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03.03.2022 10:00

Warum manche Blasen mehr Tempo machen

Mag. Christoph Pelzl, MSc Kommunikation und Marketing
Technische Universität Graz

    Warum bewegen sich große Gasblasen in viskoelastischen Flüssigkeiten (etwa Polymer- und Proteinlösungen) so viel schneller als erwartet? Eine offene Frage mit großer Relevanz für industrielle Produktionsprozesse. Forschende der TU Graz und der TU Darmstadt haben nun eine Erklärung gefunden.

    Es ist ein unter Fachleuten lange bekanntes Rätsel, das in vielen industriellen Produktionsprozessen sehr relevant ist: die sprunghaft unterschiedlichen Aufstiegsgeschwindigkeiten von Gasblasen in sogenannten viskoelastischen Flüssigkeiten. Viskoelastische Flüssigkeiten sind Stoffe, die Merkmale flüssiger und elastischer Stoffe in sich vereinen. Ein Beispiel dafür sind viele Haarshampoos: Stellt man eine durchsichtige, fast ganz gefüllte Flasche davon auf den Kopf, so sieht man die eingeschlossene Luft als Blase in ungewöhnlicher Form aufsteigen. In vielen Industrieprozessen treten solche Flüssigkeiten als Lösungen von Polymeren auf, die häufig durch Begasung mit Sauerstoff angereichert werden müssen. „Wir wissen seit etwa 60 Jahren, dass die Aufstiegsgeschwindigkeit von Gasblasen in viskoelastischen Flüssigkeiten bei einem kritischen Blasendurchmesser sprunghaft zunimmt. Die Blasen steigen dann plötzlich bis zu zehnmal schneller auf. Das spielt für die kontrollierte Begasung dieser Flüssigkeiten eine fundamentale Rolle. Gleichzeitig war unklar, was diesen sprunghaften Geschwindigkeitsanstieg verursacht“, erläutert Günter Brenn vom Institut für Strömungslehre und Wärmeübertragung der TU Graz.

    Mit einer Kombination aus Simulation, Experiment und theoretischen Analysen haben die Teams von Günter Brenn an der TU Graz und Dieter Bothe an der TU Darmstadt das Rätsel nun gemeinsam gelöst. Sie haben herausgefunden, dass die Wechselwirkung der Polymermoleküle mit der Strömung rund um die Gasblasen zu dem merkwürdigen Geschwindigkeitsverhalten der Blasen führt. Mit diesem Wissen kann nun der Sauerstoffeintrag in diese Lösungen genauer vorausberechnet werden, womit Apparaturen etwa in der Biotechnologie, in der Verfahrenstechnik und in der pharmazeutischen Industrie besser ausgelegt werden können. Ihre Erkenntnisse erläutern die Forscher aktuell im Fachjournal Journal of Non-Newtonian Fluid Mechanics (https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0377025722000052).

    „Entspannter“ Zustand bevorzugt

    Polymere bestehen aus oft riesengroßen Molekülen, die in komplexer Weise mit der Flüssigkeit, in der sie gelöst sind, interagieren. Diese Wechselwirkung macht eine Flüssigkeit viskoelastisch. Was bedingt nun den sprungartigen Geschwindigkeitsanstieg, den Gasblasen in diesen Flüssigkeiten ab dem kritischen Durchmesser an den Tag legen? Günter Brenn erläutert die jüngsten Erkenntnisse: „Die Strömung rund um die Blase führt dazu, dass sich dort die gelösten Polymermoleküle verformen. Diesen Zustand mögen die Moleküle nicht besonders. Sie wollen so schnell wie möglich zum entspannten, unverformten Zustand zurückkehren.“ Wenn diese Rückkehr zum entspannten Zustand schneller geht als der Transport der Moleküle bis zum Äquator der Blase, dann bleibt die Blase langsam. Dauert die Rückkehr zur Entspannung hingegen länger als die Reise zum Blasenäquator, dann wird in der Flüssigkeit eine Spannung frei, die die Blase „anschiebt“. Das führt zu einer Selbstverstärkung, da nachfolgende Polymermoleküle nun erst recht bis unterhalb des Äquators kommen, sich dort entspannen und wiederum eine „Schubkraft“ freisetzen.

    Neben der hohen Praxisrelevanz dieser Erkenntnis, insbesondere für die oben genannten Anwendungsbereiche, ergeben sich auch Konsequenzen in der Grundlagenforschung. „Es hat sich herausgestellt, dass eine weitere überraschende Eigenschaft des Strömungsfeldes dieser Lösungen diesem von uns gezeigten molekularen Mechanismus zugeordnet werden kann: nämlich der sogenannte ,negative Nachlauf‘ der Gasblase“, so Dieter Bothe von der Arbeitsgruppe Analysis des Fachbereichs Mathematik der TU Darmstadt. Das ist ein Bereich im Strömungsfeld unter der Blase, in dem normalerweise die Flüssigkeit mit kleiner Geschwindigkeit der Blase „hinterherläuft“. Bei den polymeren Flüssigkeiten ist es aber umgekehrt: dort ist die Flüssigkeitsbewegung entgegen der Blasenbewegung orientiert. Diese Flüssigkeitsbewegung kommt durch dieselbe Spannung zustande, die auch die Blase „anschiebt“. Aus diesem Verständnis können sich Möglichkeiten zur Steuerung von Strömungsvorgängen ergeben.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Günter BRENN
    Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil.
    TU Graz | Institut für Strömungslehre und Wärmeübertragung
    Tel.: +43 316 873 7340
    guenter.brenn@tugraz.at

    Dieter BOTHE
    Prof. Dr.
    TU Darmstadt | Fachbereich Mathematik
    Tel.: +49 6151 16-21463
    bothe@mma.tu-darmstadt.de


    Originalpublikation:

    On the molecular mechanism behind the bubble rise velocity jump discontinuity in viscoelastic liquids. Dieter Bothe, Matthias Niethammer, Christian Pilz, Günter Brenn. J. Non-Newtonian Fluid Mech. vol. 302 (2022), 104748
    DOI: https://doi.org/10.1016/j.jnnfm.2022.104748.


    Weitere Informationen:

    http://shorturl.at/byzL7 (Weitere Infos zur Forschung von Günter Brenn)
    https://www.tugraz.at/institute/isw/home/ (TU Graz | Institut für Strömungslehre und Wärmeübertragung)
    https://www.mathematik.tu-darmstadt.de/fb/index.de.jsp (TU Darmstadt | Fachbereich Mathematik)


    Bilder

    Grafische Kurzfassung wesentlicher Erkenntnisse der Forschungsarbeit.
    Grafische Kurzfassung wesentlicher Erkenntnisse der Forschungsarbeit.

    Bild: Matthias Niethammer – TU Darmstadt

    Günter Brenn beschäftigt sich am Institut für Strömungslehre und Wärmeübertragung mit dem Verhalten von Gasblasen und Flüssigkeitstropfen.
    Günter Brenn beschäftigt sich am Institut für Strömungslehre und Wärmeübertragung mit dem Verhalten ...
    www.lunghammer.at
    © Lunghammer – TU Graz


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Chemie, Maschinenbau, Werkstoffwissenschaften
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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