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Vom 28. bis 30. Oktober treffen sich Deutschlands Schlafforscher und Schlafmediziner zum jährlichen Update der neuesten Entwicklungen auf diesem Fachgebiet. Der besondere Fokus liegt dabei auf den Wechselwirkungen von Schlaf und Psyche. Die beiden diesjährigen Kongresspräsidenten Univ.-Prof. Dr. rer. soc. Dipl.-Psych. Dieter Riemann und Prof. (apl.) Dr. phil. Dr. med. Kai Spiegelhalder beschäftigen sich seit vielen Jahren in Forschung und Klinikalltag mit diesem Aspekt. Im folgenden Interview räumt Professor Riemann mit Schlafmythen auf, erklärt warum es so wichtig ist, dass man auf seinen Schlaf achtet und wieso jeden eine psychische Krise treffen kann.
Corona rauf und runter, das Wetterchaos, die Wahl – und zu all dem noch die alltäglichen Sorgen; 2021 hat uns bisher nicht verwöhnt. Das dies bei vielen Menschen an die Substanz geht, ist nachvollziehbar. Was kann man machen, um sich psychisch immer wieder aufzurichten?
Prof. Riemann: Aus psychologischer Sicht ist ein soziales Miteinander das Wichtigste. Allein kann man Krisen sehr schlecht durchstehen. Es gibt Menschen, die emotional belastbarer sind als andere, aber die Mehrheit bleibt stabiler, wenn Ihnen sozialer Halt zu Teil wird, wenn sie also das Gefühl haben, etwas nicht alleine bewältigen zu müssen. Es lässt weniger Angst entstehen. Das hat man bei der Hochwasserkatastrophe gut verfolgen können. Je mehr Solidarität sich gezeigt hat, umso mehr wurden die Betroffenen wieder ein Stück weit zuversichtlicher, dass sie alles vor Ihnen Liegende bewältigen können. Belastbarkeit und Anpassungsfähigkeit sind im Übrigen genetisch mit angelegt.
Seit vielen Jahren beschäftigen Sie sich mit psychischen Einflüssen auf den Schlaf und umgekehrt. Was raubt den Menschen am häufigsten den Schlaf? Und stehen diese Dinge im Zusammenhang mit dem Weltgeschehen?
Prof. Riemann: Die Alltagsschlafprobleme sind Schlaflosigkeit, Ein- und Durchschlafstörungen und damit verbundenes frühmorgendliches Erwachen und Tagesmüdigkeit. Aus vielen Studien wissen wir, dass es nicht das Weltgeschehen ist, was den Menschen den Schlaf raubt, sondern es sind in erster Linie die privaten Sorgen einschließlich beruflicher oder existenzieller Probleme. Dinge des Weltgeschehens wirken sich am häufigsten auf den Schlaf aus, sobald sie in den privaten Sektor eingreifen. Man kann sagen, dass alles, was unser Leben unsicher macht, auch unseren Schlaf stört.
Sie übernehmen in diesem Jahr die wissenschaftliche Leitung des größten schlafmedizinischen Kongresses in Europa und haben diesem den Schwerpunkt „Schlaf und Psyche“ gegeben. Welche neuen Erkenntnisse gibt es?
Prof. Riemann: Den Aspekt Schlaf und Psyche erforschen wir hier in Freiburg schon sehr lange. Es ist also etwas Lokalkolorit, das wir dieser 29. DGSM-Jahrestagung, die Corona-bedingt leider nicht präsent stattfinden kann, mitgeben. Dass sich schlechter Schlaf auf die Psyche auswirkt, ist bekannt. Kai Spiegelhalder und ich erforschen vielmehr, wie schlechter Schlaf über Jahre sich auf die Entstehung psychischer Krankheiten wie Depressionen oder Angststörungen auswirkt. In der Psychiatrie behandeln wir akut erkrankte Menschen, aber das Ziel könnte sein mit diesem Wissen präventiv zu handeln und zum Beispiel eben Schlafprobleme in einem sehr frühen Stadium effektiv zu therapieren. Damit hätten wir einen völlig neuen klinischen Ansatz psychisches Leid zu verhindern. Im Moment läuft eine Studie, welche gemeinsam mit Krankenkassen untersucht, welche Wege es gibt, Patienten bereits in der Hausarztpraxis zu erkennen und adäquat zu behandeln. Damit hätten wir möglicherweise ein ganz neues Werkzeug psychische Erkrankungen künftig weiter einzudämmen.
Ist die Versorgungslage in Deutschland zufriedenstellend?
