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Mithilfe von Daten aus dem Survey „Sociopolitical attitudes and preferences in Germany and Greece in times of COVID-19“ zeigen Alexia Katsanidou und Christina Eder vom Gesis – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften gemeinsam mit Ann-Kathrin Reinl von der LMU München dass die Solidaritätsbereitschaft deutscher und griechischer Bürgerinnen und Bürger in Pandemiezeiten im Vergleich zu anderen Krisenszenarien deutlich höher liegt. Auch die Bereitschaft, ökonomische Konsequenzen der Pandemie in der EU gemeinsam abzumildern, ist insgesamt hoch – eine Chance für die Politik und die Zukunft der EU.
Im letzten Jahrzehnt sah sich die Europäische Union mit gleich drei essenziellen Krisen konfrontiert: der europäischen Schuldenkrise, der Migrationskrise und schließlich der COVID-19-Pandemie. All diese Krisen beförderten die Debatte um die transnationale Solidarität zwischen den EU-Mitgliedstaaten. Solidarität mit anderen EU-Mitgliedsstaaten und deren Bevölkerung manifestiert sich meist in Form finanzieller Hilfen und deren öffentlicher Unterstützung. In der COVID-19-Pandemie kamen Fragen wie die der Impfstoffverteilung hinzu, doch auch die ökonomischen Auswirkungen der Pandemie bleiben zentral. Die Forscherinnen befragten daher im Juli und August 2020 – kurz nach der Verabschiedung des 750 Milliarden schweren Krisenfonds NextGenerationEU – Menschen aus Deutschland und Griechenland zu ihrer Solidaritätsbereitschaft. Die Wahl fiel auf diese beiden Länder, da sie in der Vergangenheit sehr unterschiedlich von den oben genannten Krisen betroffen waren und sich folglich auch fundamental in ihrer Befürwortung transnationaler Solidarität innerhalb der EU unterscheiden.
Insgesamt liegt die transnationale Solidarität der Griechinnen und Griechen in allen Krisenszenarien weit höher als die der Deutschen. Dieser Befund lässt sich damit erklären, dass Griechenland sowohl von der Schulden- als auch der Migrationskrise (als Grenzstaat) härter getroffen wurde und Gelder erhalten hat, während Deutschland als Geldgeber fungierte und freiwillig Asylsuchende aufnahm. Die Pandemie aber stellte nun auch Deutschland auf eine harte Probe und sorgte für enorme Unsicherheit – wenngleich das deutsche Gesundheitssystem besser vorbereitet war als das griechische. Somit wurde internationale Zusammenarbeit in der Pandemie auch für die deutschen Befragten attraktiver, was die höhere Solidaritätsbereitschaft erklären könnte. Darüber hinaus könnte es den Forscherinnen zufolge auch eine Rolle spielen, inwiefern die Befragten Mitgliedsstaaten selbst für Krisen verantwortlich machten, und ob es sich um rein finanzielle oder, in diesem Fall, gesundheitliche Fragen handle.
Auf der Ebene individueller Einstellungen hat die bisherige Forschung gezeigt, dass sich vor allem eine pro-europäisch Selbsteinschätzung sowie sozioökonomische Ansichten im linken Spektrum positiv auf die Zustimmung zu finanziellen Umverteilungen zwischen EU-Staaten auswirken. Die Regressionsanalyse der Studie bestätigt diesen Zusammenhang bei den deutschen Befragten für alle drei Krisenszenarien. Demnach ist die Solidaritätsbereitschaft von den gleichen individuellen Einstellungen geprägt, unabhängig von der Art der Krise. Interessant ist an dieser Stelle der Ländervergleich: Auch in Griechenland gilt, dass der Einfluss individueller Einstellungen zwischen den Szenarien nicht signifikant variiert – bei den griechischen Befragten zeigt sich jedoch in keinem Szenario ein Zusammenhang zwischen Solidaritätsbereitschaft und der Selbstpositionierung im Links-Rechts-Spektrum.
Die Forscherinnen befragten deutsche und griechische Bürgerinnen und Bürger schließlich auch noch zu ihrer Einschätzung in Bezug auf die Zukunft der EU sowie auf ihre Zustimmung zu einer EU-weiten Lösung bei der Bekämpfung der ökonomischen Folgen der Pandemie. Zwar schätzten Bürgerinnen und Bürger beider Länder, dass die EU geschädigt aus der Pandemie hervorgehen wird. Sie zeigen aber auch eine hohe Bereitschaft für die Ausarbeitung gemeinsamer Lösungswege. Dass diese Bereitschaft in Deutschland erneut geringer ausgeprägt ist als in Griechenland, sich aber dennoch auf einem hohen Niveau befindet, werten die Autorinnen als positives Signal für Solidarität und Zusammenhalt in der EU in Zeiten (nach) der Pandemie – schließlich würde Deutschland als reiches Land bei solidarischen gesamteuropäischen Lösungen deutlich stärker finanziell belastet.
Die Verantwortung, diese Solidaritätsbereitschaft innerhalb der EU-Staaten nun auch zu nutzen, sehen die Forscherinnen bei den politischen Entscheidungsträgern auf nationaler und auf EU-Ebene. Diese müssten die Bevölkerung nun auf dem herausfordernden Weg zur Bekämpfung der Pandemie mitnehmen. Ein Signal europäischer Einigkeit könne die öffentliche Akzeptanz für Maßnahmen erhöhen und auch die künftige Beurteilung des Zustands der EU positiv beeinflussen.
alexia.katsanidou@gesis.org
Katsanidou, A., Reinl, A.-K., & Eder, C. (2021). Together we stand? Transnational solidarity in the EU in times of crises. European Union Politics. https://doi.org/10.1177/14651165211035663
Merkmale dieser Pressemitteilung:
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Gesellschaft, Politik, Wirtschaft
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Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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