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16.08.2021 10:26

Hardware für das künstliche Gehirn: Forschungsteam entwickelt magnetische Nano-Scheiben mit KI-Potenzial

Simon Schmitt Kommunikation und Medien
Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf

    Das menschliche Gehirn arbeitet effizienter als jeder Computer. Es verarbeitet Signale dynamisch. Neuroinspirierte Rechner ahmen das nach – allerdings bislang vor allem durch Softwarelösungen. Eine vielversprechende Hardware-Entwicklung haben nun Forscher*innen um Dr. Alina Deac vom HZDR vorgestellt. Sie nutzen aus, dass schwingende Magnetwirbel in Nano-Scheiben ähnliche Aktivitätsmuster zeigen können wie miteinander kommunizierende Nervenzellen im Gehirn. Mittels Ionenbestrahlung gelang es, die Scheiben so zu manipulieren, dass die Wirbel auf mehr als einer Frequenz Signale senden und empfangen können. Dies öffnet neue Möglichkeiten für miniaturisierte Anwendungen künstlicher Intelligenz.

    In der digitalen Gesellschaft wachsen der Bedarf an Rechenleistung und der damit einhergehende Energieverbrauch ungebremst. Damit steigt auch das Interesse der Mikroelektronik-Industrie an integrierten, spintronischen Lösungen. Diese Technologien minimieren Wärmeverluste durch elektrischen Strom, indem sie die Spins der Elektronen zusätzlich zu der Elektronenbewegung für die Informationsübertragung nutzen – oder sogar mit reinen Spinströmen Energieverluste durch Wärme komplett vermeiden.

    Neuroinspiriertes Rechnen – das Gehirn als Vorbild

    Die Vision des neuromorphen Computings geht noch einen Schritt weiter. Sie soll völlig neue Rechenarchitekturen realisieren, die die dynamische Natur des menschlichen Gehirns nachempfinden. „Jede unserer Nervenzellen hat über siebentausend Synapsen, um mit anderen Neuronen zu kommunizieren. Das macht das Gehirn unglaublich effizient. Parallele Datenverarbeitung oder Grafikkarten können da bei Weitem nicht mithalten“, erklärt Dr. Alina Deac, leitende Wissenschaftlerin der Studie. „Gerade beim neuroinspirierten Rechnen stehen Hardwareentwicklungen noch ganz am Anfang. Hier können wir mit unserer Forschung einen echten Unterschied machen.“

    Der Ansatz des Teams basiert auf schwingenden Magnetwirbeln. Das Grundprinzip: In ultradünnen Nanostrukturen aus magnetischen Materialien können sich die Spins der Elektronen wirbelförmig anordnen – ähnlich einem Trichter oder Wirbelsturm. Über die jeweilige Drehrichtung und die Orientierung im Kern nach oben oder unten kann jeder Wirbel vier unterschiedliche Zustände annehmen, also zwei Bit Information speichern. Über einen äußeren Stromimpuls manipulieren die Forscher*innen die Position des Kerns. Dieser bewegt sich dann spiralförmig zum Ausgangspunkt zurück. Wiederholt man den Impuls immer wieder im genau richtigen Moment, beginnt der Wirbel kreisförmig um sein Zentrum zu schwingen. Diese Schwingungen sind wichtig für das neuromorphe Computing, weil mehrere Wirbel über sie Informationen austauschen, also untereinander kommunizieren können. Ihre Schwingungen synchronisieren sich. Biologische Neuronen nutzen ein ähnliches Prinzip: Ihre Synapsen feuern schnelle elektrische Pulse.

    Bislang waren die magnetischen Wirbel-Schwingungen auf eine einzige Resonanzfrequenz beschränkt, die von den geometrischen Eigenschaften der Nano-Scheibe bestimmt wird. Nun gelang erstmals das Design von Nanoscheiben, in denen Spin-Wirbel auf mehr als eine Frequenz ansprechen. Mit Hilfe modernster Elektronenstrahllithographie, Reinraumeinrichtungen und präzisem Ionenbeschuss im Ionenstrahlzentrum des HZDR wurden zwei abgegrenzte Bereiche in den Scheiben mit unterschiedlichen Magnetisierungsgraden erzeugt – und dadurch unterschiedlichen Resonanzfrequenzen. Die künstlichen Synapsen und Neuronen können dann quasi auf mehreren Kanälen funken. Experimente zur Spracherkennung mit schwingenden Wirbeln haben gezeigt, dass mehrere Frequenzen in einem System Voraussetzung für die Mustererkennung künstlicher Intelligenz sind. Die nanostrukturierten Scheiben bieten diese Möglichkeit jetzt in einem einzigen Bauteil.

