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Wissenschaft
Eine Stimulation bestimmter Kleinhirnbereiche könnte Absence-Epilepsien entgegenwirken. Was jedoch auf zellulärer und molekularer Ebene bei dieser Form der Epilepsie im Gehirn passiert und wie genau sich eine Stimulation auswirkt, ist bislang nicht im Detail verstanden. Neue Einblicke haben Forschende der Ruhr-Universität Bochum (RUB) in Versuchen mit Mäusen gewonnen.
Die Ergebnisse beschreibt das Team um Dr. Jan Claudius Schwitalla und Prof. Dr. Melanie Mark aus der RUB-Arbeitsgruppe Verhaltensneurobiologie in der Zeitschrift „Cellular and Molecular Life Sciences“ vom 19. März 2022. Sie kooperierten mit dem Erasmus Medical Center in Rotterdam und Utrecht sowie mit Kolleginnen und Kollegen aus Bonn, Münster und München.
Abrupte Bewusstseinsstörungen
Mehr als 1,5 Millionen Menschen weltweit leiden an Absence-Epilepsien, auch als Petit-mal-Anfälle bekannt. Betroffene erfahren eine abrupte Bewusstseinsstörung und verfallen in eine Art Verhaltensstarre, die ein paar Sekunden anhält. Die Absencen treten häufig bei Kindern zwischen vier und zwölf Jahren auf und werden oft mit Tagträumen verwechselt. Sie gehen mit einer veränderten Gehirnaktivität einher, sogenannten Spike-and-Wave-Discharges, kurz SWDs. Dieses charakteristische Aktivitätsmuster hat seinen Ursprung in der rhythmischen und synchronisierten Aktivität der Nervenzellen in der Großhirnrinde und im Thalamus.
Da die tief im Kleinhirn liegenden Kerne weitreichende Verbindungen zu verschiedensten Hirnregionen haben, entstand die Idee, Anfälle mit einer Stimulation der Kleinhirnkerne behandeln zu können. Versuche mit Nagetieren von anderen Forschungsgruppen ergaben, dass eine solche Stimulation Absence-Anfälle tatsächlich unterbinden kann. Unklar ist jedoch, was diesem Effekt auf zellulärer und molekularer Ebene zugrunde liegt.
Kleinhirn-Stimulation gegen anormale Hirnaktivität
Die Bochumer Forschenden arbeiteten mit Mäusen, denen der P/Q-Typ-Kalziumkanal in Nervenzellen des Kleinhirns fehlt und die in der Folge Absence-Epilepsie entwickeln. Sie fanden heraus, dass die Nervenzellen in den Kleinhirnkernen eine ungewöhnliche Aktivität zeigten und dass eine Stimulation dieser Zellen die SWDs unterdrücken konnte. Sie stimulierten die Kleinhirnkerne entweder durch Gabe einer pharmakologischen Substanz oder chemogenetisch. Für die chemogenetische Stimulation schleusten sie einen genetisch veränderten Rezeptor in die Zellen ein, sodass er über ein eigens dafür designtes Molekül aktiviert werden konnte, welches im Gehirn normalerweise nicht vorkommt. Auf diese Weise konnten die Forschenden die Aktivität der Kleinhirnkerne langsam erhöhen und weitere SWDs verhindern.
Außerdem nutzten sie die optogenetische Stimulation, um die Aktivität der Kleinhirnkerne kurzzeitig zu steigern; so konnten sie SWDs, die bereits begonnen hatten, stoppen. Für die optogenetische Stimulation bauten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Proteine aus Algen in die Kleinhirnzellen ein, welche durch Licht angeschaltet werden können; auf diese Weise konnten sie die Aktivität der Nervenzellen erhöhen. Insgesamt bestätigte die Studie, dass eine gezielte Stimulation der Kleinhirnkerne ein Therapieansatz für Menschen mit Absence-Epilepsie sein könnte.
Förderung
Die Arbeiten wurden unterstützt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 1280 (Projektnummer 316803389) sowie der Projekte MA 5806/2-1 und MA 5806/1-2. Weitere Unterstützung kam von der Netherlands Organization for Scientific Research (Förderkennzeichen NWO-ALW 824.02.001)
Prof. Dr. Melanie Mark
Arbeitsgruppe Verhaltensneurobiologie
Fakultät für Biologie und Biotechnologie
Ruhr-Universität Bochum
Tel.: +49 234 32 27913
E-Mail: melanie.mark@rub.de
Jan Claudius Schwitalla, Johanna Pakusch, Brix Mücher. Alexander Brückner, Dominic Alexej Depke, Thomas Fenzl, Chris I. De Zeeuw, Lieke Kros, Freek E. Hoebeek, Melanie D. Mark: Controlling absence seizures from the cerebellar nuclei via activation of the Gq signaling pathway, in: Cellular and Molecular Life Sciences, 2022, DOI: 10.1007/s00018-022-04221-5
Johanna Pakusch (links) und Jan Claudius Schwitalla (rechts) gehörten zum Autorenteam der aktuellen ...
RUB, Marquard
Melanie Mark forscht in der RUB-Arbeitsgruppe Verhaltensneurobiologie.
RUB, Marquard
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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