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08.06.2022 09:00

Europäische Leitlinien „made in Tyrol“ für häufigste Erbkrankheit

Theresa Mair Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Medizinische Universität Innsbruck

    Wenn die Leber zu wenig vom Hormon Hepcidin produziert, lagert sich mit der Zeit Eisen in Organen und Gelenken ab: Bei Hämochromatose handelt es sich um die häufigste Erbkrankheit in Europa. Heinz Zoller und Benedikt Schäfer, anerkannte Experten für Eisenstoffwechsel und Lebererkrankungen an der Univ.-Klinik für Innere Medizin I in Innsbruck sind für die neuen Europäischen Diagnose- und Behandlungsleitlinien für Hämochromatose verantwortlich.

    Innsbruck, am 8. Juni 2022: Comic-Fans ist „Iron Fist“ natürlich ein Begriff. Mediziner bringen die so genannte eiserne Faust leider nicht mit einem Superhelden aus dem Marvel-Universum in Verbindung, sondern mit der Erbkrankheit Hämochromatose. Bei dieser Erkrankung, die auf einem Gendefekt in der Leber beruht, sammelt sich über die Jahre zuviel Eisen in den Organen an. Ein Symptom sind Gelenksschmerzen, typischerweise in den Fingern, die zum „Iron Fist“-Phänomen führen. Aus diesem Grund waren unter anderem auch Rheumatologen im Leitlinien-Komitee, das Heinz Zoller zusammengestellt hat. Die Europäische Gesellschaft für Leberforschung (EASL) beauftragte den international renommierten Experten für Eisenstoffwechsel und Hepatologie von der Univ.-Klinik für Innere Medizin I (Direktor: Herbert Tilg) in Innsbruck mit der Erstellung neuer Guidelines für die Erkrankung. Diese nun weltweit verwendeten Empfehlungen für Diagnose und Therapie wurden im Journal of Hepatology veröffentlicht und werden am 25. Juni beim Internationalen Leberkongress der EASL in London präsentiert.

    „Hämochromatose ist die häufigste genetische Erkrankung bei Erwachsenen in Europa. Der Gendefekt betrifft einen von 200 Menschen in der Bevölkerung, krank wird einer von Tausend in der Bevölkerung“, erklärt Benedikt Schäfer, Mitautor und Internist im hepatologischen Team der Klinik. Ein Gendefekt verursacht einen Mangel des eisenregulierenden Hormons Hepcidin. Ähnlich wie der Insulinmangel bei Diabetes zu hohe Zuckerkonzentrationen bedingt, führt ein Hepcidinmangel zu einer deutlich erhöhten Eisenkonzentration im Körper. Meistens wird die Erkrankung um das 40. bis 50. Lebensjahr auffällig - bei Männern früher als bei Frauen, die menstruationsbedingt länger vor der Eisenüberladung geschützt sind. Hämochromatose wurde 1889 erstmals beschrieben, das betroffene Gen wurde 1997 entdeckt. „Seither gibt es viele neue Erkenntnisse rund um die Erkrankung, die in die Leitlinien eingeflossen sind“, sagt Heinz Zoller.

    Bronzediabetes mit hoher Dunkelziffer
    Bevor eine gezielte Diagnose und Therapie möglich war, kam es häufig zu schweren Ver-laufsformen mit Organschäden. Unbehandelt führt das über die Zeit akkumulierende Eisen zur Schädigung der Leber. Durch Eisenablagerung in der Bauchspeicheldrüse und dem Herzen kann es auch zu Diabetes oder zur Herzschwäche kommen. Ein weiteres Symptom: Die Betroffenen entwickeln häufig einen bronzefarbenen Hautton. „Aufgrund dieser Symptomkonstellation wird Hämochromatose auch Bronzediabetes genannt“, sagt Zoller. PatientInnen sind wegen der bereits erwähnten Hämochromatosearthropathie im Durch-schnitt 15 Jahre früher auf Gelenksersatz in Hüfte, Knie oder Sprunggelenk angewiesen. Sonst sind die Anzeichen der Erkrankung unspezifisch, Müdigkeit ist ein mögliches Frühsymptom. Unerkannt kann die Eisenüberladung zu Zirrhose führen, im Ernstfall ist eine Lebertransplantation unausweichlich. Problematisch sei daher die hohe Dunkelziffer.