    Technologieschub für die europäische Mikroelektronik-Industrie

    Damit ihrer Entwicklung auch der Sprung in Anwendung und industrielle Fertigungsprozesse gelingen kann, kooperieren die Forscher*innen eng mit weiteren Wissenschaftspartnern und Unternehmen vor Ort. „Dresden ist ein einzigartiger Standort für Innovationen rund um neuromorphes Computing oder Wi-Fi-Technologien. Es ist ein Riesenvorteil, dass wir unsere Entwicklung hier bereits vor Ort auf ihre Praxistauglichkeit testen können. Zum Beispiel können wir die Nanoscheiben mit unseren Partnern an der TU Dresden und bei der Industrie langfristig auch in komplexere Elektronik integrieren“, erläutert Deac. Das Anwendungsspektrum der neuen Multifrequenz-Nanoscheiben ist enorm. Bereits heute werden Magnetwirbel-Technologien in kommerziellen Magnetspeichern und für neue Drahtlostechnologien eingesetzt.

    Publikation: L. Ramasubramanian, A. Kákay, C. Fowley, O. Yildirim, P. Matthes, S. Sorokin, A. Titova, D. Hilliard, R. Böttger, R. Hübner, S. Gemming, S. E. Schulz, F. Kronast, D. Makarov, J. Fassbender, A. Deac, Tunable Magnetic Vortex Dynamics in Ion-Implanted Permalloy Disks, in ACS Appl. Mater. Interfaces 2020, 12, 24, 27812–27818 (DOI: 10.1021/acsami.0c08024)

    Weitere Informationen:

    Dr. Alina Deac
    Institut Hochfeld-Magnetlabor Dresden am HZDR
    Tel.: +49 351 260 3709 | E-Mail: a.deac@hzdr.de

    Dr. Ciarán Fowley
    Institut für Ionenstrahlphysik und Materialforschung am HZDR
    Tel.: +49 351 260 3253 | E-Mail: c.fowley@hzdr.de

    Medienkontakt:

    Simon Schmitt | Leitung und Pressesprecher
    Abteilung Kommunikation und Medien am HZDR
    Tel.: +49 351 260 3400 | E-Mail: s.schmitt@hzdr.de

    Das Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) forscht auf den Gebieten Energie, Gesundheit und Materie. Folgende Fragestellungen stehen hierbei im Fokus:
    • Wie nutzt man Energie und Ressourcen effizient, sicher und nachhaltig?
    • Wie können Krebserkrankungen besser visualisiert, charakterisiert und wirksam behandelt werden?
    • Wie verhalten sich Materie und Materialien unter dem Einfluss hoher Felder und in kleinsten Dimensionen?
    Das HZDR entwickelt und betreibt große Infrastrukturen, die auch von externen Messgästen genutzt werden: Ionenstrahlzentrum, Hochfeld-Magnetlabor Dresden und ELBE-Zentrum für Hochleistungs-Strahlenquellen.
    Es ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, hat sechs Standorte (Dresden, Freiberg, Görlitz, Grenoble, Leipzig, Schenefeld bei Hamburg) und beschäftigt knapp 1.200 Mitarbeiter – davon etwa 500 Wissenschaftler inklusive 170 Doktoranden.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Dr. Alina Deac
    Institut Hochfeld-Magnetlabor Dresden am HZDR
    Tel.: +49 351 260 3709 | E-Mail: a.deac@hzdr.de


    Originalpublikation:

    L. Ramasubramanian, A. Kákay, C. Fowley, O. Yildirim, P. Matthes, S. Sorokin, A. Titova, D. Hilliard, R. Böttger, R. Hübner, S. Gemming, S. E. Schulz, F. Kronast, D. Makarov, J. Fassbender, A. Deac, Tunable Magnetic Vortex Dynamics in Ion-Implanted Permalloy Disks, in ACS Appl. Mater. Interfaces 2020, 12, 24, 27812–27818 (DOI: 10.1021/acsami.0c08024)


    Weitere Informationen:

    https://www.hzdr.de/presse/magnetische_nano-scheiben_mit_ki-potenzial


    Bilder

    Eine Scheibe aus magnetischem Material wird mit Ionen bestrahlt. Um eine räumliche Abgrenzung zwischen bestrahlten und nicht bestrahlten Bereichen zu erreichen, wird eine Schutzschicht (grün) ringförmig auf der Scheibe aufgebracht.
    Eine Scheibe aus magnetischem Material wird mit Ionen bestrahlt. Um eine räumliche Abgrenzung zwisch ...
    Juniks
    HZDR/Juniks


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Biologie, Chemie, Informationstechnik, Physik / Astronomie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Kooperationen
    Deutsch


     

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