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Pflanzen, Pilze und Bakterien nehmen durch Photorezeptoren Blaulicht wahr. Licht setzt photochemische Reaktionen in Gang, die lebenswichtige Vorgänge in Zellen steuern. Forscher*innen der Universität Bayreuth haben jetzt entdeckt, dass bestimmte Rezeptoren ein bisher für unentbehrlich gehaltenes Glutamin nicht zwingend benötigen. Auch ohne dieses Glutamin kann Blaulicht in vielen Organismen entscheidende Steuerungssignale auslösen, wenn auch oft mit verminderter Effizienz. Die in „Nature Communications“ präsentierten Ergebnisse leisten einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Mechanismen von Photorezeptoren und ihren Anwendungen.
In der Natur kommen mehrere Arten von Blaulicht absorbierenden Photorezeptoren vor. Weit verbreitet sind Light-oxygen-voltage-Proteine, kurz LOV-Proteine. Das in LOV-Proteine einfallende Licht löst chemische Reaktionen aus, die Pflanzen, Pilze und Bakterien in die Lage versetzen, zum eigenen Vorteil auf Sonnenlicht zu reagieren. So orientiert sich beispielsweise das Wachstum von Pflanzen an der Richtung des einfallenden Lichts – ein Phänomen, das als Phototropismus bezeichnet wird. Zugleich dienen Photorezeptoren als wichtige Bausteine der Optogenetik: Absorbiertes Blaulicht erzeugt Signale, die genutzt werden können, um zelluläre Abläufe zu regulieren, unter anderem die Expression von Genen sowie die Struktur und Dynamik des Zytoskeletts.
Schon länger ist bekannt, dass Blaulicht in LOV-Proteinen photochemische Reaktionen auslöst, die zur Übertragung von Wasserstoffatomen führen. Es finden auf diese Weise Protonierungsänderungen statt, wie das Bayreuther Forschungsteam unter der Leitung von Prof. Dr. Andreas Möglich in einer 2015 veröffentlichten Studie belegt hat. Einem bestimmten Glutamin kommt die Rolle zu, Protonierungsänderungen zu erkennen und entsprechende Signale in die Zellen zu senden. Die neue Studie rückt jetzt die Rolle eben dieses Glutamins in den Fokus. Bis auf sehr wenige Ausnahmen ist es in fast allen LOV-Proteinen enthalten, was auf seine zentrale Bedeutung hinweist.
„Entgegen der in der Forschung etablierten Ansicht haben wir bei unseren Experimenten festgestellt, dass die von der Blaulicht-Absorption in Gang gesetzten Reaktionen nicht zwingend auf Glutamin angewiesen sind. Die photochemischen Systeme in zahlreichen Pflanzen, Pilzen und Bakterien sind so strukturiert, dass diese molekularen Vorgänge grundsätzlich auch dann stattfinden könnten, wenn die Photorezeptoren kein Glutamin enthielten. Sie würden dann nur langsamer und weniger effizient ablaufen,“ sagt Prof. Dr. Andreas Möglich, Professor für Photobiochemie an der Universität Bayreuth und korrespondierender Autor der Studie. Wie Untersuchungen hochaufgelöster Kristallstrukturen von LOV-Proteinen und Simulationen molekularer Abläufe gezeigt haben, muss es nicht das Glutamin sein, das die Zellen über die durch Blaulicht ausgelösten Protonierungsänderungen informiert. Diese Aufgabe könnte ebenso von Wassermolekülen übernommen werden, welche die LOV-Proteine nach der Lichtabsorption durchdringen.
„Unsere Forschungsergebnisse vermitteln neue Einblicke in den Mechanismus der von LOV-Proteinen geleisteten Blaulicht-Absorption und in die dadurch ausgelöste Signalleitung. Zugleich haben wir aufschlussreiche Indizien gefunden, die uns bei der Lösung eines noch völlig ungeklärten Rätsels weiterhelfen: nämlich der Frage, wie die Blaulicht-Rezeptoren im Verlauf der Evolution entstanden sind. Vieles spricht dafür, dass sie sich aus Stoffwechsel-Enzymen herausgebildet haben, die imstande sind, gelbe Pigmente – sogenannte Flavine – zu binden. Darüber hinaus hat unsere Studie Folgen für künftige Untersuchungen der von Photorezeptoren regulierten Prozesse. Fehlendes Glutamin kann dabei, anders als bisher, nicht mehr als hinreichende Bedingung für den Ausfall von Signalübertragungen aufgefasst werden“, sagt Möglich.
Der Bayreuther Biochemiker verweist zudem auf die Bedeutung der neuen Erkenntnisse für die biotechnologische Forschung mit und an Photorezeptoren. Dafür werden häufig LOV-Proteine verwendet. So werden beispielsweise modifizierte LOV-Proteine nach Entfernung des Glutamins und weiterer molekularer Einheiten zur Erzeugung reaktiver Sauerstoffspezies eingesetzt. Hierbei handelt es sich um besonders reaktive Formen des Sauerstoffs, die chemische Reaktionen hervorrufen sowie Alterungsprozesse und diverse Erkrankungen fördern.
Die in „Nature Communications“ veröffentlichten Erkenntnisse sind in Zusammenarbeit der Bayreuther Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Andreas Möglich mit Partnern an der Universität Bonn und der Hebrew University in Jerusalem entstanden. Die drei Erstautorinnen Julia Dietler, Renate Gelfert und Jennifer Kaiser haben an der Universität Bayreuth im Bereich Biochemie promoviert. Sie arbeiten mittlerweile in namhaften internationalen Unternehmen und Forschungszentren.
Prof. Dr. Andreas Möglich
Photobiochemie
Universität Bayreuth
Telefon: +49 (0)921 / 55-7835
E-Mail: andreas.moeglich@uni-bayreuth.de
Julia Dietler et al.: Signal transduction in light-oxygen-voltage receptors lacking the active-site glutamine. Nature Communications 2022, DOI: 10.1038/ncomms10079 10.1038/s41467-022-30252-4 // https://www.nature.com/articles/s41467-022-30252-4
Siehe auch die in der Pressemitteilung genannte Vorläuferstudie:
Estella F. Yee et al.: Signal transduction in light-oxygen-voltage receptors lacking the adduct-forming cysteine residue. Nature Communications (2015), DOI: 10.1038/ncomms10079 // https://www.nature.com/articles/ncomms10079
Kristallstrukturen eines LOV Proteins, in dem das Glutamin durch Leucin ersetzt wurde (L513). Im Ver ...
(c) Andreas Möglich.
LOV-Proteine könnten aus flavinbindenden Vorläufern entstanden sein, denen das Glutamin und auch ein ...
(c) Andreas Möglich.
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wissenschaftler, jedermann
Biologie, Chemie
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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