheblich schwankte und eine klare Korrelation mit Klimaverhältnissen aufweist: Menschen in kälteren Regionen waren tendenziell schwerer. Dies bot einen bessern Puffer gegen kältere Temperaturen, ein Zusammenhang, der so auch schon bei Säugetieren festgestellt wurde: Ein Körper verliert weniger Wärme, wenn seine Masse im Verhältnis zu seiner Oberfläche groß ist.
„Unsere Daten deuten darauf hin, dass das Klima - insbesondere die Temperatur - der Haupttreiber für die Veränderungen des Körpergewichts in der letzten Million Jahre war“, sagt Ko-Autor Dr. Professor Andrea Manica vom Institut für Zoologie der Universität Cambridge. Auch an heute lebenden Menschen sei zu sehen: „Menschen in wärmeren Klimazonen sind tendenziell leichter gebaut als Menschen in kälteren Klimazonen. Wir wissen jetzt, dass die gleichen klimatischen Einflüsse in den letzten Millionen Jahren am Werk waren.“
Anders ist es bei der Größe des Gehirns. Auch hier untersuchten die Forscher den Einfluss von Umweltfaktoren für die Gattung Homo, fanden allerdings nur schwache Korrelationen vor und keinen Gleichschritt mit der Entwicklung des Körpergewichts. Tendenziell waren die Gehirne der Menschen größer, die in Lebensräumen mit wenig Vegetation, wie offenen Steppen und Grasland, lebten, aber auch in Gebieten, die über Jahrtausende ökologisch stabil waren.
In Kombination mit archäologischen Daten liegt nahe, dass Menschen aus diesen Lebensräumen große Tiere jagten ‒ eine komplexe Aufgabe, die die Evolution größerer Gehirne vorangetrieben haben könnte. Die Forscher schließen, dass für das Wachstums des Gehirns also eher Faktoren, die nicht-umweltbedingt sind, eine Rolle spielten, wie eine vielfältigere Ernährung und zusätzliche kognitive Herausforderungen durch ein zunehmend komplexes soziales Leben und höher entwickelte Technologie.
„Eine entscheidende Erkenntnis unserer Studie ist, dass unterschiedliche Klimafaktoren die Gehirn- und Körpergröße bestimmen, sie stehen nicht unter demselben evolutionären Druck. Die Umwelt hatte einen viel größeren Einfluss auf unser Körpergewicht als auf unsere Gehirngröße", sagt Erstautor Dr. Manuel Will von der Abteilung für Ältere Urgeschichte und Quartärökologie der Universität Tübingen. „In stabilen und offenen Gebieten gibt es einen indirekten Umwelteinfluss auf die Gehirngröße: Die Menge an Nährstoffen aus der Umwelt musste ausreichen, um die Erhaltung und das Wachstum unserer großen und besonders energiehungrigen Gehirne zu ermöglichen.“
Auch heute entwickeln sich unsere Körper- und Gehirngröße noch weiter. Der menschliche Körper-bau passt sich weiterhin unterschiedlichen Temperaturen an, dabei leben Menschen mit größerem Körperbau heute im Schnitt in kälteren Klimazonen. Die Gehirngröße wiederum scheint laut bekannter Studien bei unserer Spezies seit Beginn des Holozäns (vor etwa 11.650 Jahren) zu schrumpfen. Die zunehmende Abhängigkeit von Technik, wie z.B. die Auslagerung komplexer Aufgaben an Computer, könnte die Gehirne - aber nicht zwingend die Intelligenz des Menschen - in den nächsten paar tausend Jahren sogar weiter schrumpfen lassen. „Auch wenn es faszinierend ist, sollten wir hier mit Spekulationen zur weiteren Evolution unserer Art vorsichtig sein“, sagt Will. „Es können sich zu viele Faktoren ändern und nie ist eine einzige Variable ausschlaggebend.“
Das Forschungsprojekt wurde vom Europäischen Forschungsrat und der Antarctic Science Platform finanziert.
Dr. Manuel Will
Universität Tübingen
Institut für Ältere Urgeschichte und Quartärökologie
Telefon +49 7071 29-74993
manuel.will@uni-tuebingen.de
Will, M. et al: 'Different environmental variables predict body and brain size evolution in Homo.' Nature Communications, Juli 2021. DOI: 10.1038/s41467-021-24290-7
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Geschichte / Archäologie, Umwelt / Ökologie
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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