    Die Leitlinien bieten eine Handlungsanweisung für Diagnostik und Therapie, die, sofern sie frühzeitig eingeleitet wird, sehr effektiv ist. „Abhängig vom Eisenstatus im Blut muss eine genetische Analyse durchgeführt werden. Ergänzend kann eine Eisenquantifizierung mithilfe einer Magnetresonanztomografie notwendig sein“, schildert Schäfer. Es gibt nun klare Empfehlungen, wann und wer getestet werde sollte. „Zur Bestimmung des Stadiums und für die stadienabhängige Therapie war früher meist eine Leberbiopsie notwendig. Jetzt stehen uns weniger invasive Methoden zur Verfügung“, erklärt Zoller.
    Mit VertreterInnen von PatientInnenorganisationen arbeiteten die ExpertInnen auch Ernährungsempfehlungen in die Leitlinien ein. So soll Fleisch höchstens einmal pro Woche auf dem Speiseplan stehen. Außerdem wird Betroffenen abgeraten, rohe Meeresfrüchte, wie Austern zu verzehren oder auch nur damit zu hantieren. Dies könne unter Umständen zur Infektion mit eisenliebenden Bakterien führen und lebensgefährlich sein. Zudem sollte Alkohol nur in Maßen genossen und auf Vitamin C-Präparate verzichtet werden. „Die richtige Ernährung kann eine Therapie aber nicht ersetzen“, betont Schäfer.
    Nach wie vor ist die Aderlasstherapie der Goldstandard unter den Behandlungsoptionen. Dafür wird den PatientInnen zunächst engmaschig eisenreiches Blut aus der Vene entnommen, so lange bis der Eisenspeicher geleert ist. In der Folge könne auf regelmäßiges Blutspenden übergangen werden. Ist ein Aderlass zB wegen Blutarmut oder Nebenwirkungen wie Schwindel und Schwäche nicht möglich, könne auf die Apherese, bei der nur die Erythrozyten (rote Blutkörperchen, Anm.) entnommen werden, ausgewichen werden. „Aktuell wird intensiv Forschung betrieben, um herauszufinden, ob das Hormon Hepcidin wie das Insulin bei Diabetes direkt ersetzt werden könnte.“ Jedenfalls sei der Aderlass eine vergleichsweise kostengünstige Therapieform, die - frühzeitig angewandt - vorbeugend wirke, damit es bei den Betroffenen gar nicht zu einer Eisenüberladung komme und Iron Fist für sie ein Comic-Held bleibt.

    Zu den Personen:
    Die Spezialgebiete von Heinz Zoller sind der Eisenstoffwechsel und die Leber. Zudem ist Zoller ein ausgewiesener Experte für die Erforschung und Therapie der Erbkrankheit Hämochromatose. 2021 wurde der Internist an der Medizinischen Universität Innsbruck zum Professor für Hepatologie berufen. Zuvor führte ihn ein Forschungsaufenthalt ans Addenbrooke’s Hospital der University Cambridge und er war als Professor für Hepatologie in München tätig. Seit 2019 leitet Zoller das Christian Doppler Forschungslabor für Eisen- und Phosphatbiologie, das an der Univ.-Klinik für Innere Medizin I angesiedelt ist. Zoller ist Mitglied des interdisziplinären Lebertransplantationszentrums Innsbruck.

