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Wissenschaft
Eine durch einschneidende frühkindliche Erfahrungen veränderte Gehirnstruktur regeneriert sich nicht vollständig. Zu diesem Schluss kommt die Studie eines Forschungsteams der Universität Hamburg unter der Leitung der Psychologin und Neurowissenschaftlerin
Prof. Dr. Brigitte Röder.
Frühere neurowissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass ungünstige Erfahrungen in den ersten Lebensmonaten und -jahren, wie zum Beispiel Blindheit oder Armut, die strukturelle Entwicklung des menschlichen Gehirns beeinträchtigen können. Nicht bekannt war aber bislang, ob sich die Hirnstruktur wieder erholen kann, wenn die Ursachen der Beeinträchtigungen beseitigt werden. Die neue Forschungsarbeit, deren Ergebnisse jetzt im Fachjournal „Cerebral Cortex“ veröffentlicht wurden, kommt zumindest in Bezug auf die Entwicklung der visuellen Areale des Gehirns zu einer eindeutigen Antwort: Die Gehirnstruktur bleibt nachhaltig beeinträchtigt.
3D-Modelle der Gehirne
Für die Studie hat ein Team des Arbeitsbereichs Biologische Psychologie und Neuropsychologie in Kooperation mit dem LV Prasad Eye Institute in Hyderabad (Indien) Menschen untersucht, die aufgrund von beidseitigem Grauen Star teilweise mehrere Jahre nach der Geburt blind waren und deren Augenlicht dann durch eine Operation wiederhergestellt werden konnte. Von allen Teilnehmenden, die zum Zeitpunkt der Studie zwischen sechs und 36 Jahren alt waren, wurden mit Hilfe eines Kernspintomographen Bilder des Gehirns aufgenommen, aus denen anschließend für jede Person ein 3D-Modell des Gehirns rekonstruiert wurde. In diesem Modell konnten die Forschenden messen, wie dick und wie groß die Oberfläche der Hirnrinde in den visuellen Arealen des Gehirns war.
Die Hirnrinde ist die äußerste, mehrfach gefaltete Schicht des Gehirns, die mehrere Millimeter dick ist und hauptsächlich aus Zellkörpern von Nervenzellen besteht, der so genannten grauen Substanz. Durch ihre mehrfache Faltung besitzt die Hirnrinde eine große Oberfläche und bietet viel Platz für Milliarden von Nervenzellkörpern, die für die Verarbeitung sensorischer Information und damit für die Entstehung von Wahrnehmung zuständig sind. In der normalen Entwicklung wird die Hirnrinde ab einem Alter von ein bis zwei Jahren dünner, während ihre Oberfläche bis in die Pubertät zunimmt. Beide strukturellen Veränderungen sind wichtig für die vollständige Reifung neuronaler Netzwerke.
Veränderungen der Sehrinde
Das Forschungsteam fand heraus, dass bei den vormals blinden Menschen die Sehrinde, also der Teil der Hirnrinde, in dem die Sehinformation verarbeitet wird, sowohl eine kleinere Oberfläche besaß als auch dicker war. Ihre Sehrinde ähnelte mehr der von Menschen, die seit ihrer Geburt dauerhaft blind waren als der von Menschen, die von Geburt an sehen konnten. Außerdem sagte das Ausmaß der Veränderungen in der Sehrinde vorher, wie gut die Menschen nach der Entfernung des Grauen Stars sehen lernten.
„Die Studie zeigt, dass frühkindliche Erfahrungen die Hirnstruktur langanhaltend und offenbar nicht reversibel verändern können“, erklärt Dr. Cordula Hölig, Autorin der Studie und Wissenschaftlerin an der Universität Hamburg. „Auch wenn wir hier ausschließlich den Einfluss von fehlendem Sehen untersucht haben, vermuten wir, dass auch andere extreme frühkindliche Erfahrungen, wie sie zum Beispiel bei Armut oder Vernachlässigung auftreten können, die Hirnstruktur irreversibel schädigen können.“
Dr. Cordula Hölig
Universität Hamburg
Institut für Psychologie
Arbeitsbereich Biologische Psychologie und Neuropsychologie
Tel.: +49 40 42838-4573
E-Mail: cordula.hoelig@uni-hamburg.de
Hölig, C., Guerreiro, M.J.S., Lingareddy, S., Kekunnaya, R., & Röder, B. (2022). Sight restoration in congenitally blind humans does not restore visual brain structure. Cerebral Cortex, DOI: http://10.1093/cercor/bhac197
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Medizin, Psychologie
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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