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Der große und kompliziert gefaltete Neokortex gibt uns Menschen viele unserer intellektuellen Fähigkeiten und unterscheidet uns damit von allen anderen Spezies. Ein Forschungsteam um Dr. Tran Tuoc aus der Abteilung Humangenetik der Medizinischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum (RUB) hat einen wichtigen Faktor identifiziert, der im Verlauf der Evolution zu dieser Gehirnentwicklung geführt haben könnte: die sogenannte H3-Acetylierung basaler Vorläuferzellen von Nervenzellen. Diese Erkenntnis könnte auch Wege zur Behandlung neurodegenerativer Erkrankungen eröffnen. Die Arbeit ist veröffentlicht in der Zeitschrift Science Advances vom 15. September 2021.
Wie das menschliche Gehirn sich entwickelt
Der Neokortex ist in sechs neuronale Schichten und viele funktionale Bereiche gegliedert. Sie bilden die strukturelle Grundlage für die Verarbeitung sensomotorischer Reize und viele unserer intellektuellen Fähigkeiten. Im Lauf der Evolution hat das menschliche Gehirn verschiedene Veränderungen hervorgebracht, zu denen zum Beispiel ein starkes Größenwachstum und eine besondere Faltung des Neokortex gehören. „Man nimmt an, dass diese Entwicklung unser Verhalten und unsere kognitiven Fähigkeiten geprägt und unsere Spezies so einzigartig gemacht haben“, erklärt Tran Tuoc.
Die Milliarden Nervenzellen, die zu dieser Ausdehnung beitragen, werden hauptsächlich von den sogenannten basalen Vorläufern – englisch basal progenitors, kurz BPs – erzeugt, die sich in den Keimzonen des sich entwickelnden Gehirns befinden.
Steuerung des Gehirnwachstums war unbekannt
Obwohl das Interesse von Forschenden, Licht in diese Entwicklung zu bringen, in den vergangenen Jahren groß war, konnten sie bisher nur wenige Faktoren identifizieren, die dabei eine Rolle spielen. „Darüber hinaus sind die epigenetischen Mechanismen, von denen man annimmt, dass sie die Vermehrung der BPs auf genomweiter Ebene steuern, noch unbekannt“, so Tran Tuoc.
Gemeinsam mit einem internationalen Forschungsteam ist es ihm gelungen, einen Schlüsselfaktor für die Ausdehnung und Faltung des Neokortex auszumachen: die H3-Acetylierung, welche die Vermehrung von basalen Vorläuferzellen reguliert.
Um zu testen, ob die kortikale Expansion in der Evolution mit einer Veränderung der epigenetischen Landschaft einhergeht, untersuchten die Autoren zunächst, ob sich epigenetische Markierungen zwischen TBR2-positiven (+) BPs aus Maus- und menschlichen Kortizes unterscheiden. Sie führten eine intranukleare Immunfluoreszenzfärbung mit TBR2-Antikörpern und mit Einzelzellsuspensionen durch, die aus den sich entwickelnden Kortizes von Mäusen und Menschen isoliert wurden, gefolgt von einer fluoreszenzaktivierten Zellsortierung (FACS), um TBR2+ BPs zu reinigen.
Das Team setzte eine neue, auf Massenspektrometrie basierende Technik ein, um Unterschiede in der epigenetischen Landschaft zwischen dem sich entwickelnden Mäuse- und Menschengehirn zu bestimmen. „Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass die sogenannte Histone H3 lysine 9 Acetylation, kurz H3K9ac, bei den basalen Vorläuferzellen von Mäusen gering ausgeprägt, bei menschlichen Zellen jedoch stark ausgeprägt ist“, berichtet Tran Tuoc. Erhöhten die Forschenden im Experiment die Acetylierung von Mäusenervenzellen, regte das deren Vermehrung an, was zu einem Wachstum und einer Faltung des normalerweise glatten Mäusekortex’ führte. Der Weg führt über eine erhöhte Expression des TRNP1-Gens.
Diese Ergebnisse legen nahe, dass eine Manipulation der H3-Acetylierung in basalen Vorläuferzellen helfen könnte, mehr Nervenzellen zu generieren, die wiederum zur Behandlung neurodegenerativer Erkrankungen eingesetzt werden könnten.
Dr. Tran Tuoc
Abteilung Humangenetik
Medizinische Fakultät
Ruhr-Universität Bochum
Tel.: +49 234 32 25739
E-Mail: tran.tuoc@rub.de
Cemil Kerimoglu et al.: H3 acetylation selectively promotes basal progenitor proliferation and neocortex expansion, in: Science Advances, 2021, DOI: 110.1126/sciadv.abc6792, https://www.science.org/doi/10.1126/sciadv.abc6792
Linh Pham, Dr. Godwin Sokpor, Dr. Tran Tuoc, Prof. Dr. Huu Phuc Nguyen (von links)
Katja Marquard
© RUB, Marquard
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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