    Benedikt Schäfer ist Teil des hepatologischen Teams an der Univ.-Klinik für Innere Medizin I. Im Rahmen seines PhD beschäftigte sich Schäfer mit genetischen Erkrankungen der Leber, Eisenmetabolismus und Eisentherapie. Aktuell erforscht Schäfer unter anderem die Epidemiologie der Hämochromatose in Tirol und ist klinisch als Facharzt für Innere Medizin, Gastroenterologie und Hepatologie tätig.

    Pressebilder zum Herunterladen:
    https://www.i-med.ac.at/pr/presse/2022/33.html

    Forschungsarbeit: Zoller H, Schaefer B, Vanclooster A, Griffiths B, Bardou-Jacquet E, Corradini E, et al. EASL Clinical Practice Guidelines on haemochromatosis. Journal of hepatology. https://doi.org/10.1016/j.jhep.2022.03.033

    Guidelines: https://easl.eu/news/cpgs-2022-haemochromatosis/

    Medienkontakt:
    Medizinische Universität Innsbruck
    Public Relations & Medien
    Theresa Mair
    Innrain 52, 6020 Innsbruck, Austria
    Telefon: +43 512 9003 71833,
    public-relations@i-med.ac.at, www.i-med.ac.at

    Details zur Medizinischen Universität Innsbruck
    Die Medizinische Universität Innsbruck mit ihren rund 2.200 MitarbeiterInnen und ca. 3.400 Studierenden ist gemeinsam mit der Universität Innsbruck die größte Bildungs- und Forschungseinrichtung in Westösterreich und versteht sich als Landesuniversität für Tirol, Vorarlberg, Südtirol und Liechtenstein. An der Medizinischen Universität Innsbruck werden folgende Studienrichtungen angeboten: Humanmedizin und Zahnmedizin als Grundlage einer akademischen medizinischen Ausbildung und das PhD-Studium (Doktorat) als postgraduale Vertiefung des wissenschaftlichen Arbeitens. An das Studium der Human- oder Zahnmedizin kann außerdem der berufsbegleitende Clinical PhD angeschlossen werden.
    Seit Herbst 2011 bietet die Medizinische Universität Innsbruck exklusiv in Österreich das Bachelorstudium „Molekulare Medizin“ an. Ab dem Wintersemester 2014/15 kann als weiterführende Ausbildung das Masterstudium „Molekulare Medizin“ absolviert werden. Ab Herbst 2022 bieten die Medizinische Universität Innsbruck und die Leopold-Franzens-Universität Innsbruck gemeinsam ein englischsprachiges Masterstudium „Pharmaceutical Sciences“ an, in dem die Studierenden eine fundierte Ausbildung im Bereich der Arzneimittelentwicklung erwerben können.

    Die Medizinische Universität Innsbruck ist in zahlreiche internationale Bildungs- und Forschungsprogramme sowie Netzwerke eingebunden. Schwerpunkte der Forschung liegen in den Bereichen Onkologie, Neurowissenschaften, Genetik, Epigenetik und Genomik sowie Infektiologie, Immunologie & Organ- und Gewebeersatz. Die wissenschaftliche Forschung an der Medizinischen Universität Innsbruck ist im hochkompetitiven Bereich der Forschungsförderung sowohl national auch international sehr erfolgreich.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Univ.-Prof. Dr. med. univ. Heinz Zoller
    Universitätsklinik für Innere Medizin I
    Tel.: +43 50 504 23539
    E-Mail: Heinz.Zoller@i-med.ac.at

    Dr. med. univ. Benedikt Schäfer PhD
    Universitätsklinik für Innere Medizin I
    Tel.: +43 50 504 23539
    E-Mail: Benedikt.Schaefer@i-med.ac.at


    Originalpublikation:

    Zoller H, Schaefer B, Vanclooster A, Griffiths B, Bardou-Jacquet E, Corradini E, et al. EASL Clinical Practice Guidelines on haemochromatosis. Journal of hepatology. https://doi.org/10.1016/j.jhep.2022.03.033


    Bilder

    Heinz Zoller
    Heinz Zoller
    R. Schober
    MUI


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
    überregional
    Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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