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Wissenschaft
Der Wettstreit zwischen Zellen ist eine wichtige Qualitätskontrolle. Er stellt sicher, dass nur gesunde Zellen für die Entwicklung eines Organismus zum Einsatz kommen. Forschenden ist nun gelungen, besser zu verstehen, wie die Zellen miteinander konkurrieren und welche Faktoren darüber entscheiden, ob eine Zelle überlebt oder nicht. Hat eine Zelle beispielsweise eine defekte Energieproduktion, wird sie meist nicht überleben. Die Studie wurde vom Helmholtz Zentrums München und dem Imperial College London geleitet.
Da mehrzelliges Leben auf Interaktionen zwischen Zellen beruht, ist es nicht verwunderlich, dass diese nicht immer friedlich verlaufen: Zellen mit höherer Fitness eliminieren Zellen mit geringerer Fitness. Der Wettstreit ist ein wichtiger Schritt in der Qualitätskontrolle der Zellen und tritt immer dann auf, wenn sich Zellen (sei es genetisch oder anderweitig) voneinander unterscheiden. Bei Säugetieren konnten Wissenschaftler:innen diesen Selektionsprozess um die fittesten Zellen bei Krebs und der Lebenserhaltung (Homöostase) von Organen beobachten, sowie bei der Entwicklung von Embryos. Allerdings war bisher nicht bekannt, welche Merkmale „Gewinnerzellen“ von „Verliererzellen“ unterscheiden und ob sich diese in verschiedenen biologischen Kontexten verändern.
Das Rezept zur Eliminierung von „Verliererzellen“
Die Forschungsgruppe fand in Studien an Mausembryonen heraus, dass die Zellen, die den Wettstreit verlieren, defekte Mitochondrien (die „Kraftwerke“ der Zellen) haben und durch Sequenzveränderungen im Genom der Mitochondrien gekennzeichnet sind – das heißt, dass ihre Energieproduktion gestört ist. Die Studie wurde in der Zeitschrift Nature Metabolism veröffentlicht. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Unterschiede in der Aktivität der Mitochondrien Schlüsselfaktoren für die Fitness konkurrierender Zellen in einer Vielzahl von Systemen sind. Insbesondere haben wir entdeckt, dass ‘Verliererzellen‘ in Mausembryonen genetische Defekte in den Mitochondrien aufweisen“, sagt Antonio Scialdone, einer der Studienleiter.
Im Detail: Die Wissenschafler:innen haben an Mausembryos herausgefunden, dass der Wettstreit der Zellen dazu dient, ungeeignete (Epiblast-)Zellen loszuwerden, noch bevor der grundlegende Körperplan in einem Prozess namens Gastrulation angelegt wird. Mit Hilfe der Einzelzell-RNAseq (einer spezifischen Sequenzierungstechnik) verglichen die Forschenden Zellen von Embryonen, die mit einem Zelltod-Inhibitor behandelt wurden, mit Zellen von unbehandelten Mausembryonen. Durch die Anwendung von maschinellem Lernen konnten sie die spezifische Genexpression von „Verliererzellen“ identifizieren und entdeckten, dass diese Zellen defekte Mitochondrien mit Sequenzveränderungen im Genom aufweisen. „Für unsere Forschungsgruppe war es ein großer Erfolg, dass wir mit unserer computergestützten Anwendung solch wichtige Informationen aus den Einzelzell-RNAseq-Datensätzen herauslesen konnten“, sagt Gabriele Lubatti, einer der Erstautoren der Studie.
Anhand der Informationen über das Aussehen von „Verliererzellen“ konnten die Forschenden ihre Zellidentität bestimmen. Durch weitere Analysen der mitochondrialen Aktivität in anderen Szenarien des Zellwettstreits konnten sie feststellen, dass mitochondriale Dysfunktion ein gemeinsames Merkmal in verschiedenen Arten von „Verliererzellen“ ist und dass kleine Veränderungen in der mitochondrialen DNA ausreichen, um den Zellwettstreit auszulösen.
Ausblick
Diese Arbeit legt nahe, dass die Aktivität der Mitochondrien ein Schlüsselfaktor für die zelluläre Fitness in verschiedenen Kontexten sein kann, in denen ein Wettstreit zwischen Zellen stattfindet. Umweltveränderungen können den Stoffwechsel stark beeinflussen und dabei spielen die Mitochondrien eine zentrale Rolle. Deswegen ist es möglich, dass der zelluläre Wettstreit und die damit einhergehenden Fehler im mitochondrialen Genom als Antwort auf bestimmte Umweltfaktoren dazu führt, dass sich ein bestimmter Genotyp (der „Gewinnerzellen“) herausbildet. Dies würde bedeuten, dass der zelluläre Wettstreit eine direkte Verbindung zwischen der Umwelt und dem Genotyp darstellen könnte – ein interessanter Aspekt für künftige Forschungsprojekte.
Zu den Personen
Gabriele Lubatti und Antonio Scialdone gehören zum Institut für Epigenetik und Stammzellen, zum Institut für Funktionelle Epigenetik und zum Institut für Computational Biologie am Helmholtz Zentrum München. Am Imperial College London leitete Tristan Rodriguez vom National Heart & Lung Institut die Studie von britischer Seite aus.
Helmholtz Zentrum München
Das Helmholtz Zentrum München verfolgt als Forschungszentrum die Mission, personalisierte medizinische Lösungen zur Prävention und Therapie umweltbedingter Krankheiten für eine gesündere Gesellschaft in einer sich schnell verändernden Welt zu entwickeln. Es erforscht das Entstehen von Volkskrankheiten im Kontext von Umweltfaktoren, Lebensstil und individueller genetischer Disposition. Besonderen Fokus legt das Zentrum auf die Erforschung des Diabetes mellitus, Allergien und chronischer Lungenerkrankungen. Der Hauptsitz des Zentrums liegt in Neuherberg im Norden Münchens. Das Helmholtz Zentrum München beschäftigt rund 2.500 Mitarbeitende und ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, der größten Wissenschaftsorganisation Deutschlands mit mehr als 43.000 Mitarbeitenden in 18 Forschungszentren.
Antonio Scialdone
Helmholtz Zentrum München
E-Mail: antonio.scialdone@helmholtz-muenchen.de
Lima et al., 2021: Cell competition acts as a purifying selection to eliminate cells with mitochondrial defects during early mouse development. Nature Metabolism, DOI: 10.1038/s42255-021-00422-7
https://www.nature.com/articles/s42255-021-00422-7
Stammzellen eines Mausembryos
Ana Lima / Imperial College London
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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