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21.12.2021 09:24

Pflanzen als Kältespezialisten aus der Eiszeit

Marietta Fuhrmann-Koch Kommunikation und Marketing
Universität Heidelberg

    Pflanzen aus der Gruppe der Löffelkräuter haben sich während der Eiszeitalter der vergangenen zwei Millionen Jahre wiederholt schnell an ein sich veränderndes Klima angepasst. Evolutionsbiologen und Botaniker unter Leitung von Prof. Dr. Marcus Koch von der Universität Heidelberg haben anhand von genetischen Analysen untersucht, welche Faktoren die Anpassung an extreme klimatische Bedingungen begünstigten. Die evolutionäre Geschichte dieser sogenannten Kreuzblütler liefert Hinweise darauf, wie Pflanzen künftig mit den Auswirkungen des Klimawandels zurechtkommen könnten.

    Pressemitteilung
    Heidelberg, 21. Dezember 2021

    Pflanzen als Kältespezialisten aus der Eiszeit
    Heidelberger Wissenschaftler untersuchen, wie sich die Gattung der Löffelkräuter über Jahrmillionen erfolgreich an extreme klimatische Veränderungen angepasst hat

    Als Kälterelikte in einer wärmer werdenden Welt haben sich Pflanzen aus der Gruppe der Löffelkräuter während der Eiszeitalter der vergangenen zwei Millionen Jahre wiederholt schnell an ein sich veränderndes Klima angepasst. Ein internationales Team von Evolutionsbiologen und Botanikern unter Leitung von Prof. Dr. Marcus Koch von der Universität Heidelberg hat anhand von genetischen Analysen untersucht, welche Faktoren die Anpassung an extreme klimatische Bedingungen begünstigten. Die evolutionäre Geschichte dieser sogenannten Kreuzblütler liefert Hinweise darauf, wie Pflanzen künftig mit den Auswirkungen des Klimawandels zurechtkommen könnten.

    „Mit den Herausforderungen der zunehmenden globalen Erwärmung wird es immer wichtiger, ein grundlegendes Verständnis davon zu entwickeln, wie sich Pflanzen im Laufe der Evolution an gravierende Umweltveränderungen angepasst haben“, betont Prof. Koch, der mit seiner Arbeitsgruppe „Biodiversität und Pflanzensystematik“ am Centre for Organismal Studies (COS) forscht. Die evolutionäre Vergangenheit bestimmt in vielen Fällen maßgeblich die zukünftige Anpassungsfähigkeit von Pflanzen ebenso wie ihre Fähigkeit, sich in neuen Formen und Arten weiterzuentwickeln, so der Wissenschaftler. Die Gattung der Löffelkräuter, lateinisch Cochlearia, aus der Familie der Kreuzblütengewächse hat sich vor mehr als zehn Millionen Jahren von ihren Verwandten aus dem Mittelmeerraum abgespalten. Sind deren direkte Nachfahren unter anderem auf Trockenstress spezialisiert, haben die Löffelkräuter mit Beginn des Eiszeitalters vor 2,5 Millionen Jahren die kalten und arktischen Lebensräume erobert.

    Wie das im vergleichsweise raschen Wechsel von Kalt- und Warmzeiten der vergangenen zwei Millionen Jahre immer wieder gelingen konnte, haben die Wissenschaftler nun mit kultivierten Arten beider Linien unter kontrollierten Laborbedingungen untersucht. Ein „Kältetraining“ lieferte Hinweise darauf, dass die evolutionär frühen physiologischen Anpassungen an Trockenheit und Salzstress den Pflanzen später dabei halfen, eine hohe Kältetoleranz zu entwickeln. Obwohl nach Angaben der Forscher bei diesem „Training“ in beiden Gruppen eine starke Reaktion auf Kälte zu erwarten war, zeigte sich in der Antwort auf Kältestress kein signifikanter Unterschied zwischen den Kältespezialisten aus der Arktis und dem alpinen Raum und den Trockenspezialisten oder salzwasserangepassten Arten aus dem Mittelmeerraum.

    Zudem entwickelten sich in der Gruppe der neu entstandenen kaltangepassten Pflanzen separate Genpools, die in den Kaltregionen immer wieder in Kontakt miteinander kamen. Da Löffelkräuter kaum Barrieren besitzen, die den Genaustausch mit Pflanzen derselben oder anderer Arten verhindern, konnten sich Populationen mit multiplen Chromosomensätzen entwickeln, die dann immer wieder in ihrer Größe reduziert wurden. „Diese Arten konnten anschließend erneut und wiederholt kaltgeprägte ökologische Nischen besetzen“, erläutert Marcus Koch.

    Während der Genpool der Kältespezialisten aus der Arktis expandierte, schrumpft die Population der europäischen Löffelkräuter seit der letzten Eiszeit. Mit der signifikanten Klimaerwärmung verschwinden die Kalthabitate in Europa. Dies hat mittlerweile dazu geführt, dass alle Löffelkraut-Arten stark gefährdet sind. Nur das einjährige dänische Löffelkraut mit besonders vielen Chromosomensätzen ist davon nicht betroffen und kann sich zum Teil sogar ausbreiten. „Als einzige Art der Löffelkräuter hat sie ihren Lebenszyklus verändert und gedeiht an Salz- und Sandstandorten. Damit ähnelt sie in einigen ökologischen Merkmalen wieder ihren entfernten Verwandten aus dem Mittelmeerraum“, so Prof. Koch. Für die Wissenschaftler sind die Löffelkräuter aufgrund ihrer physiologischen Anpassungsfähigkeit ein vielversprechendes Modellsystem, um gleichzeitig Anpassungsprozesse an Trocken-, Kälte- und Salzstress zu untersuchen.

    Die Forschungsarbeiten wurden maßgeblich im Rahmen des Schwerpunktförderprogramms „Evolutionary Plant Solutions to Ecological Challenges“ (SPP 1529) der Deutschen Forschungsgemeinschaft durchgeführt. Die Daten sind in einer frei zugänglichen Datenbank abrufbar. Die Forschungsergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „eLife“ publiziert.

    Kontakt:
    Universität Heidelberg
    Kommunikation und Marketing
    Pressestelle, Telefon (06221) 54-2311
    presse@rektorat.uni-heidelberg.de


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Dr. Marcus Koch
    Centre for Organismal Studies
    Telefon (06221) 54-5508
    marcus.koch@cos.uni-heidelberg.de


    Originalpublikation:

    E. M. Wolf, E. Gaquerel, M. Scharmann, L. Yant, M. A. Koch: Evolutionary footprints of a cold
    relic in a rapidly warming world. eLife (21 December 2021), doi: 10.7554/eLife.71572


    Weitere Informationen:

    http://www.cos.uni-heidelberg.de/de/forschungsgruppen/biodiversitaet-und-pflanze... - Arbeitsgruppe von Marcus Koch


    Bilder

    Der Cairngorms-Nationalpark im schottischen Hochland bietet noch einen Lebensraum für wenige Eiszeit-Reliktarten wie die Löffelkräuter.
    Der Cairngorms-Nationalpark im schottischen Hochland bietet noch einen Lebensraum für wenige Eiszeit ...

    Marcus Koch


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Biologie, Meer / Klima
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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