Prof. Riemann: Sie ist sicher nicht optimal, aber man kann klar sagen, dass wir in Deutschland besser dastehen als in vielen anderen europäischen Ländern was die schlafmedizinische Versorgungssituation angeht. Dennoch gibt es regionale Versorgungslücken, Wartezeiten auf Schlaflaboruntersuchungen von durchschnittlich mindestens 4 Monaten und insgesamt zu wenig therapeutische Angebote, insbesondere für die psychisch bedingten Schlafstörungen. Die Vergütung schlafmedizinischer Leistungen ist nach wie vor zu unattraktiv. Das führt dazu, dass für die Betroffenen zu wenig Versorgungsangebote vorhanden sind. Hinzu kommt ein zu schleppender Digitalisierungsprozess, nicht nur in der Schlafmedizin, durch den zeitgemäße diagnostische und therapeutische Angebote verzögert werden. Um das weiter zu verbessern, machen wir zum Beispiel mit Hausärzten zusammen Projekte. Geplant ist etwa eines zum Umgang mit Medikamentenabhängigkeit bei Schlaflosigkeit und welche Möglichkeiten es gibt, die Medikamente abzusetzen. Denn letztlich ist es das große Anliegen, Teile der Schlafmedizin nicht nur in der Klinik zu halten, sondern in der Allgemeinversorgung zu verankern.
Die Aufmerksamkeit für den Schlaf hat in den letzten Jahren merklich an Bedeutung gewonnen. Geht das für Sie in die richtige Richtung oder wünschen Sie sich mehr Gewichtung auf wissenschaftliche Erkenntnisse als auf sog. Therapiedecken und Schlaf-Apps?
Prof. Riemann: Es ist eine sehr erfreuliche Entwicklung, dass die Aufmerksamkeit für den Schlaf zugenommen hat – und das hat sie erkennbar in den Medien und auch in der Bevölkerung. Ich finde, die Berichterstattung ist größtenteils ernsthaft und richtig. Aber ja, es gibt auch die Ecke der Wunderheiler. Die gibt es aber auch in vielen anderen Bereichen. Durch Internet und soziale Medien wird es diesen Trittbrettfahrern natürlich leicht gemacht Informationen unter die Menschen zu bringen, die manchmal nicht so seriös sind. Aber generell würde ich sagen, dass die mediale Berichterstattung gut und hilfreich ist.
Gibt es allgemeine Weisheiten über den Schlaf, die Sie an dieser Stelle gern zurechtrücken würden?
Prof. Riemann: Die gibt es tatsächlich und zwar zwei Stück, die sich hartnäckig halten, wie ich finde. Zum einen, dass der Mensch acht Stunden Schlaf braucht. Das stimmt nicht. Jeder hat ein individuelles Schlafbedürfnis und man kann sich verrückt machen, wenn man sich an dieser überholten „Ziellinie“ misst. Das Ergebnis ist schon mal eine eingebildete Schlafstörung. Was zählt ist, ob ich mich am Morgen bzw. tagsüber erholt und fit fühle. Man sollte die nötige Schlafmenge nicht an einer Ziffer festmachen. Das zweite ist die Auffassung, dass der Schlaf vor Mitternacht der gesündeste sei. Auch das ist falsch. Wir wissen, dass es Früh- und Abendtypen gibt und wer um eins ins Bett geht, der hat seinen Tiefschlaf eben danach. Wichtig ist, dass man den Schlaf nicht dogmatisch betrachtet.
Welches sind überdies hot topics des Kongresses?
Prof. Riemann: Es geht etwa um die aktuellen Entwicklungen im Bereich der Schlafapnoe, wie neue Geräte. Dieses Gebiet ist permanent im Fluss und bei der Vielzahl an Patienten ist ein hoher Standard extrem wichtig. Es gibt neue Medikamente für Narkolepsiepatienten, ebenso für Insomniepatienten – hier gibt es auch neue Therapieformen, die vorgestellt werden. Die diagnostischen und therapeutischen Methoden verändern sich ständig und machen die Schlafmedizin so spannend.
Gibt es Menschen, die immun sind gegen psychischen Stress?
Prof. Riemann: Man kann nicht sagen, dass es Menschen gibt, denen eine psychische Krankheit niemals passieren kann. Es passieren Dinge im Leben, die einen jeden traumatisieren können und dann nützt eben leider auch eine starke Widerstandsfähigkeit nicht mehr.
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Pressekontakt:
Conventus Congressmanagement
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Romy Held
Carl-Pulfrich-Straße 1, 07745 Jena
Tel.: 0173/5733326
E-Mail: romy.held@conventus.de
http://www.dgsm.de
http://www.dgsm-kongress.de
Prof. Dr. Dieter Riemann
Uniklinik Freiburg
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Gesellschaft, Medizin, Psychologie
überregional
Buntes aus der Wissenschaft, Wissenschaftliche Tagungen
Deutsch
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